„Erziehung zum Gehorsam“ –
Wie die Bundeswehr unsere Kinder rekrutieren will
Während sich die Bundesrepublik als „wehrhafte Demokratie“ inszeniert, breitet sich eine neue Gefahr nicht in den Kasernen, sondern in Klassenzimmern, Kindergärten und Lehrerseminaren aus. Es ist die schleichende, systematische Militarisierung des gesamten Bildungswesens der Bundesrepublik Deutschland – eine Entwicklung, die durch die sogenannte „Zeitenwende“ ab 2022 neuen Auftrieb erhalten hat. Die Bundeswehr ist heute nicht nur ein Teil der Außenpolitik, sondern dringt tief in das Herz der Gesellschaft ein: die Bildung. So war sie 2023 etwa mit über 400 Schulbesuchen allein in Nordrhein-Westfalen präsent, häufig unter dem Deckmantel politischer Bildung, bei der kritische Auseinandersetzung mit Krieg und Aufrüstung systematisch vermieden wurde. Was mit Tarnfarben und "Planspielen" beginnt, endet in der psychologischen Vorbereitung auf Krieg und Unterwerfung. So wurde im Jahr 2024 etwa an einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern ein Projekttag durchgeführt, bei dem Schülerinnen und Schüler in Uniformen schlüpfen und militärische Planspiele nachstellen sollten – angeblich zur Förderung von Teamarbeit und Entscheidungsfähigkeit. Kritische Reflexion? Fehlanzeige. Die Schulen und Kindergärten werden zu ideologischen Aufmarschplätzen für ein neues Denken in militärischen Kategorien. Das gefährdet nicht nur die geistige Freiheit, sondern zerstört auch den Anspruch auf eine demokratische, friedliche Bildung – wie ihn etwa die Kultusministerkonferenz in ihren Grundsätzen zur politischen Bildung von 1978 formulierte: Bildung solle zur Mündigkeit, zur Urteilsfähigkeit und zur Mitverantwortung in der Gesellschaft befähigen – nicht zur Kadettenschulung.
Früh übt sich – Bundeswehr in der Kita
Was früher undenkbar war, ist heute Realität. Soldaten in Uniform besuchen Kindergärten, spielen mit Kindern, zeigen ihnen Militärfahrzeuge – wie beispielsweise beim Besuch der Bundeswehr in der Kita „Regenbogen“ in Mitterhartshausen 2023, über den sowohl der Blog der Einrichtung als auch regionale Medien berichteten. Dort wurden Bundeswehrfahrzeuge vorgeführt und als Teil des pädagogischen Angebots präsentiert. Dieser Auftritt erfolgt stets unter dem Deckmantel der Berufsorientierung oder Katastrophenhilfe – eine Tarnung, die die eigentliche Absicht kaschiert: frühe Bindung an das Militär. In einem Kindergarten in Leiblfing wurde der Besuch der Truppe mit dem Thema „Superhelden“ verbunden. Ein Tarnfahrzeug mit Blaulicht wurde zur Attraktion, die Kinder durften es bestaunen, bekamen „süße Überraschungen“ – Propaganda mit Gummibärchenschachtel. Die Kleinsten werden so früh wie möglich an Uniform, Befehl und Hierarchie gewöhnt – während die zivile Bildungsarbeit in Kitas eigentlich auf Selbstbestimmung, Empathie und gewaltfreies Miteinander zielt. Ziel ist es nicht, aufzuklären, sondern Loyalität und Begeisterung fürs Militär zu erzeugen.
Diese Maßnahmen sind kein Zufall. Sie sind Teil einer breit angelegten Strategie, den Nachwuchs auf den Kriegsdienst vorzubereiten, lange bevor dieser selbst entscheiden kann. Das ist keine neutrale Information – das ist Indoktrination. Die Militarisierung wird zum Alltagsphänomen: banal, scheinbar harmlos, aber ideologisch hocheffektiv. Ein Kind, das heute im "Eagle"-Panzer sitzt, soll morgen am Hindukusch "Verantwortung übernehmen" – wie es etwa ein Bundeswehroffizier bei einem Tag der offenen Tür 2023 in Cochem formulierte, als er erklärte, dass solche Erlebnisse „Identifikation mit der Truppe fördern und frühzeitig Perspektiven aufzeigen“ sollen. Kitas, in denen Uniformierte als „Retter“ auftreten, verharmlosen die Realität von Krieg und Gewalt. Die Bundeswehr wird zum Spielkameraden stilisiert – doch was sie wirklich bedeutet, zeigt sich in den Ruinen von Kabul, im Leid der zivilen Opfer und in der Traumatisierung der Einsatzsoldaten.
Auch in Schulprojekten mit sogenannten „Technik-Tagen“ oder „Tagen der Bundeswehr“ erleben Schüler hautnah militärische Fahrzeuge, dürfen in Cockpits klettern und auf Schießsimulatoren üben. Die Grenze zwischen Spiel und ernsthafter Vorbereitung verschwimmt zunehmend. So kritisierte etwa der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Wilfried Wulf 2023, dass solche Projekte „nicht der Persönlichkeitsbildung, sondern der Normalisierung militärischer Gewalt“ dienten. Ein Beispiel: In einer Realschule in Hessen fand im April 2024 eine Militärübung im Rahmen eines Schulprojekttags statt, bei der Schüler mit Nachtsichtgeräten und Tarnkleidung an einem simulierten Einsatz teilnahmen – begleitet von Lobreden der Lehrkräfte zur Rolle der Bundeswehr. Es ist der gezielte Versuch, das Militärische in den zivilen Alltag zu ziehen – ein gefährlicher Schritt, der das Bewusstsein der Kinder frühzeitig manipuliert.
Von der Schulbank in die Kaserne
Schon mit dem NATO-Beitritt der BRD 1955 wurde der Weg zur Wiederbewaffnung bereitet – trotz massiver Proteste aus der Bevölkerung, insbesondere der Gewerkschaften, kommunistischer Gruppen und kirchlicher Friedensinitiativen. Diese breite Ablehnung konnte die Aufrüstung nicht verhindern, doch sie zeigte: Der Militarismus war keine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit, sondern wurde gegen die Mehrheit durchgesetzt. Die Gründung der Bundeswehr 1955 und die Einführung der Wehrpflicht 1956 bildeten die Grundlage für eine gezielte ideologische Durchdringung des Bildungsbereichs.
Die Geschichte dieser Militarisierung beginnt nicht mit der Ukraine-Krise. Bereits 1958 – also nur 13 Jahre nach dem Ende des verbrecherischen Zweiten Weltkriegs – wurden die ersten sogenannten „Jugendoffiziere“ der Bundeswehr eingeführt. Ihr Ziel: die Akzeptanz für den Wehrdienst bei Jugendlichen zu erhöhen. Schon damals wurden kritische Stimmen aus dem Unterricht verbannt, Friedensorganisationen ausgeschlossen und ein „Erziehungsauftrag zum Dienen“ propagiert. So forderte ein interner Bildungsplan des Verteidigungsministeriums aus dem Jahr 1960 wörtlich: „Die Jugend muss zu gehorsamen, staatstreuen und opferbereiten Staatsbürgern im Sinne der Verteidigungsbereitschaft erzogen werden.“ In geheimen Sitzungen wurde offen von einer „Erziehung zum Gehorsam“ gesprochen. Junge Menschen sollten zu willigen Untertanen geformt werden – kritiklos, autoritätsgläubig, einsatzbereit.
In den 1980er Jahren erreichte diese Entwicklung eine neue Qualität. Laut vertraulichen Dokumenten erwartete die Bundeswehr von den Schulen die Erziehung eines „zum Gehorsam erzogenen jungen Mannes“. Wer sich dem nicht unterordnete, wer Kritik übte oder sich weigerte, dem NATO-Doppelbeschluss zuzustimmen, sollte schlechter benotet werden. In Bayern war sogar die Wahl von Friedens-Themen für das Abitur unter Strafe gestellt. Das ist keine Bildung – das ist autoritäre Dressur! Während Soldaten auf Schulhöfen willkommen waren, wurden Pazifisten aus dem Unterricht verbannt.
Es ging nicht mehr nur um Information – es ging um die Formung einer neuen Generation von Kämpfern. Lehrerinnen und Lehrer, die sich weigerten, mit Jugendoffizieren zusammenzuarbeiten, wurden unter Druck gesetzt. Unterrichtsmaterialien wurden zentralisiert, alternative Perspektiven ausgeschlossen. In manchen Bundesländern gab es geheime Anweisungen, wie man Schüler für militärische Karrieren begeistern könne. Diese Praxis setzt sich bis heute fort – nur moderner, digitaler, subtiler. So findet sich auf der Plattform „Bundeswehr Karriere“ mittlerweile ein breites Angebot an interaktiven Lernmodulen, die auch in Schulen zum Einsatz kommen. Diese vermitteln eine scheinbar neutrale Sicht auf sicherheitspolitische Fragen – ohne Raum für pazifistische Alternativen oder eine kritische Auseinandersetzung mit den Folgen militärischer Einsätze.
 Friedensbewegung gegen Militarisierung
Doch es regte sich Widerstand. Die außerparlamentarische Opposition (APO), Studierendenproteste, die wachsende Friedensbewegung – sie alle trugen dazu bei, dass Tausende junger Menschen sich dem Kriegsdienst verweigerten. Ein bekanntes Beispiel ist die Kampagne „Lieber heute den Kriegsdienst verweigern als morgen im Krieg sterben“, die Anfang der 1970er Jahre von Studierenden an der Freien Universität Berlin initiiert wurde. Die Zahl der Zivildienstleistenden übertraf in vielen Jahren jene der Wehrpflichtigen. Es entstanden friedenspädagogische Initiativen, antimilitaristische Netzwerke und Bildungsalternativen. Diese Bewegung lebt bis heute – und sie ist nötiger denn je. Im Gegensatz zur BRD setzte die DDR in ihrer Bildungsarbeit stark auf Friedenserziehung, Solidarität mit unterdrückten Völkern und internationale Völkerfreundschaft. Trotz vormilitärischer Ausbildung stand das Prinzip ‚Nie wieder Krieg‘ im Zentrum des gesellschaftlichen Auftrags. Dieser Kontrast zeigt, dass Bildung auch bewusst gegen Militarisierung eingesetzt werden kann. Denn mit der „Zeitenwende“ und dem 100-Milliarden-Euro-Rüstungspaket greift der Staat erneut tief in die Kassen – nicht für die Pflege, nicht für die Bildung, nicht für sozialen Ausgleich, sondern für Waffen, Kriegsschiffe und Militärpräsenz.
Viele Aktive der Friedensbewegung arbeiten heute daran, Alternativen zur militarisierten Bildung zu schaffen. Sie bieten Projekttage zu Konfliktlösung, Gewaltfreiheit und internationaler Solidarität an. Zu den bekannten Initiativen zählt etwa das „Netzwerk Friedensbildung Baden-Württemberg“, das seit Jahren Bildungsangebote für Schulen entwickelt und sich gegen die Präsenz der Bundeswehr im Klassenzimmer wendet. Auch Organisationen wie die GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) sprechen sich regelmäßig gegen Militärwerbung in Schulen aus. Diese Akteure kämpfen dafür, dass Friedensbildung fest in den Lehrplänen verankert wird. Und sie dokumentieren, wo und wie die Bundeswehr an Schulen und Hochschulen aktiv wird. Ihre Arbeit ist nicht nur notwendig – sie ist überlebenswichtig in einer Zeit, in der die Stimmen der Vernunft durch den Trommelwirbel des Krieges übertönt werden.
Der Krieg kehrt in die Köpfe zurück
Heute sind es nicht mehr nur die Schulen, sondern auch Hochschulen, soziale Einrichtungen, Jugendfreizeiten und Lehrerseminare, die ins Visier geraten sind. So besteht beispielsweise eine langjährige Kooperation zwischen der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg und der Bundeswehr, bei der militärische Inhalte und sicherheitspolitische Konzepte Teil der akademischen Ausbildung sind. Auch an der Universität der Bundeswehr München werden gezielt Offiziere ausgebildet, wobei zivil-militärische Inhalte zunehmend ineinandergreifen. Mehr als 100 offizielle Kooperationen bestehen zwischen Bundeswehr und sozialen Trägern. Das Planspiel POL\&IS, bei dem Schüler militärische Konflikte „lösen“ sollen, macht den Krieg zum pädagogischen Mittel. Dabei übernehmen die Teilnehmenden Rollen wie Verteidigungsminister oder UN-Delegierte und entscheiden über militärische Einsätze, Truppenbewegungen und diplomatische Strategien. In den letzten Jahren wurde das Planspiel unter anderem an Gymnasien in Nordrhein-Westfalen und Bayern durchgeführt – stets begleitet von Jugendoffizieren, die militärische Lösungen als pragmatisch und notwendig darstellen. Gleichzeitig fehlt jeder kritische Blick auf Friedenspolitik, auf zivile Konfliktlösung, auf den Irrsinn der Aufrüstung. Dabei wurden Auslandseinsätze der Bundeswehr seit den 1990er Jahren stetig ausgeweitet: vom Kosovo über Afghanistan bis hin zu Mali. Diese Entgrenzung des Einsatzspektrums verlangt heute nach einem anderen Typus Soldat – ausgebildet für globale Kriegsführung, nicht bloß zur Landesverteidigung.
Die Jugendoffiziere treten heute als „Experten für Sicherheitspolitik“ auf, erklären Auslandseinsätze und „Bedrohungsszenarien“, während die Realität deutscher Kriegspolitik – von Afghanistan bis Mali – ausgeklammert bleibt. Kritische Stimmen werden verdrängt. Wer sich wehrt, wie etwa Schüler in Leipzig oder Vertreter der Landesschülervertretung in Rheinland-Pfalz, bekommt den Schulverweis oder wird öffentlich diffamiert. Diese Repression trifft vor allem die, die den Mut haben, dem Kriegsgetrommel zu widersprechen.
Die Bundeswehr nutzt moderne Mittel der Beeinflussung: Influencer, Social-Media-Kampagnen, YouTube-Serien. In diesen Formaten wird der Dienst an der Waffe als Abenteuer, als Karrierechance, als Beitrag zur „Verteidigung unserer Werte“ verkauft. Doch was ist mit den wahren Werten – mit Gerechtigkeit, mit internationaler Solidarität, mit Gewaltfreiheit? Wer solche Fragen stellt, wird als naiv abgetan oder gleich als „Sicherheitsrisiko“ diffamiert. Das darf nicht unwidersprochen bleiben.
Kein Platz für Soldaten im Klassenzimmer!
Doch wir sagen: Nein! Schulen sind keine Rekrutierungszentren, Kindergärten keine Kasernen. Bildung muss dem Frieden dienen, nicht der Vorbereitung auf neue Kriege. Die Bundeswehr hat in der Kita nichts verloren, und auch nicht im Politikunterricht. Wer politische Bildung ernst nimmt, darf sich nicht auf einseitige Propaganda verlassen, sondern muss den Frieden als oberstes Ziel vertreten. Statt Gehorsam: kritisches Denken. Statt Marschbefehl: soziale Verantwortung. Statt Drill: Empathie und Solidarität.
Die Militarisierung der Gesellschaft ist kein Naturgesetz – sie ist eine bewusste Entscheidung der Herrschenden. Ein Beispiel dafür ist die Einrichtung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr im Jahr 2022, das ohne öffentliche Debatte über friedenspolitische Alternativen beschlossen wurde. Die Friedensbewegung, die Gewerkschaften, die antifaschistischen und linken Kräfte müssen sich zusammenschließen, um diese Entwicklung zu stoppen. Die Milliarden für die Aufrüstung gehören in die Schulen, in die Krankenhäuser, in den sozialen Wohnungsbau. Unsere Kinder sollen Lehrer, Ingenieure, Krankenpflegerinnen und Künstlerinnen werden – nicht Kanonenfutter für neue Kriege im Interesse des Kapitals. Bereits im Ersten Weltkrieg wurden ganze Schulklassen geschlossen, weil Jugendliche direkt von der Schulbank in den Schützengraben geschickt wurden – ein Mahnmal dafür, wie schnell Bildung der Militarisierung geopfert werden kann.
Für eine Schule des Friedens! Für eine Zukunft ohne Krieg!
Der Marsch der Militarisierung beginnt in den Köpfen – wir müssen ihn dort beenden. Unsere Antwort lautet: Frieden jetzt! Bildung darf niemals der Gewalt dienen, sondern muss Fundament einer gerechten, solidarischen und friedlichen Welt sein.

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