Emmy Baumgarte (geb. Schaper) –
Widerstandskämpferin aus Hannover
Kindheit, Jugend und politische Prägung
Emmy Schaper wurde 1912 in Hannover geboren. Sie wuchs in einer politisch und sozial bewegten Zeit auf. Der Erste Weltkrieg, die Hungerjahre danach und die politischen Umwälzungen der Weimarer Republik hinterließen tiefe Spuren in ihrer Jugend. Schon als Kind wurde sie mit sozialen Ungleichheiten und den Nöten der Arbeiterklasse konfrontiert. Ihre Eltern stammten aus einfachen Verhältnissen: Der Vater war gelernter Schlosser und arbeitete in einer Maschinenfabrik, die Mutter war Hausfrau und übernahm gelegentlich Heimarbeit, um die Haushaltskasse aufzubessern. Politisch war die Familie zwar nicht organisiert, doch sie sprach oft kritisch über die Ungerechtigkeit im Kaiserreich und später über die Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik.
In der Schule fiel Emmy durch ihre Wissbegierde auf, sie war eine gute Schülerin und zeigte großes Interesse an Geschichte, Gesellschaftskunde und Literatur. Doch das Geld reichte nicht für eine höhere Bildung. Nach der Volksschule musste sie früh zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und begann eine Ausbildung zur Verkäuferin in einem kleinen Kolonialwarenladen. Dort lernte sie den harten Alltag der Arbeiterinnen kennen und wurde zusätzlich politisiert, als sie Zeugin von Ausbeutung, schlechter Bezahlung und Ungleichbehandlung wurde.
Schon früh entwickelte sie ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein. Im Alter von etwa zwölf Jahren trat sie den Jungen Pionieren bei, einer sozialistischen Kinderorganisation, in der Solidarität, Gleichheit und kollektives Handeln gelebt wurden. Dort lernte sie die Grundprinzipien marxistischer Weltanschauung kennen und schätzen. Mit fünfzehn Jahren schloss sie sich dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) an. Dort beteiligte sie sich unter anderem am Vertrieb der verbotenen Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, einem aufklärerischen Blatt der linken Bewegung, das vor allem über Arbeiterkämpfe, soziale Missstände und die drohende faschistische Gefahr berichtete. Zudem organisierte sie Lesezirkel, nahm an politischen Schulungen teil und beteiligte sich an ersten Protestaktionen, etwa gegen Wohnungsnot und die Ausbeutung junger Arbeiterinnen in den Fabriken Hannovers.
Partnerschaft und frühes Engagement
Zwischen 1946 und 1947 heiratete Emmy Schaper den kommunistischen Widerstandskämpfer Kurt Baumgarte. Beide waren bereits während der Zeit des Faschismus politisch aktiv gewesen und hatten unter den brutalen Repressionen des Nazi-Regimes gelitten. Kurt war lange Jahre inhaftiert, unter anderem im Zuchthaus Brandenburg, und ebenfalls tief in die kommunistische Bewegung eingebunden. In der Nachkriegszeit verband sie nicht nur ihre politische Überzeugung, sondern auch das gemeinsame Ziel, eine neue antifaschistische Ordnung aufzubauen. Aus ihrer Ehe ging ein gemeinsamer Sohn hervor. Emmy übernahm dabei nicht nur die Sorge für die Familie, sondern blieb trotz familiärer Belastungen zeitlebens politisch aktiv.
Sie verband ihren Alltag als Mutter und politische Kämpferin mit bemerkenswerter Disziplin: Früh am Morgen kümmerte sie sich um den Haushalt und die Versorgung ihres Sohnes, bevor sie sich politischen Aufgaben widmete. Häufig nahm sie ihn zu Parteiveranstaltungen mit oder ließ ihn von Genossinnen betreuen, während sie Versammlungen organisierte oder Flugblätter druckte. Die enge Zusammenarbeit mit anderen kommunistischen Frauen ermöglichte es ihr, eine solidarische Lebensform aufzubauen, in der Familien- und Parteiarbeit ineinandergriffen.
Sie stellte ihr Engagement über persönliche Sicherheit und nahm an zahlreichen Versammlungen, Parteiveranstaltungen und Solidaritätsaktionen teil. Darüber hinaus übernahm sie konkrete organisatorische Aufgaben: So war sie in den späten 1940er Jahren Mitglied im Bezirksvorstand der KPD Hannover und koordinierte unter anderem die Arbeit der Frauenkommission. Sie half bei der Betreuung von Neumitgliedern, organisierte politische Schulungen für junge Genossinnen und war eine wichtige Ansprechpartnerin bei sozialen Notlagen. Ihr Organisationstalent und ihr unerschütterlicher Glaube an die Sache des Sozialismus machten sie zu einer respektierten Führungspersönlichkeit innerhalb der hannoverschen Parteistrukturen. – oft unter Beobachtung der Behörden, die ehemalige Kommunistinnen weiterhin misstrauisch beäugten.
Illegale Arbeit gegen den Faschismus
Nach der Machtübertragung an die Hitlerfaschisten im Jahr 1933 blieb Emmy aktiv im Widerstand. Gemeinsam mit Kurt Baumgarte organisierte sie geheime Treffen des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD), verteilte politische Schriften und hielt Kontakt zu anderen Widerstandsgruppen. Besonders gefährlich war ihr Einsatz als Kurierin, bei dem sie geheime Nachrichten übermittelte und illegale Flugblätter transportierte. Zu ihrem Kreis gehörten auch andere bekannte Widerstandskämpferinnen und -kämpfer aus Hannover, darunter August und Gerda Baumgarte, die Brüder Ernst und Albert M. aus dem Arbeitermilieu von Linden sowie die junge Kommunistin Ilse W. aus der Nordstadt. Diese Gruppen agierten oft dezentral, tauschten jedoch Informationen aus und unterstützten sich gegenseitig mit Unterkunft, Druckmaterial und Schutz vor Verhaftung.
Bereits 1933/34 wurde Emmy erstmals verhaftet und im Gerichtsgefängnis Hannover eingesperrt. Diese Haft war Ausdruck der systematischen Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch das faschistische Regime. Die Verhöre waren brutal, doch Emmy ließ sich nicht einschüchtern. Nach einigen Monaten wurde sie wieder entlassen – unter ständiger Beobachtung.
1934 erfolgte eine zweite Verhaftung, diesmal unter dem Verdacht, ihren Verlobten Kurt zu verstecken. Ziel der Gestapo war es, das Versteck von Kurt zu erfahren. Emmy wurde schwer misshandelt, gefoltert und in Einzelhaft gehalten, doch sie schwieg standhaft. Ihr Schweigen rettete nicht nur das Leben ihres Gefährten, sondern zeugt von außergewöhnlichem Mut und ideeller Festigkeit. Als „Belohnung“ wurde sie zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese verbrachte sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in einem Frauengefängnis – mit Kälte, Hunger, Zwangsarbeit und ständiger Einschüchterung durch das Wachpersonal. In dieser Zeit versuchte sie, den Kontakt zu anderen inhaftierten Genossinnen aufrechtzuerhalten, indem sie heimlich kleine Notizen über Näharbeiten und Essensausgabe weiterreichte, Zeichenabsprachen nutzte und durch kurze Gespräche während gemeinsamer Hofgänge Informationen austauschte, um den Zusammenhalt im Widerstand zu bewahren. Selbst nach ihrer Entlassung wurde sie nicht in Ruhe gelassen: Sie war weiter Überwachung, Hausdurchsuchungen und Schikanen durch Polizei und NSDAP-Ortsgruppen ausgesetzt. Trotzdem besuchte sie Kurt regelmäßig in dessen Haftanstalten – teils unter falschem Namen – und blieb Teil des antifaschistischen Netzes in Hannover, das sich trotz Terror, Überwachung und Verhaftungen weiter behauptete.
Nach Kriegsende: Neubeginn unter alten Repressionen
Nach 1945 engagierten sich Emmy und Kurt Baumgarte maßgeblich am Wiederaufbau der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Hannover. Gemeinsam organisierten sie Schulungen, verteilten Informationsmaterialien und beteiligten sich aktiv an der politischen Neuausrichtung im Sinne eines antifaschistischen Deutschlands. Kurt wurde in den niedersächsischen Verfassungsrat berufen, was seinen politischen Einfluss unter Beweis stellte und als Anerkennung seiner standhaften Haltung im antifaschistischen Kampf gewertet werden kann. Auch Emmy war eine feste Größe innerhalb der hannoverschen Parteistrukturen: Sie organisierte Zusammenkünfte, vermittelte zwischen ehemaligen Widerstandskämpferinnen und neuen Mitgliedern, und kümmerte sich um die Betreuung von Genossinnen, die durch Krieg, Repression und Entbehrung traumatisiert waren.
Doch die Verfolgung von Kommunistinnen und Kommunisten setzte sich auch im sogenannten demokratischen Nachkriegsdeutschland fort. Bereits in den frühen 1950er Jahren begannen Überwachungen, Hausdurchsuchungen und Anklagen gegen zahlreiche Mitglieder der KPD. 1956 wurde die KPD schließlich verboten – ein harter Schlag für viele Antifaschistinnen wie Emmy, die ihr Leben dem Kampf gegen Unterdrückung gewidmet hatten und nun erneut staatlicher Willkür ausgesetzt waren.
1966 wurde Kurt Baumgarte erneut wegen kommunistischer Aktivitäten zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hatte sich offen zur politischen Linie der DDR bekannt und für die Wiederzulassung der KPD gestritten. Emmy protestierte öffentlich – auf Versammlungen, in Briefen und durch Petitionen – und wurde dafür selbst zu einer Haftstrafe verurteilt. Der Vorwurf: sie habe „öffentlich für die Freilassung ihres Mannes eingetreten“. Diese politische Justiz zeigt deutlich die Kontinuität antikommunistischer Repression in der BRD und wie wenig Spielraum für Meinungsfreiheit jenen eingeräumt wurde, die für Sozialismus und Völkerfreundschaft eintraten.
Engagement in der Deutschen Kommunistischen Partei
Mit der Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) im Jahr 1968 trat Emmy Baumgarte erneut in die politische Öffentlichkeit. Sie war aktiv in der Parteiarbeit und engagierte sich vor allem in der Bildungs- und Erinnerungsarbeit. In antifaschistischen Gedenkveranstaltungen, Schulprojekten und Diskussionsforen trat sie als Zeitzeugin auf und berichtete eindrucksvoll von ihren Erlebnissen im Widerstand, den Haftbedingungen im Zuchthaus sowie der ungebrochenen Solidarität unter den Genossinnen. Ihre Schilderungen machten deutlich, wie wichtig organisierter Widerstand gegen das faschistische System war – und wie aktuell der Kampf gegen Faschismus und Krieg auch in der Nachkriegs-Bundesrepublik blieb.
Besonders am Herzen lag ihr die Zusammenarbeit mit jungen Menschen. Sie besuchte Schulen, Gewerkschaftsjugendgruppen und Jugendzentren, wo sie mit großer Offenheit und Klarheit über die Gefahr des Vergessens sprach. In den 1970er und 1980er Jahren war sie regelmäßig Referentin auf Veranstaltungen der DKP, der VVN–BdA und der Friedensbewegung. Sie verband ihre Erinnerungen mit aktuellen politischen Kämpfen – gegen das KPD-Verbot, gegen Berufsverbote, gegen die Stationierung von Atomwaffen. Ihr Anliegen war es, jungen Menschen die Wahrheit über den Faschismus zu vermitteln, ihnen Mut zum Widerstand zu machen und sie zum solidarischen Handeln zu erziehen – gegen Krieg, Ausbeutung und antikommunistische Hetze.
Lebensende und Vermächtnis
Emmy Baumgarte blieb bis ins hohe Alter politisch aktiv. Sie war Ehrenmitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN–BdA) in Niedersachsen. Dort wurde sie hochgeschätzt als mutige und integre Persönlichkeit, die nie den einfachen Weg ging, sondern für Gerechtigkeit und Frieden einstand. Besonders engagierte sie sich im Arbeitskreis „Frauen im Widerstand“ und war Mitinitiatorin mehrerer Wanderausstellungen zur Geschichte der politischen Verfolgung und des antifaschistischen Kampfes. Bis in ihre letzten Lebensjahre nahm sie an Veranstaltungen teil, verfasste Beiträge für Erinnerungsbroschüren, unterstützte Bildungsinitiativen für Jugendliche und stand jungen Antifaschistinnen mit Rat und Tat zur Seite. Ihre Wohnung in Hannover war ein offener Treffpunkt für engagierte Genossinnen und Genossen, für Gespräche über Geschichte, Gegenwart und die Zukunft der Bewegung.
Sie starb 2009 im Alter von 96 Jahren in Hannover, begleitet von Weggefährtinnen, die ihr Leben lang ihren aufrechten und klaren Kurs bewundert hatten. Ihr Leben steht exemplarisch für den unbeugsamen Widerstand vieler Frauen gegen das Terrorregime des Faschismus und für den ungebrochenen Glauben an eine gerechte, sozialistische Zukunft. Ihr politisches und menschliches Vermächtnis wirkt bis heute in der antifaschistischen Bewegung nach.

Quellen:
Zeitzeugenberichte aus dem Archiv der VVN–BdA Niedersachsen, darunter:
Interviews mit ehemaligen Mitstreiterinnen von Emmy Baumgarte
persönliche Erinnerungsprotokolle und Korrespondenzen
Archivmaterialien über die Tätigkeit des Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD) in Hannover in den 1930er Jahren, darunter:
Protokolle geheimer Treffen
Flugblätter und interne Rundschreiben
Nachrufe und Gedenkartikel der DKP Hannover, insbesondere:
Beiträge aus Parteizeitungen wie der UZ (Unsere Zeit)
Broschüren zum antifaschistischen Gedenken und zur Biografie von Emmy Baumgarte
Wissenschaftliche und dokumentarische Publikationen zur Geschichte des kommunistischen und antifaschistischen Widerstands in Niedersachsen, darunter:
Studien zur politischen Repression in der Bundesrepublik Deutschland
Arbeiten zur Geschichte der Frauen im Widerstand
Untersuchungen zur Rolle der DKP in der Bildungsarbeit seit 1968
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