Grete Höll
Eine antifaschistische Widerstandskämpferin aus Hannover
Frühe Jahre und politisches Erwachen (1909–1933)
Grete Höll, geboren am 18. Oktober 1909 in Hannover, wuchs als drittes Kind des Bäckermeisters Fritz Baumgarten in einem Arbeiterhaushalt auf. Ihre Kindheit verbrachte sie im Stadtteil Herrenhausen, wo die Familie eine eigene Bäckerei in der damaligen Herrenhäuser Straße betrieb. Nach dem Besuch der Volksschule bis 1925 absolvierte Grete ein Jahr an der Handelsschule, wo sie Schreibmaschineschreiben, Buchführung und kaufmännisches Rechnen lernte. Danach arbeitete sie als Büroangestellte in einer kleinen hannoverschen Firma, wo sie erste Erfahrungen mit der Ausbeutung einfacher Arbeiter sammelte. Bereits zu dieser Zeit besuchte sie politische Veranstaltungen der Arbeiterjugend, las linke Zeitungen und schloss erste Kontakte zu sozialistisch orientierten Kolleginnen und Kollegen. um sich kaufmännische Kenntnisse anzueignen. Bereits in jungen Jahren erlebte sie die politischen und sozialen Spannungen der Weimarer Republik, die ihren weiteren Lebensweg prägten. Diese Zeit war gezeichnet von wirtschaftlicher Unsicherheit, Massenarbeitslosigkeit und dem Erstarken nationalistischer Bewegungen – all das politisierte die junge Frau zunehmend.
Ende der 1920er-Jahre kam Grete Höll mit der Arbeiterbewegung in Berührung. In Hannover herrschten zu dieser Zeit starke soziale Spannungen. Die Arbeiterklasse litt unter den Folgen der Weltwirtschaftskrise, viele Familien waren von Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot betroffen. Die KPD war in der Region gut organisiert und sprach gezielt junge Arbeiterinnen und Arbeiter an. In Hannover betrieb die Partei mehrere Stadtteilgruppen, organisierte öffentliche Versammlungen und betrieb Aufklärungskampagnen gegen den aufkommenden Faschismus. Eine prägende Figur in der hannoverschen KPD war Heinrich Gattineau, der als erfahrener Parteifunktionär und Organisator maßgeblich an der Mobilisierung der Arbeiterschaft beteiligt war. In diesem Umfeld wuchs bei Grete das Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit und politische Mitverantwortung. Über ihren ersten Ehemann, Theodor Nagel, fand sie 1929 den Weg in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD). Sie identifizierte sich mit den Zielen der Kommunisten, die sich gegen soziale Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, Kriegstreiberei und den aufkommenden Faschismus stellten. Die Ehe mit Nagel hielt nicht lange – bereits 1931 wurde sie geschieden. Doch im selben Jahr lernte Grete den Journalisten Kurt Willkomm kennen, einen engagierten Mitstreiter in der linken Bewegung. Willkomm war politischer Redakteur der Neuen Arbeiter Zeitung, dem hannoverschen Sprachrohr der KPD, und ein bekannter Aktivist in der linken Szene Hannovers. Grete und Kurt verlobten sich 1932 und planten eine gemeinsame Zukunft. Im Januar 1933 kam ihre Tochter Sonja zur Welt. Trotz der Herausforderungen, die mit dem Muttersein einhergingen, ließ sich Grete Höll nicht davon abhalten, weiterhin politisch aktiv zu sein. Sie organisierte ihre Aktivitäten so, dass sie sowohl für ihre Tochter sorgen als auch im Widerstand mitwirken konnte. Oft nahm sie das Kleinkind mit, wenn sie sich mit Genossen traf oder Materialien weiterleitete. Ihre Rolle als Mutter verstärkte ihren Kampfgeist – sie wollte für ihr Kind eine Welt ohne Faschismus, Angst und Unterdrückung schaffen. – wenige Tage bevor die Nationalsozialisten an die Macht gelangten.
Die sogenannte „Machtübernahme“ Hitlers am 30. Januar 1933 veränderte das Leben der jungen Familie schlagartig. Als überzeugte Antifaschisten erkannten Grete Höll und Kurt Willkomm sofort die Gefahr, die vom faschistischen Regime ausging. Kurt tauchte in den Untergrund ab, um der Verhaftungswelle gegen Kommunisten zu entgehen, sodass die geplante Hochzeit der beiden nicht mehr stattfinden konnte. Trotz der Lebensgefahr hielt Grete den Kontakt zu ihm aufrecht – durch die Solidarität vieler Genossen konnten sich Grete und Kurt gelegentlich im Geheimen treffen, auch nachdem die KPD verboten worden war. Grete Höll stand nun mit nur 23 Jahren allein mit ihrem Neugeborenen da und kämpfte zugleich im Untergrund für ihre Überzeugungen. Sie organisierte Hilfe für verfolgte Genossen, brachte verbotene Literatur in Umlauf und war ständig von Verhaftung bedroht.
Widerstand und Verfolgung in der NS-Zeit (1933–1935)
Nach der Machtübertragung an die Nazis begann für Grete Höll unmittelbar der antifaschistische Widerstand. Ihr Verlobter Kurt Willkomm gehörte zur illegalen Bezirksleitung der KPD in Niedersachsen und arbeitete daran, die zerschlagene Partei im Untergrund neu zu organisieren. Grete unterstützte ihn und andere Mitstreiter, indem sie beispielsweise half, geheime Flugblätter und Schriften herzustellen und zu verbreiten. Eine dieser Schriften war die sogenannte "Rote Front", ein handgetipptes Informationsblatt, das sich gegen die Kriegsvorbereitungen der Nazis wandte und unter Arbeitern in den Betrieben verteilt wurde. Auch beteiligte sie sich an der Verteilung des "Einheitsblattes" der illegalen KPD, das regelmäßig politische Analysen und Aufrufe zum Widerstand enthielt. Diese Mut machenden „illegalen Schriften“ sollten die Bevölkerung über die wahren Absichten des Hitler-Regimes aufklären und zum Widerstand ermutigen. Damit begab sich Grete Höll in große Gefahr, denn bereits der kleinste antifaschistische Akt wurde vom NS-Staat als „Hochverrat“ verfolgt. Der Terrorapparat war allgegenwärtig: Nachbarn denunzierten einander, Spitzel durchdrangen das gesamte gesellschaftliche Leben. Grete lebte in ständiger Angst, doch sie ließ sich nicht einschüchtern.
Am 5. November 1933 schlug das NS-Regime brutal zu: Kurt Willkomm wurde von der Gestapo aufgespürt. Die Nachricht von seiner Verhaftung verbreitete sich rasch unter den Genossen in Hannover und löste Bestürzung und Angst aus. Viele seiner Weggefährten reagierten mit großer Trauer, aber auch mit wachsender Entschlossenheit, den antifaschistischen Kampf fortzusetzen. Für Grete Höll war es ein schmerzlicher Wendepunkt, der ihr zugleich die ganze Härte des Widerstands gegen das Nazi-Regime vor Augen führte. und in Hannover verhaftet. In den Kellern des hannoverschen Gestapo-Hauptquartiers folterten SA-Männer ihn auf grausamste Weise. Elf Tage nach seiner Festnahme erlag der erst 28-jährige Kurt Willkomm den Folgen der Misshandlungen und wurde zum Opfer des Nazi-Terrors. Offiziell versuchte die Gestapo, seinen Tod als angebliche „Lungenembolie“ zu tarnen. Für Grete Höll war der Verlust ihres Verlobten ein schwerer persönlicher Schlag – doch ans Aufgeben dachte sie nicht. Trotz ihrer Trauer setzte sie den Widerstand fort, nun als alleinerziehende Mutter im Untergrund. Die Erinnerungen an Kurt gaben ihr Kraft, weiterzumachen. In dieser Phase bewies sie besonders viel Mut, denn sie wusste, dass ihr Leben jederzeit in Gefahr war. Dennoch besuchte sie weiterhin konspirative Treffen, schrieb geheime Berichte und hielt Kontakt zu anderen Kämpfern der Bewegung.
Lange konnte Grete ihren Verfolgern jedoch nicht entgehen. Am 27. März 1934 wurde sie von der Gestapo in Hannover verhaftet. Vermutlich hatten Spitzel oder die Auswertung sichergestellter Untergrundschriften ihre Aktivitäten verraten. Grete Höll landete im berüchtigten Gerichtsgefängnis Hannover am Raschplatz, wo die Nazis politische Gegner einsperrten. Wie viele andere Frauen und Männer der Arbeiterbewegung – ob Sozialdemokraten, Kommunisten oder Gewerkschafter – war sie nun eine Gefangene des faschistischen Regimes.
Die Haftbedingungen waren erbärmlich. In einem zeitgenössischen Bericht eines Mithäftlings heißt es: „Die Zellen waren kalt, feucht und überfüllt. Die Fenster waren vergittert, die Luft zum Schneiden.“ Viele der Inhaftierten litten unter Mangelernährung, Krankheiten und psychischer Zermürbung. Gewalt durch das Wachpersonal war an der Tagesordnung. Die Zellen waren überbelegt, das Essen unzureichend, und die Gefangenen wurden mit brutaler Gewalt zur Aussage gezwungen. Grete Höll wurde tagelang verhört, man drohte ihr mit der Trennung von ihrer Tochter, doch sie blieb standhaft. Fast ein Jahr blieb Grete in Untersuchungshaft, bevor ihr der Prozess gemacht wurde. Am 15. Februar 1935 wurde sie zusammen mit 23 Mitangeklagten vor dem Oberlandesgericht Hamm angeklagt und schließlich zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Das Gericht verurteilte Grete Höll schließlich zu einer Gefängnisstrafe – unter anderem aufgrund der Herstellung und Verbreitung illegaler antifaschistischer Druckschriften. Damit sanktionierte die NS-Justiz ihren mutigen Einsatz gegen das Hitler-Regime mit dem Entzug der Freiheit.
Ihre Inhaftierung war ein Versuch, den politischen Widerstand zu brechen. Doch auch im Gefängnis blieb Grete eine aufrechte Kommunistin. Sie versuchte, mit Mitgefangenen Kontakt zu halten, gab ihnen Mut und half, wo sie konnte. Besonders wichtig war ihr der Gedanke der Solidarität: Niemand sollte sich allein fühlen in diesen dunklen Zeiten. Viele Frauen, die mit ihr inhaftiert waren, erinnerten sich später an ihre ruhige, aber feste Haltung. Sie war ein Vorbild für andere, trotz aller Schmerzen und Verluste. Eine Mitgefangene erinnerte sich später: „Grete gab uns Hoffnung, selbst wenn alles trostlos erschien. Sie sprach leise, aber mit fester Stimme – und wir wussten, wir sind nicht allein.“. Als sie schließlich aus der Haft entlassen wurde, war Grete Höll gezeichnet an Körper und Seele – aber sie war nicht gebrochen.
Neubeginn nach 1945: Erinnerung, Engagement und Vermächtnis
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 begann für Grete Höll ein neues Kapitel. Endlich konnte sie ohne Angst leben und offen über ihre Erfahrungen sprechen. Sie setzte sich sofort für die politische und gesellschaftliche Erneuerung ein. Im Mittelpunkt stand dabei die Aufarbeitung der NS-Verbrechen und die Erinnerung an die Opfer des Faschismus. Grete Höll engagierte sich in der neugegründeten „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN), wo sie bald eine führende Rolle in Hannover übernahm.
Als Zeitzeugin berichtete sie in Schulen, Jugendgruppen und vor Gewerkschaftern über den antifaschistischen Widerstand. Sie wollte verhindern, dass die Schrecken der Nazi-Zeit in Vergessenheit gerieten. Besonders die junge Generation lag ihr am Herzen. Immer wieder betonte sie die Bedeutung von Zivilcourage, Solidarität und dem Kampf gegen jede Form von Faschismus. Dabei war sie nicht verbittert – vielmehr sprach aus ihren Worten die Hoffnung, dass aus der Geschichte gelernt wird.
In den folgenden Jahrzehnten setzte sie sich unermüdlich für Frieden, Abrüstung und soziale Gerechtigkeit ein. Sie unterstützte die Ostermarschbewegung, etwa durch ihre Teilnahme an den jährlich stattfindenden Friedensmärschen in Hannover und Braunschweig, wo sie Plakate trug, Flugblätter verteilte und als Rednerin für Abrüstung und Völkerverständigung eintrat, arbeitete mit in Gedenkinitiativen und half, Stadtrundgänge zu organisieren, die an die Orte des Widerstands in Hannover erinnerten. Auch schriftlich hinterließ sie Spuren: Sie veröffentlichte Artikel in VVN-Schriften und war Mitautorin einer Dokumentation über hannoversche Frauen im Widerstand. Darüber hinaus nahm sie an internationalen Konferenzen und Treffen der Friedensbewegung teil, bei denen sie als Vertreterin der deutschen Antifaschisten sprach und mahnte.
In der Nachkriegszeit war Grete Höll auch sozialpolitisch aktiv. Sie unterstützte nach Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im Jahr 1968 deren Aufbau in Niedersachsen, wobei sie keine offizielle Funktion übernahm, aber regelmäßig beratend tätig war und junge Mitglieder ideologisch und organisatorisch unterstützte, hielt Kontakt zu ehemaligen KPD-Genossen und beteiligte sich an Veranstaltungen, Schulungen und Diskussionen der Partei. Für Grete war die DKP ein notwendiges Sprachrohr, das an die politische Linie und Grundüberzeugungen der zuvor verbotenen KPD anknüpfte. Sie begrüßte die Gründung der DKP als wichtigen Schritt zur Wiederherstellung einer kommunistischen Stimme in der westdeutschen Parteienlandschaft und sah darin eine Antwort auf die Repressionen, die nach dem KPD-Verbot von 1956 gegenüber linken Kräften zugenommen hatten für die Interessen der Arbeiterklasse im westdeutschen Nachkriegsstaat, in dem linkes Engagement zunehmend unter Druck geriet. Sie engagierte sich für die Rechte von Arbeiterfamilien, für den bezahlbaren Wohnraum in Hannover und für gerechte Löhne. Sie arbeitete mit lokalen Gewerkschaftsgruppen zusammen, unterstützte Streiks und nahm an öffentlichen Kundgebungen teil, bei denen sie als Rednerin auftrat. Ihre politische Klarheit und ihr Mut machten sie zu einer angesehenen Persönlichkeit der linken Bewegung in Niedersachsen.
Für ihr Lebenswerk wurde sie vielfach geehrt. Ihr Name steht heute auf dem Mahnmal am Raschplatz, das sie selbst noch miterlebte und unterstützte. Grete Höll sprach sich zeitlebens für eine würdige öffentliche Erinnerung an die Opfer des Faschismus aus und begrüßte die Planungen für ein Mahnmal ausdrücklich, das im Jahr 1989 feierlich eingeweiht wurde. Initiiert und mitgetragen wurde das Denkmal maßgeblich von der VVN-BdA Hannover und weiteren engagierten Bürgern, die sich seit den 1980er-Jahren für eine sichtbare Erinnerungskultur am Ort des ehemaligen Gerichtsgefängnisses einsetzten in Hannover, das an die im Gerichtsgefängnis inhaftierten Gegner des Faschismus erinnert. Dieses Denkmal ist auch eine Würdigung ihres mutigen Handelns. In mehreren hannoverschen Stadtteilen erinnern Gedenktafeln, Stolpersteine und Straßennamen an ihr Wirken. Schulen, Jugendzentren und antifaschistische Gruppen beziehen sich bis heute auf ihre Biografie, wenn es darum geht, die Geschichte des Widerstands weiterzugeben.
Grete Höll starb am 15. Juli 1986 in Hannover. Ihr Leben bleibt ein leuchtendes Beispiel für den unbeugsamen Willen, sich gegen Unrecht zu stellen – mit Mut, Klarheit und Menschlichkeit. Ihr Vermächtnis ist ein Auftrag an die Gegenwart: Nie wieder Faschismus. Nie wieder Krieg.
Quellen
Wilhelm Sommer: Margarete Hoell. Eine hannoversche Kommunistin im Widerstand. In: Geschichte lernen, Jg. 7 (1994), Hannover 40, S. 48–53.
Klaus Mlynek: Hoell, Grete. In: Hannoversches Biographisches Lexikon, S. 172.
VVN-BdA Niedersachsen: 75 Jahre VVN-BdA Niedersachsen.
Verortungen.de: Hannover, Raschplatz – Verortungen.
DKP: Chronik der 60er Jahre – Kommunistische Aktivität.
Wikipedia: Grete Hoell.