Krieg statt Wohlfahrt –
Der autoritäre Umbau der BRD im Dienste des Kapitals
Der autoritäre Umbau der BRD im Dienste des Kapitals
Mit der Bildung der neuen „schwarz-roten“ Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz vollzieht sich ein Bruch. Dieser betrifft nicht nur die politische Rhetorik, sondern durchzieht das gesamte gesellschaftliche Gefüge der Bundesrepublik. Die offizielle Linie ist klar: Deutschland soll wieder „Führungsmacht“ werden – ökonomisch, politisch und militärisch. Was als „Zeitenwende“ begann, ist in Wahrheit ein großangelegter, autoritärer Umbau des Staates zugunsten des Kapitals und unter dem Diktat der NATO. Diese Entwicklung erfolgt nicht zufällig, sondern ist Ausdruck tiefgreifender Umbrüche im globalen Kapitalismus und einer strategischen Neuausrichtung der BRD. Ein markanter Wendepunkt war die Erklärung der sogenannten „Zeitenwende“ durch Olaf Scholz im Februar 2022, die den offenen Übergang zu einer außenpolitischen und militärischen Neuorientierung markierte. Seitdem wird schrittweise ein neues Selbstverständnis etabliert, das auf internationale Machtprojektion, Abschreckung und Führungsanspruch zielt. Für die Bevölkerung bedeutet dies eine spürbare Verschärfung des Alltags: steigende Lebenshaltungskosten, wachsende Unsicherheit im Gesundheitswesen, Kürzungen bei sozialen Leistungen – während gleichzeitig Milliarden für militärische Aufrüstung bereitgestellt werden. Die soziale Frage wird zur Machtfrage. Dieser Zusammenhang durchzieht den gesamten politischen Kurswechsel – und leitet unmittelbar über zur Frage nach den Ursachen und Strukturen der gegenwärtigen Krise.
Die Wurzel: Systemkrise des Kapitalismus
Die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik ist im dritten Jahr von Stagnation und Krisensymptomen geprägt. Über Jahrzehnte lebte der BRD-Kapitalismus von billiger Energie aus Russland, industriellen Vorprodukten aus China und einem riesigen Exportüberschuss. So lag etwa der Anteil des Außenhandels am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 bei über 86 %, und Deutschland war jahrelang Exportweltmeister. Dieses Modell beruhte auf einer engen Verflechtung mit der Weltwirtschaft – insbesondere mit osteuropäischen und asiatischen Märkten. Doch das alte Geschäftsmodell ist kollabiert. Protektionismus in den USA, Konkurrenz aus China und die Folgen der Sanktionspolitik gegenüber Russland haben den deutschen Kapitalismus ins Wanken gebracht. Der „globale Markt“, einst segensreich fürs Kapital, wird nun zur Kampfzone. Gleichzeitig schwinden politische Stabilität, soziale Kohäsion und die Fähigkeit des Staates, das Reproduktionsniveau – also etwa öffentliche Daseinsvorsorge, Bildungsniveau und grundlegende soziale Infrastruktur – aufrechtzuerhalten.
Die kapitalistische Reproduktion ist in der BRD tief gestört. Die notwendige Erneuerung von Kapitalstock und Infrastruktur wird von einem Investitionsstau behindert, der auf ein Jahrzehnt neoliberaler Sparpolitik zurückgeht. Besonders deutlich zeigt sich das etwa an maroden Schulgebäuden, gesperrten Autobahnbrücken oder dem Investitionsrückstand bei der Bahn, wo dringend notwendige Modernisierungen jahrelang aufgeschoben wurden. Dabei steht der Staat vor dem Dilemma, einerseits die Rentabilität für das Kapital zu sichern, andererseits die zerfallende soziale Infrastruktur zu reparieren. Doch anstatt diesen Widerspruch zugunsten der Bevölkerung zu lösen, geht die Politik den Weg des autoritären Durchgriffs. Dieser zeigt sich unter anderem im Umbau haushaltspolitischer Regeln, der gezielten Umgehung parlamentarischer Kontrolle bei der Bewilligung von Sondervermögen und der Einschränkung demokratischer Beteiligungsrechte zugunsten exekutiver Schnellentscheidungen im Sicherheits- und Wirtschaftsbereich.
Militärischer Primat – Deutschland auf Kriegskurs
Im Koalitionsvertrag dominiert eine Botschaft: Die Bundesrepublik soll kriegstüchtig werden. Die Bundesregierung gibt sich keine Mühe, diesen Kurs zu verschleiern. Rüstungsindustrie, NATO-Interessen, strategische Großmachtträume – all das wird als „Notwendigkeit“ verkauft. Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Deutschland muss in der Lage sein, sich und seine Bündnispartner militärisch zu verteidigen und internationale Verantwortung zu übernehmen.“ Das bedeutet eine historische Kehrtwende: Die BRD transformiert sich vom Exportweltmeister zum geopolitischen Ordnungsfaktor – mit militärischen Mitteln.
Drei Grundgesetzänderungen wurden im März 2025 durchgepeitscht:
Rüstungsausgaben sind von der Schuldenbremse ausgenommen.
Ein neues Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimainvestitionen wurde geschaffen – allerdings vor allem für militärisch relevante Bereiche.
Den Ländern wird nun ebenfalls erlaubt, sich mit bis zu 0,35 % des BIP zu verschulden.
Die Prioritäten sind klar verteilt. Was als Infrastrukturförderung verkauft wird, dient letztlich der Ertüchtigung militärischer Logistik und digitaler Aufrüstung. Ein Beispiel dafür ist der geplante Ausbau der Bahninfrastruktur entlang der NATO-Korridore, der offiziell mit wirtschaftlicher Notwendigkeit begründet wird, aber faktisch vor allem dem schnellen Truppentransport dient. Der zivile Nutzen ist gering – und dort, wo er existiert, ist er ein bloßer Nebeneffekt der Hauptausrichtung: dem Krieg. Die angebliche „Modernisierung“ ist eine Mobilmachung.
Militarisierung auf allen Ebenen
Im Namen der „Verteidigung“ wird der gesamte Staatsapparat umfunktioniert. Eine Formulierung aus den neuen verteidigungspolitischen Richtlinien sagt alles: In mehreren Bundesländern wird bereits an der sicherheitspolitischen Integration von Schulen und Hochschulen gearbeitet – etwa durch Kooperationen mit Bundeswehr-Einrichtungen oder durch sicherheitsrelevante Lehrinhalte in technischen Studiengängen. Auch Unternehmen werden vermehrt in staatliche Krisenplanungen einbezogen, etwa im Bereich kritischer Infrastruktur.
„Bedingung erfolgreicher Gesamtverteidigung ist die Verzahnung aller relevanten Akteure bereits im Frieden: Staat, Gesellschaft und Wirtschaft.“
Das bedeutet konkret: Die Zivilgesellschaft wird militarisiert. Die Trennung zwischen zivilem und militärischem Bereich – eine wichtige Lehre aus zwei Weltkriegen – wird systematisch aufgehoben. Nachrichtendienste, Zivilschutz, Cyberabwehr – alles fällt nun unter „Verteidigung“. Damit wird der Ausnahmezustand zur neuen Normalität. Selbst der Schulunterricht wird sicherheitspolitisch neu ausgerichtet, Unternehmen in militärische Planungen einbezogen.
Besonders perfide: Auch unter dem Deckmantel der „Klimaneutralität“ wird aufgerüstet. So wurde etwa das Projekt „Green Logistics Hub“ entlang der NATO-Transportachsen mit dem Ziel gefördert, CO₂-neutralen Militärtransport zu ermöglichen – ein Paradebeispiel für die Verbindung von Umweltargumenten mit strategischer Aufrüstung. In einem Bericht des Bundesverteidigungsministeriums wird das Projekt als „zentraler Beitrag zur nachhaltigen Mobilitätswende in sicherheitsrelevanten Infrastrukturen“ hervorgehoben – ein klarer Hinweis auf die militärische Priorisierung hinter der grünen Fassade. So werden „Investitionen in klimafreundliche Infrastruktur“ als militärische Voraussetzung deklariert. Der eigentliche Zweck bleibt: Deutschland als NATO-Kommandozentrale – bereit zur Konfrontation gegen Russland und China. Auch die Wissenschaft wird umfunktioniert: Forschungsgelder fließen verstärkt in dual-use-Technologien, zivile Universitäten werden zu Vorposten der Kriegsforschung.
„Führungsmacht“ mit imperialer Vergangenheit
SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil sagte es bereits 2022 ganz offen: "Nach knapp 80 Jahren der Zurückhaltung hat Deutschland heute eine neue Rolle im internationalen Koordinatensystem." Er betonte weiter, dass Deutschland in einer Zeit globaler Umbrüche „den Anspruch einer Führungsmacht“ erheben müsse. Diese Äußerungen fielen in einer Grundsatzrede vor der Friedrich-Ebert-Stiftung und markierten einen Wendepunkt im sicherheits- und außenpolitischen Selbstverständnis der BRD. Klingbeil, „Sohn eines Soldaten“, sieht Friedenspolitik explizit als militärisches Handeln. Friedrich Merz sekundiert: Das alte Exportmodell sei passé – nun müsse Deutschland auch militärisch Weltgeltung beanspruchen.
Diese Aussagen stehen in beängstigender Kontinuität zur deutschen Großmachtpolitik vor 1945. Schon damals träumte das Kapital – etwa in Gestalt der IG Farben, wie Carl Duisberg es 1931 forderte – von einem „geschlossenen Wirtschaftsblock von Bordeaux bis Odessa“. Die heutigen Machtfantasien folgen demselben imperialen Muster. Und die EU dient dabei als wirtschaftlicher Rückhalt, die NATO als militärischer Hebel. Die geopolitischen Konzepte des 21. Jahrhunderts unterscheiden sich nicht grundlegend von denen des 20. Jahrhunderts – sie sind nur technisch weiterentwickelt.
Die Rolle der Medien darf hierbei nicht unterschätzt werden. In der veröffentlichten Meinung wird das Konzept der „Führungsmacht Deutschland“ nicht hinterfragt, sondern aktiv gefördert. Kritik wird als unpatriotisch gebrandmarkt, Friedensforderungen als naiv. Der ideologische Überbau bereitet die Gesellschaft auf den Krieg vor – durch Angst, Feindbilder und scheinbare Alternativlosigkeit. So wurde etwa in den öffentlich-rechtlichen Sendern wie dem ZDF-Politmagazin "frontal" oder in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ die Debatte um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine fast ausschließlich im Sinne einer „Verantwortung Deutschlands“ geführt, während kritische Stimmen aus der Friedensbewegung kaum Gehör fanden oder als „russlandfreundlich“ diffamiert wurden.
Umverteilung nach oben – Sozialabbau statt Daseinsvorsorge
Während das Kapital massive Steuerentlastungen, Industriepolitik und direkte Investitionszuschüsse erhält, gehen die Kommunen leer aus. Von den 500 Milliarden Euro Sondervermögen sollen nur 50 Milliarden tatsächlich für Städte und Gemeinden bereitgestellt werden. Der Investitionsstau liegt aber bereits heute bei über 180 Milliarden. Schulen, Krankenhäuser, Kitas – sie verrotten weiter.
Die Gewerkschaften fordern mehr Mittel für Bildung und Gesundheit. Doch diese Hoffnungen sind Illusion. Der Staat ist längst auf Kriegskurs. Der Koalitionsvertrag sieht außerdem eine schrittweise Senkung der Körperschaftssteuer vor – eine klare Entlastung des Großkapitals, während für Beschäftigte Reallohnverluste, Sozialabbau und Deregulierung folgen. Zu diesen Deregulierungen zählen unter anderem die Aufweichung des Kündigungsschutzes, Einschränkungen bei Mitbestimmungsrechten und flexiblere Arbeitszeitregelungen, die einseitig zugunsten der Unternehmen wirken. Die soziale Spaltung vertieft sich.
Hinzu kommt: Die Transformation zur „Kriegswirtschaft“ wird flankiert von einem Abbau demokratischer Mitbestimmung. Bürgerbeteiligung wird durch Expertengremien ersetzt, Tarifautonomie durch Notstandslogik verdrängt. So etwa im Rahmen des „Krisenreaktionsgesetzes 2024“, das die Beteiligung der Parlamente bei sicherheitsrelevanten Infrastrukturentscheidungen massiv einschränkt und der Exekutive weitreichende Eingriffsrechte bei Arbeitskämpfen in „systemrelevanten Bereichen“ einräumt. Der politische Ausnahmezustand wird zur Regierungsmethode.
Der autoritäre Staat als Zukunftsmodell?
Was sich hier vollzieht, ist kein neoliberales Weiter-so, sondern ein politisch gesteuerter Übergang in eine autoritäre Kapitalherrschaft. Sichtbar wird dies etwa in der gezielten Steuerung öffentlicher Investitionen zugunsten militärischer und industriepolitischer Großprojekte, der Einrichtung exekutiver Sondergremien wie der "Strategierat Transformation" sowie in der faktischen Ausschaltung parlamentarischer Kontrolle bei der Bewilligung sicherheitsrelevanter Haushaltsmittel. Der Staat wird strategischer Investor, militärischer Akteur und ideologischer Wegbereiter in einem. Die Demokratie wird entkernt, die Zivilgesellschaft zum Anhängsel der Wehrhaftmachung degradiert. Ausdruck dessen ist unter anderem die systematische Ausweitung sicherheitspolitischer Vorgaben auf zivile Institutionen, wie sie etwa im Strategiepapier „Nationale Sicherheitsstrategie 2024“ formuliert wurden, in dem zivile Akteure zur aktiven Mitwirkung an Verteidigungszielen verpflichtet werden sollen. Was als Sicherheit verkauft wird, ist in Wahrheit die Generalmobilmachung für einen neuen Kalten Krieg – mit heißem Ausgang nicht ausgeschlossen.
Der Klassencharakter dieser Entwicklung ist unübersehbar: Während das Kapital Planungssicherheit, Steuererleichterung und Subventionen erhält, werden die Menschen zur Kasse gebeten – finanziell, ideologisch und künftig vielleicht auch mit ihrem Leben. Ein ähnliches Muster zeigte sich bereits in der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929, als staatliche Notverordnungen vor allem die Lohnabhängigen trafen, während Großunternehmen durch Rüstungsaufträge florierten. Auch aktuelle Analysen, etwa vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), warnen vor einer zunehmenden sozialen Schieflage durch militärisch geprägte Staatsausgaben.
Die soziale Last der Militarisierung wird auf die breite Masse abgewälzt, während die Profite systematisch nach oben umverteilt werden. Der autoritäre Kapitalstaat kennt dabei keine Rücksicht: Er nimmt die Zerstörung demokratischer und sozialer Errungenschaften in Kauf, um seine globale Ambition durchzusetzen.
Was tun?
Diese Entwicklung ist kein Naturgesetz. Sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen – getroffen von einer herrschenden Klasse, die ihre Profite durch Krieg, Ausbeutung und Repression sichert. Ein Beispiel dafür ist die Entscheidung der Bundesregierung, trotz massiver sozialer und ökologischer Defizite ein 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen aufzulegen, das vor allem militärischen und industriepolitischen Zwecken dient – während Kommunen weiter unterfinanziert bleiben und soziale Dienste ausbluten. Wer Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit will, muss den Kampf gegen diesen Kurs aufnehmen:
Keine weitere Aufrüstung!
Stopp der NATO-Kriegsvorbereitungen!
Investitionen in Soziales, Bildung, Gesundheit statt in Militär und Krieg!
Für eine Wirtschaftsordnung im Dienste der Menschen, nicht der Konzerne!
Die Friedensbewegung, Gewerkschaften, Sozialverbände und linke Organisationen müssen endlich die Stimme erheben – nicht defensiv, sondern offensiv. Es braucht neue Bündnisse, neue Aktionsformen, eine breite politische Mobilisierung. Der Widerstand muss sich organisieren – in den Betrieben, an den Universitäten, in den Stadtteilen. Historische Beispiele wie der breite Protest gegen die NATO-Nachrüstung Anfang der 1980er Jahre oder die Massendemonstrationen gegen den Irakkrieg 2003, die zu massiven gesellschaftlichen Debatten und zur Bildung stabiler Friedensnetzwerke führten zeigen, dass gesellschaftlicher Widerstand wirksam sein kann. Auch aktuelle Bewegungen wie die Streiks im Gesundheitswesen oder die Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung können Anknüpfungspunkte für eine gemeinsame Front gegen Militarisierung und Sozialabbau bieten.
Es geht um nicht weniger als die Frage, ob dieses Land künftig ein Land des Friedens oder ein Frontstaat westlicher Kriegspolitik sein wird. Die Entscheidung darüber darf nicht den Eliten überlassen bleiben – sie gehört in die Hände der Bevölkerung.