Die Zeitschrift *Das Neue Wort* veröffentlichte 1949 einen bedeutenden Text von Thomas Mann anlässlich des Goethe-Jahres, das an den 200. Geburtstag Goethes erinnerte und im Kontext einer Neudefinition der deutschen kulturellen Identität nach dem Zweiten Weltkrieg stand. Mann hielt seine Rede am 25. Juli 1949 in der Frankfurter Paulskirche, betonte dabei die emotionale und geistige Herausforderung seiner Rückkehr nach Deutschland, das für ihn durch die Emigration und die nationalsozialistische Vergangenheit tief entfremdet war. Seine Ankunft, die weniger als triumphale Rückkehr, sondern eher als schwerfälliges Wiedersehen mit einer schmerzlichen Vergangenheit erschien, wurde von ihm mit der Notwendigkeit einer neuen, kritischen Selbstreflexion verknüpft.
In seiner Rede beschrieb Mann das bedrückende Gefühl des persönlichen Verlustes und die Entfremdung von der deutschen Gesellschaft, die er bei seiner Emigration 1933 verlassen hatte. Er reflektierte über die nationalsozialistische Herrschaft, die Deutschland, wie er es formulierte, in einen "Rausch" – eine gefährliche Mischung aus Erhebung und geistiger Verfinsterung – geführt habe, der das Land zerstört und es seiner moralischen Integrität beraubt habe. Dabei unterschied Mann die deutsche Begrifflichkeit des „Rauschs“ von der nüchternen Intoxikation, wie sie in anderen Sprachen existiere, was für ihn die deutsche Neigung zur irrationalen Selbstaufgabe im Namen einer vermeintlichen Erhebung symbolisierte.
Im Verlauf seiner Ansprache bezog sich Mann auf die geistigen und kulturellen Ideale der deutschen Klassik, vor allem auf das Werk Goethes, das als kulturelles Erbe einen Weg zur moralischen und kulturellen Wiederbelebung Deutschlands bieten könnte. Manns Rede stellt somit sowohl eine kritische Reflexion über die deutsche Schuld als auch einen Appell zur Rückbesinnung auf die humanistischen Werte der deutschen Klassik dar. In diesem Kontext wird Goethe nicht nur als Dichter gefeiert, sondern als Symbol eines Deutschlands, das über eine schmerzvolle Vergangenheit hinauswachsen und eine neue, selbstkritische und moralisch gefestigte Identität finden muss.