Wehrpflicht auf Sand gebaut
Warum eine Rückkehr zur Zwangsrekrutierung scheitern muss
Ein Kommentar zur neuesten Kriegsfantasie aus Berlin
Kaum ist die Bundeswehr wieder im Gespräch, wird ein historischer Irrweg beschritten: Die Wehrpflicht soll zurück. Als hätte man nichts aus der Vergangenheit gelernt, versuchen Teile der Politik nun, ein autoritäres Modell der Vergangenheit neu zu beleben – als könnte man mit Zwang die Risse einer tief gespaltenen Gesellschaft kitten. Die Regierung – oder besser gesagt: die Mini-Koalition – redet sich den Mund fusselig über eine „kriegstüchtige Armee“. Doch keiner dieser Kriegsfreunde scheint zu wissen, was sie da eigentlich fordern. Die Wirklichkeit in Deutschland hat mit den alten Wehrpflichtzeiten nichts mehr zu tun – und das wird zum Problem.
Was wir heute erleben, ist ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel. Während die einen nostalgisch auf ein vergangenes Modell blicken, das Ordnung und Disziplin versprach, leben wir längst in einer anderen Realität: globalisiert, durchmischt, geprägt von tiefen sozialen Gegensätzen und politischen Entfremdungen. Wer glaubt, man könne in diesem Umfeld mit alten Methoden nationale Einheit und Wehrbereitschaft herstellen, irrt nicht nur, sondern gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Seit die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, hat sich das Land tiefgreifend verändert. Die Bevölkerung ist bunter geworden, die sozialen Unterschiede größer, die politischen Spannungen tiefer. In den Städten wachsen neue Kulturen heran, die mit der Bundeswehr und dem deutschen Militär nichts verbinden. Gleichzeitig fühlen sich viele Jugendliche von Staat und Politik im Stich gelassen. Wer jetzt meint, man könne ein überholtes Konzept aus der Mottenkiste holen, um damit die sogenannte „Verteidigungsbereitschaft“ zu steigern, zeigt nur, wie fern er der Lebensrealität der heutigen Jugend ist.
Mehr noch: Die Diskussion um die Wehrpflicht ist ein Versuch, Verantwortung von oben nach unten abzuwälzen. Statt politische Fehlentscheidungen zu hinterfragen – etwa den Abbau von Sozialleistungen oder die katastrophale Wohnungspolitik – sollen Jugendliche als Sündenböcke herhalten, die durch ihren Dienst angeblich gesellschaftlichen Zusammenhalt schaffen. Statt die Ursachen für gesellschaftliche Spaltung zu bekämpfen, sollen junge Menschen gezwungen werden, für ein System einzustehen, das ihnen zunehmend Perspektivlosigkeit bietet. Die Bundeswehr wird so nicht zur Schule der Nation – sondern zur Notlösung eines Staates, der seine sozialen Aufgaben nicht mehr erfüllt.
Wehrpflicht? Für wen denn überhaupt?
Fast die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland hat einen sogenannten Migrationshintergrund. Viele davon besitzen keinen deutschen Pass und wären von einer Wehrpflicht gar nicht betroffen. Doch die politische Debatte tut so, als gäbe es diese Realität nicht. Wer soll dann tatsächlich eingezogen werden? Genau: die biodeutsche Minderheit – eine schrumpfende Bevölkerungsgruppe, die in vielen Städten bereits nicht mehr die Mehrheit stellt. In manchen Großstädten sind sie sogar in Klassen und Vierteln zur absoluten Minderheit geworden.
Diese demografische Entwicklung wird in der Debatte gezielt übergangen. Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern um die Frage der Gerechtigkeit. Wenn nur ein Teil der Jugend zum Dienst gezwungen wird, während ein anderer unbeteiligt bleibt, entsteht eine gefährliche Schieflage. Die einen erleben Drill, Befehl und Unterordnung – die anderen sind Zuschauer. Das zersetzt das Gefühl von Fairness und Gleichbehandlung. Eine Wehrpflicht unter diesen Bedingungen spaltet nicht nur die Kaserne, sondern auch die Gesellschaft.
Und was passiert, wenn nur diese Jugendlichen zum Dienst gezwungen werden? Die einen marschieren, die anderen schauen zu – oder lachen sich ins Fäustchen. Das spaltet nicht nur die Kasernen, sondern die gesamte Gesellschaft. Vorurteile und Spannungen würden sich verschärfen, und das Vertrauen in den Staat weiter sinken. Hinzu kämen psychische Belastungen, Konflikte in der Truppe und ein Klima der Unsicherheit.
Hinzu kommt: Viele Jugendliche, die als „deutsch“ gelten, fühlen sich diesem Staat nicht zugehörig. Sie erleben Ausgrenzung, soziale Ungleichheit, Rassismus – nicht als Ausnahme, sondern als Normalität. Warum sollten sie für ein System kämpfen, das ihnen nichts bietet? Für eine Gesellschaft, die ihnen keinen Platz, keine Stimme und keine Sicherheit gibt?
Zwangsdienst unter diesen Bedingungen bedeutet nicht Integration, sondern Entfremdung und neue Konflikte. Die jungen Menschen spüren, dass ihnen nicht zugehört wird – dass sie nicht gefragt, sondern kommandiert werden. Was als einheitliches Pflichtmodell verkauft wird, entlarvt sich als einseitiger Befehl an die sozial Schwächeren. Genau das untergräbt jeden Versuch, Zusammenhalt zu stiften.
Kasernierte Konflikte – eine Gesellschaft unter Druck
Die Bundeswehr ist auf die Vielfalt der Gesellschaft nicht vorbereitet. Selbst die Schulen – mit Jahrzehnten Erfahrung – scheitern oft an dieser Aufgabe. In Kasernen aber gibt es kein Ausweichen. Dort treffen Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus, Kulturen und Sprachen aufeinander – im Rahmen von Befehl und Gehorsam. Es fehlt an pädagogischer Betreuung, an interkulturellem Wissen, an Raum für Gespräche. Während Schulen und Jugendämter immerhin Strukturen für Bildungsarbeit und Konfliktlösung aufgebaut haben, bleibt die Bundeswehr auf diesem Gebiet völlig unerfahren. In Ländern wie Kanada oder Schweden etwa setzen staatliche Einrichtungen gezielt auf soziale Integration durch Bildung und Partizipation – in der Bundeswehr jedoch herrschen starre Hierarchien und Schweigekultur. Ein Ansatz, der dem Anspruch einer pluralen Gesellschaft nicht gerecht wird. Was im Schulalltag mit Mühe und Fachpersonal halbwegs gelingt, wird in der Kaserne durch Drill ersetzt.
Wer sich eine reibungslose Truppe aus „Maximilian“ und „Mohammed“ erträumt, hat die Realität aus den Augen verloren. Für viele Migranten ist die Bundeswehr ein fremder Ort, ein Symbol staatlicher Autorität, mit der sie wenig Vertrauen verbinden. Einige haben die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, um dem Militärdienst im Herkunftsland zu entgehen – nun sollen sie hier dienen? Andere sind in Familien aufgewachsen, die vor Krieg, Gewalt oder politischer Verfolgung flohen – und jetzt erwartet man von ihren Kindern, dass sie für ein System kämpfen, das sie oft ausgrenzt?
Solche Widersprüche verschärfen soziale Spannungen. Sie erhöhen das Risiko von Diskriminierung, Eskalation und Spaltung innerhalb der Truppe. Es entsteht keine „nationale Einheit“, sondern eine Zwangsgemeinschaft voller Misstrauen. Der Konflikt ist vorprogrammiert. In einer Truppe, die nicht aus Überzeugung, sondern aus Zwang zusammengesetzt ist, fehlt jede gemeinsame Grundlage. Misstrauen wird zur Norm, Spannungen zur alltäglichen Erfahrung. Es braucht keine offene Konfrontation, um das System ins Wanken zu bringen – das gegenseitige Schweigen, Ausweichen, Abwerten reicht. Aus Kameradschaft wird Kälte, aus Einheit wird Misstrauen. Die Bundeswehr wird so zum Spiegel einer zerrissenen Gesellschaft – aber nicht zu ihrer Lösung.
Was soll hier eigentlich verteidigt werden?
Die Wirtschaft taumelt, die Regierung kündigt sinkenden Lebensstandard an. Immer mehr Menschen rutschen in Armut, während die Reichen reicher werden. Für wen also sollen die Jugendlichen ihr Leben riskieren? Für „westliche Werte“, die nur auf dem Papier gelten? Für Eliten, die selbst niemals kämpfen werden? Für eine Ordnung, die ihnen weder Chancen noch Teilhabe bietet?
In Wahrheit wird die Idee der Wehrpflicht als Gleichheitsprojekt verkauft, ist aber ein weiterer Schritt zur sozialen Ausgrenzung. Wer kein Studium aufnehmen kann, keine reichen Eltern hat und keine Lobby hinter sich, der landet schneller in der Kaserne. Die soziale Selektionsmaschine funktioniert präzise: Die einen gehen an die Front, die anderen in die Vorstandsetagen.
Die, die den Krieg fordern, schicken nicht ihre eigenen Kinder. Es sind die Armen, die Abgehängten, die Benachteiligten, die an die Front sollen. Für sie bedeutet die Rückkehr der Wehrpflicht nur eins: noch mehr Lasten, noch mehr Leid. Und im Kriegsfall? Dann gelten plötzlich andere Regeln: Wer sich weigert, wird kriminalisiert. Wer flieht, wird als Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Die staatliche Gewalt, die heute mit Argumenten kommt, greift morgen vielleicht mit harter Hand durch.
Gleichzeitig erleben junge Menschen Wohnungsnot, schlechte Arbeitsbedingungen, Perspektivlosigkeit. Laut dem DGB-Ausbildungsreport 2023 fühlen sich mehr als 40 % der Auszubildenden überlastet, und fast jeder Dritte sieht keine langfristige berufliche Perspektive. Studien zeigen zudem, dass die Mietbelastung junger Erwachsener in Ballungsräumen überdurchschnittlich hoch ist. Diese Lage trifft insbesondere die 18- bis 25-Jährigen – genau jene Generation, die man nun in Uniform zwingen will. Die Ausbildungsplätze reichen nicht aus, befristete Verträge und Niedriglöhne bestimmen ihren Alltag. Und jetzt sollen sie auch noch für Rüstungskonzerne und NATO-Interessen bluten? Für ein „Verteidigungskonzept“, das niemand erklärt und das auch keiner wirklich will? Währenddessen verkaufen Politiker das Ganze als „Verantwortung“. Tatsächlich aber ist es eine Verantwortungslosigkeit gegenüber der eigenen Jugend – eine, die aus Bequemlichkeit geboren ist, weil man die wahren Probleme nicht anpacken will.
## Die alte Lüge vom gemeinsamen Dienst
Die Idee, eine Wehrpflicht könne aus einer zersplitterten Gesellschaft eine Einheit machen, ist ein gefährlicher Irrtum. Wer Zwangsdienst fordert, will Gehorsam erzwingen – nicht Zusammenhalt fördern. Und dieser Gehorsam muss in einer gespaltenen Gesellschaft mit Druck, Drill und Gewalt durchgesetzt werden. Aus einem Mosaik aus Erfahrungen, Herkunft und Lebensrealitäten lässt sich keine einheitliche Truppe zwingen, ohne massive soziale Spannungen zu riskieren. Die Kaserne ersetzt keinen Dialog, kein gegenseitiges Verständnis, keine gemeinsame Erfahrung von Gleichwertigkeit. Sie ist ein Ort der Gleichschaltung, nicht der Begegnung.
Die kulturellen, religiösen und sozialen Unterschiede, die in einer pluralistischen Gesellschaft normal sind, werden in der Logik des Militärs zu Hindernissen. Statt auf gegenseitigen Respekt und demokratische Prozesse zu setzen, verlangt das System der Wehrpflicht bedingungslosen Gehorsam. Doch ohne Anerkennung der Unterschiede gibt es keine echte Integration. Das Militär kann keine Einheit erzwingen, wo es kein Vertrauen gibt. Es kann keine Werte vermitteln, die es selbst nicht lebt. In der Uniform verschwinden die Unterschiede nicht – sie werden unterdrückt, und damit nur noch explosiver.
Was hier droht, ist keine moderne Armee, sondern ein Rückfall in die dunkelsten Kapitel deutscher Militärgeschichte. Wer Integration mit Kommandos und Appellen erzwingen will, schafft keine Demokratie, sondern Autoritarismus. Der Appellplatz ist kein Ort der Aufklärung, sondern der Unterwerfung. Was früher mit Schlägen durchgesetzt wurde, soll heute mit patriotischen Parolen und Disziplin geschehen. Doch das Grundproblem bleibt: Man kann keine Vielfalt zur Einheit prügeln. Wer Uniformen über soziale Widersprüche stülpt, erzeugt keine Einheit, sondern eine Illusion von Ordnung – und die zerbricht, sobald der äußere Zwang nachlässt. Die Geschichte hat gezeigt, wohin dieser Weg führen kann: zu Misstrauen, Militarismus und innerer Zerrüttung.
Was nötig ist, ist keine Armee, sondern eine gerechte Gesellschaft. Eine, in der niemand kämpfen muss, weil alle ein gutes Leben haben. Eine, in der Solidarität zählt – nicht Nationalismus. Eine Gesellschaft, in der Bildung, Teilhabe, Mitbestimmung und soziale Sicherheit die Menschen zusammenbringen, nicht einheitliche Marschschritte. Eine Gesellschaft, die Konflikte zivil löst, nicht militärisch. Die Stärke ihrer Jugend nicht in Waffen sucht, sondern in Ideen, in Engagement, in der Hoffnung auf Veränderung. Nur wer den Menschen etwas zu verlieren gibt, das mehr wert ist als ein Stück Stoff in Tarnfarben, kann auf echte Verbundenheit hoffen. Nicht durch Befehl entsteht Einheit – sondern durch Vertrauen, Respekt und die Erfahrung gemeinsamer Verantwortung. Die Antwort auf Spaltung ist nicht Zwang, sondern Gerechtigkeit. Nicht Drill, sondern Demokratie.
Antiimperialismus statt Kriegspolitik
Wir sagen Nein zur Wehrpflicht. Nein zur Militarisierung. Nein zu Krieg, NATO-Fantasien und imperialistischer Einmischung in andere Länder. Deutschlands Rolle in der Welt darf nicht die eines Helfers bei Kriegen und Ausbeutung sein, sondern muss auf der Seite der Völker stehen, die sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung wehren.
Wir sagen Ja zu einer Gesellschaft, die auf Gerechtigkeit, Bildung, Gesundheit und bezahlbarem Wohnen basiert. Wir sagen Ja zur Jugend, die leben und nicht sterben will. Wir sagen Ja zu einer Welt ohne Kasernen, ohne Befehle, ohne Schützengräben.
Für eine Friedensbewegung von unten!
- Keine Wehrpflicht – weder für Männer noch für Frauen!
- Keine Kriege für Kapital und NATO!
- Nein zur Militarisierung der Gesellschaft!
- Ja zu Bildung, Gesundheit und Wohnungen für alle!
- Frieden statt Waffen!
- Für das Recht, Nein zu sagen!
- Für das Leben statt für den Tod!
- Keine Kriege für Kapital und NATO!
- Nein zur Militarisierung der Gesellschaft!
- Ja zu Bildung, Gesundheit und Wohnungen für alle!
- Frieden statt Waffen!
- Für das Recht, Nein zu sagen!
- Für das Leben statt für den Tod!
Frieden kommt nicht aus dem Lauf einer Waffe – sondern aus internationaler Solidarität, dem gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung, und dem Aufbau einer Welt ohne Imperialismus, Kolonialismus und Krieg.
Unsere Zukunft verteidigen wir nicht mit der Waffe, sondern mit Mut, Zusammenhalt und einer klaren Absage an den Krieg. Für eine gerechte, friedliche und solidarische Gesellschaft!