Kein Verbrechen, sondern Widerstand:
„From the river to the sea“ bleibt erlaubt
„From the river to the sea“ bleibt erlaubt
Ein juristischer Sieg gegen die Unterdrückung palästinasolidarischer Stimmen
In einem richtungsweisenden Urteil hat das Landgericht Berlin I im April 2025 einer zunehmend repressiven Staatsmacht Grenzen aufgezeigt: Die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ ist nicht strafbar. Eine Aktivistin, die diesen Ruf auf der Berliner Demonstration zum Internationalen Frauenkampftag 2024 äußerte, war wegen des Verdachts auf Verbreitung von Propagandamitteln einer als terroristisch eingestuften Organisation (§ 86 Strafgesetzbuch) angeklagt worden. Der Vorwurf: Die Parole sei ein Erkennungszeichen der Hamas, die auf EU- und Bundesliste sogenannter Terrororganisationen steht.
Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass bereits die öffentliche Verwendung der Parole nach der Verfügung des Bundesinnenministeriums vom 2. November 2023 als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung zu werten sei. Sie ignorierte dabei jedoch, dass weder der historische noch der politische Gebrauch des Slogans ausschließlich mit der Hamas verbunden ist. Schon seit den 1960er Jahren wurde die Parole in unterschiedlichen Kontexten innerhalb der palästinensischen Widerstandsbewegung verwendet.
Doch das Gericht ließ sich nicht von der Logik der Staatsräson und geopolitischen Interessen leiten. Es stellte klar: Der Slogan ist historisch, politisch und kulturell komplex, nicht eindeutig zuzuordnen und keinesfalls automatisch ein Symbol für Gewalt. Selbst wenn dies anders wäre, hätte die Meinungsfreiheit Vorrang. Das Urteil bekräftigt somit, dass auch umstrittene oder missverständliche Aussagen im demokratischen Meinungsstreit zulässig sind – insbesondere, wenn sie sich auf politische, humanitäre oder historische Anliegen beziehen.
Recht gegen Staatsräson: Ein Zeichen für Widerstand
Das Urteil ist ein Schlag gegen die fortschreitende Einschränkung kritischer Stimmen in der Bundesrepublik. Immer öfter werden palästinasolidarische Proteste mit Auflagen, Polizeigewalt oder Verboten konfrontiert. Der antiimperialistische Kern der Bewegung soll delegitimiert und kriminalisiert werden. Die Versammlungsfreiheit wird eingeschränkt, Redebeiträge werden überwacht, und palästinensische Stimmen werden systematisch marginalisiert – all das unter dem Vorwand von Sicherheit und Ordnung.
Die politische Linie dahinter ist klar: Wer das Unrecht anprangert, das das zionistische Regime an der palästinensischen Bevölkerung verübt, soll mundtot gemacht werden – im Namen einer sogenannten „Staatsräson“, die sich dem Schutz des israelischen Staates unterordnet, selbst wenn dieser internationale Menschenrechte mit Füßen tritt. So erklärte das Bundesinnenministerium in seiner Pressemitteilung vom 2. November 2023 zur Erweiterung des Betätigungsverbots gegen die Hamas, dass die Parole „From the river to the sea“ künftig als Ausdruck der Hamas-Ideologie zu bewerten sei. Diese Einschätzung wurde unkritisch von Sicherheitsbehörden übernommen, obwohl eine juristische Einordnung als strafbare Handlung bislang nicht höchstrichterlich bestätigt wurde. Dabei offenbart sich, wie sehr politische Opportunität und ideologische Gefolgschaft inzwischen die Rechtsauslegung dominieren.
Dass das Bundesinnenministerium die Parole im November 2023 kurzerhand der Hamas zuordnete, war kein juristisches, sondern ein politisches Signal: Kritik am israelischen Kolonialprojekt soll zur Straftat erklärt werden. Diese Entwicklung ist nicht nur ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, sondern auch auf das Selbstverständnis einer demokratischen Zivilgesellschaft, die von Vielfalt und Kritik lebt. Es geht um mehr als um ein einzelnes Urteil – es geht um den Versuch, linke, migrantische und antiimperialistische Bewegungen langfristig zu entmutigen und zu entpolitisieren.
Von der Parole zur Bewegung – Palästina darf nicht schweigen
Die Parole „From the river to the sea“ ist kein Aufruf zur Gewalt, sondern ein Symbol für den Kampf um Befreiung, Menschenwürde und kollektive Selbstbestimmung. Sie steht für die Vision eines Palästinas, das frei ist von Kolonialherrschaft, Apartheid und Besatzung – ein Land, in dem die palästinensische Bevölkerung endlich über ihr Schicksal selbst bestimmen kann, jenseits von Mauern, Checkpoints und militärischer Kontrolle.
Die imperialistische Propaganda stellt dies gerne als Vernichtungswunsch dar – doch in Wahrheit geht es um das Ende von Entrechtung, Vertreibung und Massakern. Der Slogan ist Ausdruck einer jahrzehntelangen, grenzüberschreitenden Bewegung gegen Siedlerkolonialismus und für soziale Gerechtigkeit. Die Parole gehört zur Sprache des Widerstands: Sie wurde bereits in den 1960er Jahren von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der Fatah verwendet, später auch von Gruppen wie dem Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und weiteren Akteuren der internationalen Linken. Auch bei Anti-Apartheid-Demonstrationen in Südafrika und Solidaritätsprotesten in Lateinamerika fand sie Widerhall.
Das Berliner Gericht erkannte dies an und betonte, dass die Parole im Kontext der Demonstration als Ausdruck von Empathie mit den Opfern im Gazastreifen und als politischer Appell verstanden werden könne. Solche Aussagen sind „sozialadäquat“ und durch das Grundgesetz geschützt – ein deutliches Zeichen dafür, dass die juristische Bewertung komplexer politischer Aussagen nicht der politischen Unterdrückung weichen darf.
Zweierlei Maß und juristische Willkür
Während einige Gerichte zur Vernunft zurückkehren, herrscht insgesamt Rechtsunsicherheit. Dieselbe Parole wurde in anderen Fällen bereits kriminalisiert. Eine Staatsschutzkammer des Landgerichts Berlin erklärte sie im November 2024 für strafbar, in Bremen wurde sie zur Begründung eines Demonstrationsverbots herangezogen. Besonders deutlich zeigte sich die Repressionspraxis im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Bremen vom 14. Mai 2024 (Az. 1 B 72/24), in dem die Verwendung des Slogans als „Kennzeichen der Hamas“ gewertet wurde, was zur Aufrechterhaltung eines städtischen Demonstrationsverbots führte. Auch das Verwaltungsgericht Köln wies im Februar 2024 eine Klage gegen ein pauschales Versammlungsverbot mit Verweis auf die Verwendung dieser Parole ab – ohne den Kontext der jeweiligen Demonstration überhaupt zu berücksichtigen. Und im bayrischen Landtag wurden Forderungen laut, den Slogan in das Vereinsrecht als ausdrücklich strafbar aufzunehmen, was einer Vorverurteilung durch Gesetz gleichkäme.
Dieses juristische Hin und Her zeigt deutlich: Hier geht es nicht um Recht, sondern um politische Opportunität. Wo Protest stört, wird mit Verboten geantwortet. Der Rechtsstaat wird zur Waffe gegen linke Bewegungen – ein Mechanismus, wie ihn der Imperialismus in seinen Metropolen stets verwendet hat. Was im Gewand der Neutralität daherkommt, ist in Wahrheit Ausdruck einer ideologisch gefestigten Klassenjustiz, die systemkritische Stimmen zum Schweigen bringen will. Diese Entwicklung bedroht nicht nur die palästinasolidarische Bewegung, sondern jede Form antikapitalistischer und antiimperialistischer Opposition in diesem Land.
Internationale Solidarität ist kein Verbrechen
Wir leben in einem Land, das Waffen an Kolonialmächte liefert, imperialistische Kriege mitführt und weltweit seine Interessen militärisch absichert – sei es durch Rüstungsexporte, militärische Ausbildungsmissionen oder die Präsenz deutscher Truppen in internationalen Konfliktzonen. Wer sich in diesem System gegen Unterdrückung stellt – ob in Palästina, im Jemen oder in der Ukraine – gilt schnell als Extremist, wird überwacht, kriminalisiert oder gesellschaftlich ausgegrenzt. Medienkampagnen und politische Hetze bereiten den Boden für die Repression, die dann durch Polizei und Justiz vollzogen wird.
So wurde etwa im Oktober 2023 die Berliner Aktivistin M. E. wegen des Tragens eines Palästinensertuchs und einer Parole auf einer Gaza-Solidaritätsdemo von der Polizei festgenommen und wochenlang strafrechtlich verfolgt – einzig aufgrund ihrer Teilnahme an einem friedlichen Protest. Auch die Organisation Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost sieht sich seit Jahren systematischer Diffamierung und staatlicher Ausgrenzung ausgesetzt, weil sie öffentlich Israels Besatzungspolitik kritisiert. Weitere Gruppen wie Palästina spricht oder der Arbeitskreis Nahost der Linksjugend wurden von Räumung, Kontosperrungen oder Ausschluss von öffentlichen Räumen betroffen.
Doch der Kampf gegen Imperialismus ist legitim und notwendig – gerade in einem Land, dessen politische Klasse eine aktive Rolle im globalen Unterdrückungssystem spielt.
„From the river to the sea“ ist ein Ruf nach Frieden – aber einem Frieden auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Selbstbestimmung. Der Freispruch der Berliner Aktivistin ist ein Sieg gegen die Logik des Neokolonialismus und für das Völkerrecht von unten – ein Signal, dass unterdrückte Stimmen weiter gehört werden können.
Doch dieser Sieg muss verteidigt werden. Die Repression wird nicht abnehmen – im Gegenteil. Der internationale Ruf nach Freiheit ist dem deutschen Machtapparat ein Dorn im Auge, weil er seine Rolle als Teil des imperialistischen Zentrums offenlegt. Umso wichtiger ist es, gemeinsam und laut zu bleiben: Unsere Solidarität kennt keine Zensur!
Dieser Artikel steht in der Tradition des antifaschistischen und antiimperialistischen Widerstands. Für Frieden, Gerechtigkeit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker – von Berlin bis Gaza.