Kurt Willkomm (1905–1933)
Ein Leben für die Arbeiterklasse und gegen den Faschismus
Herkunft und frühe Jahre
Kurt Willkomm wurde am 28. August 1905 im kleinen Ort Hermsdorf in der Lausitz geboren, einem Teil Sachsens mit starker industrieller Prägung. Sein Vater war Eisenbahner, die Familie gehörte damit zur werktätigen Klasse, aus der viele später überzeugte Kommunisten hervorgingen. Diese Herkunft prägte ihn nachhaltig. Sie war nicht nur Ausgangspunkt seiner Weltanschauung, sondern auch der Schlüssel zu seinem späteren Engagement für soziale Gerechtigkeit und kollektive Emanzipation. In seinem Elternhaus wurde viel über soziale Fragen gesprochen, und die prekäre Lage der Eisenbahner-Familien machte ihn früh auf die Ungleichheiten der Gesellschaft aufmerksam. Auch in der Gemeinde war die Not vieler Arbeiterfamilien sichtbar, was sein Mitgefühl und seine politische Wachsamkeit weckte.
Schon als Kind entwickelte er ein Gespür für soziale Ungerechtigkeit. Besonders prägte ihn ein Vorfall in der Schule, als ein armer Mitschüler wegen zerrissener Kleidung von der Lehrkraft öffentlich gedemütigt wurde. Während die meisten Kinder schweigend oder ängstlich zusahen, stellte sich Kurt demonstrativ an die Seite des Mitschülers. Die Lehrkraft reagierte mit Tadel, doch einige Mitschüler begannen daraufhin, dem Ausgegrenzten beizustehen. Dieses frühe Erlebnis stärkte Kurts Gerechtigkeitssinn und seine Bereitschaft, sich gegen Autoritäten zu stellen, wenn es um Menschlichkeit ging. Es war der Anfang eines Lebens im Dienste der Solidarität.
Kurt war ein begabter Schüler, weshalb er ein Stipendium für das Lehrerseminar erhielt – eine äußerst seltene Möglichkeit für ein Kind aus einer Arbeiterfamilie, das in einer Gesellschaft lebte, in der höhere Bildung meist den bürgerlichen Schichten vorbehalten war. In den 1920er Jahren begann er seine Laufbahn als Lehrer an einer Volksschule in einem Arbeiterviertel, wo er vor allem Kinder aus einfachen und oft prekären Verhältnissen unterrichtete. Er erkannte schnell, dass bloße Bildung nicht ausreicht, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen unverändert bleiben. So entschied er sich, seinem politischen Gewissen zu folgen, anstatt eine bürgerliche Karriere zu verfolgen. Bildung sah er nicht als Aufstiegsinstrument, sondern als Mittel der Aufklärung und Emanzipation der Arbeiterklasse.
Politische Radikalisierung und Weg zur KPD
Die Weimarer Republik war von Unsicherheit, Hunger und wachsendem politischen Extremismus geprägt. In dieser Atmosphäre radikalisierte sich Willkomm. Besonders ein regionaler Vorfall prägte ihn nachhaltig: Als 1923 während der Ruhrbesetzung französische Truppen in Hannover für Unruhe sorgten und es zu massiven Protesten kam, erlebte Willkomm aus nächster Nähe, wie Arbeiter brutal niedergeknüppelt wurden. Diese Erfahrung ließ ihn erkennen, dass staatliche Gewalt oft im Dienste des Kapitals stand – eine Erkenntnis, die ihn endgültig zum Marxisten machte.
Er trat der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, die sich als revolutionäre Arbeiterpartei verstand. Ihr Ziel war es, die kapitalistische Gesellschaftsordnung zu überwinden und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, die auf den Ideen von Karl Marx und Wladimir Lenin basierte. Die KPD war besonders in den industriellen Zentren stark verankert und stellte eine bedeutende Kraft im linken politischen Spektrum der Weimarer Republik dar – sie vereinte Arbeiter, Arbeitslose, Intellektuelle und politische Flüchtlinge im Kampf gegen Kapitalismus und Reaktion. In der KPD übernahm Willkomm rasch Verantwortung. Er engagierte sich in der Agitation und Propaganda, hielt Reden auf Versammlungen, schulte junge Genossen in Theorie und Praxis des Marxismus und schrieb Artikel für Parteizeitungen. Seine Texte waren scharf, klar und nah an den Lebenswirklichkeiten der Arbeiter.
1927 zog er nach Hannover, wo er zunächst eine Stelle als Bankangestellter annahm, aber rasch hauptamtlich politisch aktiv wurde. Ab 1931 war Willkomm Redakteur der kommunistischen Zeitung „Neue Arbeiter Zeitung“, die regelmäßig über Arbeitskämpfe, soziale Notlagen, Polizeigewalt und internationale Entwicklungen im Sinne der marxistischen Weltanschauung berichtete. Besonders hervorzuheben ist eine Artikelreihe, in der Willkomm die Lebens- und Wohnverhältnisse hannoverscher Industriearbeiter analysierte und dabei eine Verbindung zwischen Kapitalinteressen und staatlicher Repression herstellte. Diese Analysen machten ihn über Hannover hinaus bekannt. 1932 wurde er zum Hauptkassierer der KPD für Niedersachsen gewählt – ein Posten, der ihm Einblick in viele organisatorische Abläufe gab. Seine organisatorischen Fähigkeiten und seine Standfestigkeit machten ihn zu einer Schlüsselfigur im regionalen Parteiapparat.
Kampf gegen den Faschismus
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde die KPD verboten. Willkomm aber ließ sich nicht einschüchtern. Besonders die Zerschlagung der freien Gewerkschaften im Mai 1933 und die Verhaftung mehrerer enger Genossen in Hannover bestärkten ihn in der Überzeugung, dass der antifaschistische Widerstand nun umso notwendiger war. Er kämpfte weiter – nun im illegalen Widerstand. Gemeinsam mit anderen Genossinnen und Genossen baute er konspirative Strukturen auf, etwa ein geheimes Verteilernetz für Flugschriften, das über mehrere hannoversche Stadtteile hinweg funktionierte. Bei einer besonders riskanten Aktion schmuggelte er eine mehrseitige Analyse der politischen Lage in einer Brottasche durch eine Polizeisperre, um sie an ein Kontaktbüro der illegalen Parteiführung weiterzuleiten. Er druckte Flugblätter, organisierte geheime Treffen, verfasste Lageberichte und versuchte, die Parteiarbeit unter schwierigsten Bedingungen aufrechtzuerhalten.
Seine Lebensgefährtin Margarete „Grete“ Nagel (später Hoell), mit der er eine Tochter hatte, unterstützte ihn aktiv. Sie war selbst politisch engagiert und trug die Gefahren des illegalen Kampfes mit Fassung und Entschlossenheit. Grete übernahm Kurierdienste, verteilte Flugblätter und half bei der Unterbringung von Genoss:innen, die vorübergehend untertauchen mussten. Ihr mutiges Handeln war ein unverzichtbarer Bestandteil der Widerstandsarbeit. Beide verband nicht nur eine private Liebe, sondern ein gemeinsamer, tief empfundener Klassenstandpunkt. Sie lebten in bescheidenen Verhältnissen, doch ihre politische Überzeugung war unerschütterlich.
Der antifaschistische Widerstand war ein Kampf auf Leben und Tod. Die Gestapo, die Geheime Staatspolizei des NS-Regimes, setzte alles daran, die noch aktiven KPD-Strukturen zu zerschlagen. Viele Genossinnen und Genossen wurden verhaftet, gefoltert, ermordet oder in Konzentrationslager verschleppt. Einer der bekanntesten Fälle war der hannoversche KPD-Funktionär Otto Brenner, der zwar überlebte, aber ebenfalls schwer verfolgt wurde. Solche Schicksale waren für Willkomm und seine Mitstreiter ständige Mahnung und Bestätigung zugleich, dass ihr Kampf gegen das nationalsozialistische Regime notwendig und gerecht war. Willkomm wusste um die Gefahr, doch er wich nicht zurück. Unter seinen Genossinnen und Genossen galt er als Symbol unbeugsamer Standhaftigkeit. Sein Mut, sich weiterhin öffentlich zu bekennen und trotz Lebensgefahr den Widerstand mitzugestalten, wurde als außergewöhnliches Vorbild gewürdigt.
Verhaftung, Folter und Tod
Am 5. November 1933 wurde Kurt Willkomm verhaftet. Die Gestapo hatte ihn als einen der zentralen Organisatoren des Widerstands in Niedersachsen identifiziert. Er kam in das Gestapo-Gefängnis in Hannover. Dort wurde er schwer gefoltert, mit Schlägen, Schlafentzug und Isolationshaft – Methoden, mit denen die Nazis den Willen ihrer Gegner brechen wollten. Elf Tage später, am 16. November 1933, war er tot.
Die offizielle Todesursache lautete "Lungenembolie" – eine oft vorgeschobene Erklärung, mit der die Nazis die tatsächlichen Umstände verschleierten. In Wirklichkeit war Kurt Willkomm ein weiteres Opfer der brutalen Verfolgungspolitik des Faschismus. Sein Körper zeigte deutliche Spuren schwerster Misshandlungen. Die Nachricht von seinem Tod verbreitete sich unter seinen Genossinnen und Genossen wie ein Schock. Auch in Kreisen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und unter sozialistischen Intellektuellen wurde sein Tod wahrgenommen und sorgte für Betroffenheit. In Flugblättern und in geheimen Zusammenkünften wurde seiner gedacht und sein Name zum Symbol für den unbeugsamen Widerstand gegen das NS-Regime. Viele waren tief erschüttert, doch gleichzeitig wuchs ihre Entschlossenheit, den antifaschistischen Kampf fortzusetzen. Innerhalb der verbliebenen Parteikreise wurde Willkomm als Märtyrer bezeichnet, und es entstanden neue Versuche, den Widerstand in seinem Sinne weiterzuführen. In geheimen Treffen erinnerten sich seine Mitstreiter an seinen Mut und seine Klarheit, was zur Stärkung des moralischen Zusammenhalts beitrug.
Er wurde nur 28 Jahre alt.
Nachwirken und Gedenken
Die nationalsozialistische Diktatur wollte nicht nur Menschen wie Kurt Willkomm zum Schweigen bringen – sie wollte ihre Geschichte auslöschen. Doch die Erinnerung an ihn überdauerte. Nach dem Krieg engagierte sich seine ehemalige Lebensgefährtin Grete Hoell aktiv in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Sie sprach in Schulen, schrieb Texte und hielt das Andenken an ihren Gefährten wach. Auch ihre Tochter trug die Erinnerung an ihren Vater weiter und engagierte sich später für demokratische und soziale Anliegen.
Im Rahmen des öffentlichen Gedenkens erinnert die Stadt Hannover bis heute auf vielfältige Weise an Kurt Willkomm und würdigt sein mutiges Handeln im Widerstand gegen den Faschismus. In Hannover wird Kurt Willkomm heute auf mehreren Wegen geehrt:
• Auf dem Stadtfriedhof Ricklingen befindet sich sein Ehrengrab, gepflegt von Antifaschistinnen und Antifaschisten.
• Im Stadtteil Mühlenberg wurde eine Straße nach ihm benannt: der Kurt-Willkomm-Weg (seit 1987), ein Zeichen sichtbarer Erinnerung.
• Am Ort seiner letzten Wohnung in der List wurde 2008 ein Stolperstein verlegt – eine kleine Gedenkplatte aus Messing im Gehweg, die an Opfer des Faschismus erinnert.
• In Ausstellungen über den Widerstand in Niedersachsen findet sich sein Name regelmäßig neben anderen bedeutenden Kämpfern für Freiheit und Gerechtigkeit.
Zudem erinnern antifaschistische Gruppen, Gewerkschaften und die VVN-BdA regelmäßig an ihn und andere Widerstandskämpfer. In Veranstaltungen, Publikationen und Gedenkaktionen wird sein Name genannt. Auch in linken Jugendgruppen ist er Teil der Erinnerungskultur. Einige Schulen und Bildungsprojekte in Hannover greifen sein Beispiel auf, um Jugendliche für die Gefahren des Faschismus und die Bedeutung solidarischen Handelns zu sensibilisieren.
Sein Leben und Tod sind ein Zeugnis des Widerstands gegen den Faschismus. Wie ein Mitstreiter später schrieb: „Kurt war einer von uns – mutig, klar und unbeirrbar. Er lebte für die Sache der Arbeiter und starb für die Hoffnung auf eine gerechte Welt.“ – nicht aus dem Exil, nicht mit Waffen, sondern aus dem Herzen der Arbeiterklasse. Er war ein Kämpfer für eine andere, bessere Gesellschaft – für den Sozialismus. Sein Vorbild lebt weiter im Engagement der heutigen Generationen für Frieden, soziale Gerechtigkeit und antifaschistische Wachsamkeit.
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