Werner Müller –
Ein Leben im Widerstand und für die Erinnerung
Ein Leben im Widerstand und für die Erinnerung
Herkunft und politischer Werdegang
Werner Müller wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in Hannover geboren. Er wuchs in einem einfachen Arbeitermilieu auf, geprägt von wirtschaftlicher Not und politischen Umbrüchen. Schon früh entwickelte er ein Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit und fand in linken Jugendgruppen erste Orientierung.
Ende der 1920er-Jahre trat Müller der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, motiviert durch Arbeitslosigkeit, politische Gewalt und das Vorbild älterer Genossen. Die KPD, die sich für soziale Gerechtigkeit und gegen den aufkommenden Faschismus einsetzte, bot ihm eine politische Heimat. In Hannover engagierte sich Müller in Arbeitervereinen, organisierte Diskussionen zu marxistischen Themen und half beim Aufbau von Bildungsangeboten. Diese Erfahrungen formten ihn zu einem entschlossenen Widerstandskämpfer gegen den Faschismus.
Widerstand gegen das NS-Regime in Hannover
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden sämtliche oppositionellen Parteien und Gruppen verboten. Die KPD ging in den Untergrund. Werner Müller blieb jedoch standhaft. Gemeinsam mit Gesinnungsgenossen beteiligte er sich am Widerstand in Hannover. Dabei kümmerte er sich vor allem um die Aufrechterhaltung von Kontakten zwischen den verstreuten Mitgliedern der Arbeiterbewegung. In dieser Phase entstanden kleine konspirative Zellen, die sich regelmäßig trafen, um Aktionen zu planen und Informationen auszutauschen. Müller wurde zu einem wichtigen Verbindungsmann zwischen den Stadtteilen Hannovers und kümmerte sich auch um die Versorgung verfolgter Kameraden mit Lebensmitteln und Kleidung.
Er half mit, illegale Flugblätter zu vervielfältigen und zu verteilen, um die Bevölkerung über die wahren Absichten des NS-Regimes aufzuklären. Diese Schriften, oft auf einfaches Zeitungspapier oder Rückseiten von Formularen gedruckt, warnten vor Kriegsvorbereitungen, prangerten die Entmachtung der Gewerkschaften an und riefen zu Solidarität auf. Häufig wurden sie nachts in Bahnhöfen oder Arbeiterwohnvierteln verteilt, manchmal auch heimlich in Werkhallen gelegt. Die Herstellung war gefährlich: Druckmaschinen mussten versteckt, Papier besorgt und die Drucksätze unter ständiger Angst vor Entdeckung zusammengesetzt werden.
Die kommunistische Widerstandsbewegung war zwar ab 1934 durch die Gestapo stark geschwächt, doch Personen wie Werner Müller ließen sich nicht einschüchtern. Unter großer Gefahr sorgte Müller dafür, dass trotz Überwachung Informationen ausländischer Sender und in der Illegalität gedruckte Schriften in Arbeiterkreisen kursierten. Er hörte regelmäßig BBC und Radio Moskau, notierte sich deren Nachrichten und verbreitete sie in mündlicher Form weiter. Sein Zuhause wurde mehrmals durchsucht, er selbst war ständigen Repressalien ausgesetzt. In einem Fall wurde er festgenommen und stundenlang verhört, konnte aber mangels Beweisen wieder entlassen werden.
Er traf sich heimlich mit anderen Aktivisten in Kellern, abgelegenen Werkstätten oder auf Friedhöfen – Orte, an denen die Gestapo keine regimekritischen Versammlungen vermutete. Besonders beliebt waren Treffpunkte im Grünen, etwa nahe der Ihme oder in Kleingartenanlagen, wo sie sich als Spaziergänger tarnen konnten. Dabei entwickelten sie ein ausgeklügeltes System von Treffzeiten, Erkennungssignalen und Decknamen. Damit trug Werner Müller im Kleinen, aber entscheidenden Maße dazu bei, den Funken des Widerstands am Leben zu erhalten – in einer Zeit, in der offene Opposition längst mit dem Tod bestraft wurde.
Verfolgung, Haft und Kriegszeit
Das aktive Eintreten gegen Hitler und seine Helfer blieb für Werner Müller nicht ohne Konsequenzen. Bereits in den frühen 1930er-Jahren geriet er mehrfach ins Visier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), zunächst wegen seiner Aktivitäten in Arbeiterorganisationen, später explizit aufgrund seines Engagements in der KPD. Wie viele seiner Genossen wurde Müller verhaftet und verhört. Zeitweilig musste er im Gefängnis verbringen – eine Erfahrung, die seine Entschlossenheit jedoch eher stärkte als brach. Während der Verhöre schwieg er eisern über seine Kontakte und deckte seine Mitstreiter. Die Haftbedingungen waren hart: Einzelhaft, ständige Einschüchterungen, mangelhafte Versorgung und psychischer Druck gehörten zum Alltag. Besonders die Isolation zehrte an den Kräften der Inhaftierten. Dennoch blieb Müller standhaft. Nach seiner Freilassung stand er unter ständiger Beobachtung – er wurde beschattet, seine Post kontrolliert und seine sozialen Kontakte systematisch eingeschränkt. Trotzdem nahm er bald wieder Verbindung zu Widerstandsgruppen auf, agierte jedoch vorsichtiger und konspirativer als zuvor.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Werner Müller zur Wehrmacht eingezogen. Widerwillig diente er als Soldat, um nicht erneut in den Verdacht der Sabotage oder Wehrkraftzersetzung zu geraten. Er wurde an der Ostfront eingesetzt, wo er den Krieg in all seiner Brutalität erlebte – Kälte, Hunger, Todesangst und das tägliche Miterleben von Gewalt prägten diese Zeit. Müller verachtete die Ideologie, in deren Namen dieser Krieg geführt wurde. In einem späteren Gespräch mit jungen Antifaschisten erinnerte er sich: „Ich marschierte, um nicht zu sterben – aber mein Herz schlug für die, die den Mut hatten, Nein zu sagen.“ Diese innere Abscheu gegenüber dem Faschismus war es, die ihm half, trotz der entmenschlichenden Erfahrungen an der Front geistig wach und moralisch integer zu bleiben. Paradoxerweise sollte ihm dieser Wehrdienst Jahre später zugute kommen. Müller absolvierte seine Militärzeit ohne Fehlverhalten; die Pflichterfüllung als Soldat wurde ihm von den Nachkriegsbehörden als „exemplarisch“ bescheinigt – ein Umstand, den spätere Gerichte bei politischen Verfahren zu seinen Gunsten werteten.
Hinter dieser Fassade blieb Müller jedoch innerlich dem Widerstand treu, hoffend auf das baldige Ende der NS-Diktatur. In den Lagern und an der Front versuchte er Gleichgesinnte zu finden, um wenigstens Gespräche über Alternativen zur Diktatur zu führen. Er nutzte seine Position, um Mitstreitern Informationen über das Kriegsgeschehen zukommen zu lassen – in chiffrierten Briefen an seine Freunde in Hannover. Dabei verwendete er neutrale Formulierungen, die mit vereinbarten Codes versehen waren, um etwa Truppenbewegungen, Stimmungen in der Truppe oder grausame Übergriffe mitzuteilen. Diese Berichte erreichten über Umwege Exil-Kontakte in Prag und Paris, wie später bekannt wurde. Müllers Haltung an der Front – Pflichtbewusstsein nach außen, aber klare innere Opposition – zeugt von jener moralischen Stärke, die ihn sein ganzes Leben lang auszeichnete.
Neubeginn nach 1945 in Hannover
Als 1945 der Krieg endete und die nationalsozialistische Herrschaft zusammenbrach, kehrte Werner Müller in seine Heimatstadt Hannover zurück. Deutschland lag in Trümmern – politisch, wirtschaftlich und moralisch. Die Infrastruktur war weitgehend zerstört, Wohnraum knapp, und die Bevölkerung traumatisiert. Müller zögerte nicht, beim demokratischen Neubeginn mitanzupacken. Er gehörte zu den Leuten, die sofort die Lehren aus dem Faschismus zogen und bereit waren, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen. In Hannover half er, überparteiliche Initiativen ehemaliger Verfolgter zu gründen. Er setzte sich für einen offenen Dialog zwischen politischen Lagern ein und unterstützte aktiv die Demokratisierung der lokalen Verwaltung. Besonders wichtig war ihm, dass politische Bildung und die Aufklärung über die NS-Verbrechen in den Wiederaufbau integriert wurden.
So war Müller am Aufbau der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) beteiligt – einem Zusammenschluss von Opfern und Gegnern des Nazi-Regimes, der 1947 auch in Niedersachsen entstand. Er übernahm organisatorische Aufgaben, war an der Mitgliederwerbung beteiligt und baute ein regionales Netzwerk zur Unterstützung ehemaliger politischer Gefangener auf.
Diese Organisation setzte sich dafür ein, die Verbrechen des Faschismus aufzuarbeiten und die Interessen der Überlebenden zu vertreten. Müller beteiligte sich an der Suche nach vermissten Mitkämpfern, unterstützte deren Familien und setzte sich für eine würdige Erinnerungskultur ein. In diesem Rahmen kümmerte er sich auch um die Rente und Entschädigung ehemals Inhaftierter, ein mühseliger Prozess, der vielfach auf bürokratische und politische Widerstände stieß. Er engagierte sich in der Erinnerungsarbeit, sammelte Berichte von Zeitzeugen, organisierte Veranstaltungen und hielt Vorträge über den Widerstand. Oft sprach er vor Schulklassen, in Gemeindezentren und auf Gewerkschaftsversammlungen, um seine Erfahrungen weiterzugeben. Besonders setzte er sich dafür ein, dass antifaschistische Mahnmale errichtet und historische Stätten vor dem Vergessen bewahrt wurden. Auf sein Drängen hin wurde ein Gedenkstein für die Opfer der Gestapo im Stadtteil Linden errichtet. Für Müller war klar: Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft in Freiheit.
Politisches Engagement in der Nachkriegszeit
In den ersten Nachkriegsjahren versuchte Werner Müller auch politisch Fuß zu fassen. Er blieb seiner Überzeugung treu und arbeitete in linken Parteien und Gewerkschaften mit. In der jungen Bundesrepublik Deutschland war das jedoch nicht leicht, denn der antikommunistische Wind des Kalten Krieges blies stark. Die KPD wurde 1956 in der BRD verboten, was für Müller und viele seiner Genossen neue Repression bedeutete. Dennoch ließ er sich nicht entmutigen.
Er war eine treibende Kraft bei humanitären Aktionen wie der "Arbeitsgemeinschaft Frohe Ferien für alle Kinder". Diese Initiative ermöglichte es Kindern von Kriegsgeschädigten und Arbeitern aus Westdeutschland, kostengünstige Ferien in der DDR zu verbringen – eine Geste der Völkerverständigung in Zeiten der Teilung. Müller koordinierte Transporte, sammelte Spenden und pflegte Kontakte zu Partnern im Osten. Weil diese Kontakte den westdeutschen Behörden missfielen, geriet Müller erneut ins Fadenkreuz. 1962 wurde er im sogenannten “Ferien-für-alle-Kinder”-Prozess verurteilt: Das Landgericht erklärte die Organisation nachträglich für verfassungswidrig. Müller erhielt zehn Monate Gefängnis, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurden – ausdrücklich aufgrund seiner „vorbildlichen“ Kriegssoldatenlaufbahn.
Wenige Monate später zeigte Werner Müller erneut Zivilcourage: Er beteiligte sich an einer heimlichen Betriebszeitung für die Belegschaft der Continental-Werke in Hannover. Diese illegale Fabrikzeitung mit dem Titel „Der Conti-Arbeiter“ prangerte Missstände an und rief zur Solidarität auf. Müller fungierte als Mitautor und Verteiler. Auch diese Aktion blieb nicht unentdeckt. Die Polizei ermittelte über ein Jahr gegen Müller und etwa zehn Arbeiter von Continental. Am Ende mussten die Richter das Verfahren zwar mangels Beweisen einstellen – acht Beteiligte konnten sie nichts nachweisen. Doch für Werner Müller hatte es trotzdem schwerwiegende Folgen: Da er während seiner Bewährungszeit erneut politisch aktiv gewesen war, widerrief man die Bewährung. Müller musste für zwei Jahre ins Gefängnis. Die an der Flugblattaktion beteiligten Kollegen verloren darüber hinaus ihre Stellen – ein drastisches Beispiel für die politische Atmosphäre der Zeit.
Einsatz für Aufklärung und Erinnerungskultur
Nach Verbüßung der Haftstrafe kehrte Werner Müller wieder in die Gemeinschaft der Gleichgesinnten zurück. Er engagierte sich noch intensiver in der VVN, die inzwischen unter dem Namen VVN–Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) firmierte. Müllers Lebensziel war nun, die Erinnerungen an die Schrecken des Faschismus wachzuhalten und kommende Generationen zu warnen. Er war überzeugt, dass nur durch aktives Erinnern die Wiederholung von Unrecht verhindert werden könne. In den 1960er-Jahren knüpfte er Kontakte über die Grenzen hinweg, um den Gedanken des Antifaschismus international zu verankern. Gemeinsam mit Kameraden organisierte er internationale Begegnungen für Kinder von Widerstandskämpfern: Ferienlager in der DDR, Austausche mit französischen und niederländischen Familien sowie gemeinsame Jugendfahrten zu Gedenkorten wie Oradour-sur-Glane oder Buchenwald. Bei einer dieser Fahrten begleitete er eine Gruppe Jugendlicher persönlich und berichtete abends in eindrucksvollen Gesprächen von den Gefahren des Widerstands, aber auch vom Wert der Solidarität, die ihm das Überleben ermöglicht hatte.
Neben der Jugendarbeit trat Werner Müller persönlich als Zeitzeuge auf. Er besuchte Schulen, Gewerkschaftsveranstaltungen und Jugendgruppen, um aus erster Hand vom Widerstand zu berichten. Besonders seine offene, ehrliche Art und die anschauliche Schilderung von Erlebnissen machten seine Vorträge so eindrucksvoll. Müller schilderte eindringlich, wie wichtig Mut und Solidarität im Kampf gegen Diktatur sind – nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch als Haltung für die Gegenwart. Seine glaubwürdigen Berichte machten Eindruck auf die junge Generation und wurden teilweise in Schülerzeitungen dokumentiert. In den 1970er- und 1980er-Jahren beteiligte er sich zudem an Ausstellungen und Gedenkprojekten, die sich auch mit der lokalen Geschichte des Widerstands beschäftigten. Als Mitarbeiter der historischen Forschungskommission Niedersachsen half er, Dokumente über den antifaschistischen Widerstand zusammenzutragen, Interviews mit Überlebenden zu führen und eine Chronik der Verbrechen des Nazi-Regimes in der Region Hannover zu verfassen. Darüber hinaus hielt er Vorträge auf wissenschaftlichen Tagungen und war als Ansprechpartner für Journalisten und Historiker gefragt, die zur Geschichte des Widerstands arbeiteten.
Spätes Wirken, Tod und Ehrungen
Bis ins hohe Alter blieb Werner Müller politisch aktiv. Auch nachdem die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Ende der 1960er Jahre gegründet wurde, arbeitete er an Publikationen über die Geschichte der Arbeiterbewegung mit. Zeitweilig verfasste er Artikel für Zeitungen drüben in der DDR – so erschien 1969 in Neues Deutschland ein Beitrag von ihm, der die Ehrung der Opfer des Faschismus in den Mittelpunkt stellte. Noch 1989, im Jahr der Wende, schrieb Müller Rezensionen und geschichtliche Aufsätze, die sich mit der Rolle der DDR in der deutschen Geschichte auseinandersetzten.
Werner Müller starb Ende des 20. Jahrhunderts. Sein genaues Todesdatum wird mit dem 28. Dezember 1990 angegeben. Er wurde rund 80 Jahre alt und hinterließ ein reiches Erbe des Mutes und Engagements. Müller erhielt für sein Wirken verschiedentlich Anerkennung. In der DDR wurde sein Einsatz als Widerstandskämpfer mit großer Wertschätzung betrachtet – so wurde er vom dortigen Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer geehrt und häufig zu Veranstaltungen eingeladen. In seiner Heimatstadt Hannover erinnert man sich ebenfalls an ihn: Sein Name findet sich in Dokumentationen über die NS-Zeit und den Nachkriegswiderstand. Auch wenn ihm in der Bundesrepublik kein offizieller Orden verliehen wurde – was unter anderem auf die politische Ausgrenzung kommunistischer Aktivisten in der Ära des Kalten Krieges zurückzuführen ist, galt er doch als würdiger Vertreter der „anderen Deutschen“, die dem Terror die Stirn geboten. Nach seinem Tod würdigten ehemalige Mitstreiter Werner Müller als unbeirrbaren Kämpfer für Freiheit und Menschenwürde. Sein Lebensweg, vom jungen Kommunisten über den Verfolgten bis hin zum Mahner der Nation, steht exemplarisch für die Biografien vieler deutscher Widerstandskämpfer.
Quellen: Die Angaben beruhen auf zeitgeschichtlichen Dokumenten und Veröffentlichungen, unter anderem der VVN-BdA Niedersachsen und Archivmaterialien der Nachkriegsprozesse sowie Erinnerungsberichten Werner Müllers selbst. Sie geben Einblick in das bewegte Leben eines Hannoveraners, der mutig gegen Unrecht eintrat und dessen Vermächtnis bis heute nachwirkt.