Angriff auf die Transparenz
Wie CDU und SPD das Informationsfreiheitsgesetz kippen wollen
Die Große Koalition steht – aber zu welchem Preis? Während hinter verschlossenen Türen CDU/CSU und SPD über eine gemeinsame Regierung verhandeln, sickert ein Vorhaben durch, das für Aufsehen sorgt: Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG), das seit 2006 Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu staatlichen Informationen garantiert, soll abgeschafft werden. Verantwortlich für diesen demokratiepolitischen Rückschritt: der CDU-Politiker Philipp Amthor. Dieser Vorstoß bedeutet nicht nur eine technokratische Umstellung der Verwaltung, sondern einen massiven Einschnitt in die demokratische Teilhabe der Bevölkerung. Ohne den rechtlich verankerten Zugang zu amtlichen Dokumenten könnten Bürgerinnen und Bürger künftig etwa nicht mehr nachvollziehen, wie viel öffentliche Gelder für bestimmte Großprojekte ausgegeben werden, welche Lobbygruppen Einfluss auf Gesetzesvorlagen nehmen oder wie Behörden in Krisenzeiten – etwa während der Corona-Pandemie – ihre Entscheidungen begründen. Die Folgen wären eine Schwächung der demokratischen Kontrolle im Alltag und ein wachsendes Misstrauen gegenüber staatlichem Handeln.
Das Bürgerportal FragDenStaat, das seit fast zwei Jahrzehnten erfolgreich Anfragen an Behörden vermittelt und rund 300.000 Informationsbegehren begleitet hat, schlägt Alarm. Chefredakteur Arne Semsrott warnt eindringlich vor einem Rückfall in intransparente Machtstrukturen, wie sie aus der Zeit vor dem IFG bekannt sind. Die geplante Abschaffung sei nicht nur eine technische Reform, sondern ein gezielter Angriff auf die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit.
„Ohne das IFG wären unzählige politische Skandale nie ans Licht gekommen“, schreibt Semsrott. Und in der Tat: Plagiatsaffären prominenter Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg und Franziska Giffey, dubiose Machenschaften rund um die Klimastiftung MV, Nord Stream 2 oder undurchsichtige Fördermittelvergabe – all das wurde nur durch Anfragen von Bürgern und kritischen Journalistinnen sichtbar. Das IFG hat sich über Jahre hinweg als ein Instrument der Aufklärung und demokratischen Selbstverteidigung etabliert.
Philipp Amthor:
Vom Objekt der Recherche zur Waffe gegen Transparenz
Vom Objekt der Recherche zur Waffe gegen Transparenz
Brisant ist: Ausgerechnet Amthor, der selbst durch eine IFG-Anfrage wegen seiner Verbindungen zum umstrittenen US-IT-Unternehmen Augustus Intelligence unter Druck geraten war, führt die CDU-Verhandlungsgruppe „Moderne Justiz“. Er fordert nun die Abschaffung des IFG – unter dem Vorwand der Modernisierung der parlamentarischen Arbeit. Dies wirft Fragen nach Interessenkonflikten auf: Warum möchte ein Politiker, der selbst wegen fragwürdiger Praktiken öffentlich gemacht wurde, die rechtlichen Grundlagen dieser Transparenz beseitigen?
Im geleakten Strategiepapier, das in den Koalitionsverhandlungen der Arbeitsgruppe „Staatsmodernisierung“ kursiert, heißt es wörtlich: „Das Informationsfreiheitsgesetz in der bisherigen Form wollen wir abschaffen.“ Statt eines allgemeinen Zugangs für die Öffentlichkeit soll künftig ein „juristischer Dienst“ für Abgeordnete geschaffen werden. Der Zugang zu Informationen würde damit exklusiv dem parlamentarischen Raum vorbehalten bleiben – die Öffentlichkeit bliebe außen vor. Kritische Fragen aus der Bevölkerung könnten so ignoriert oder abgeschmettert werden.
Die vorgeschlagene Neustrukturierung der Informationsverteilung bedeutet eine Aushöhlung demokratischer Grundprinzipien. Es geht nicht um Bürokratieabbau, sondern um Machtkonzentration. Statt offener Verwaltung soll ein abgeschottetes Expertensystem entstehen, das kaum einer öffentlichen Kontrolle unterliegt.
Transparenz nur für Eliten?
Ein solcher Schritt wäre ein gefährlicher Präzedenzfall. Bürgerinnen und Bürger sowie Medienvertreterinnen würden systematisch ausgeschlossen. Der demokratische Kontrollmechanismus würde geschwächt – ein Rückschritt in Richtung obrigkeitsstaatlicher Politik. „Ein Rechtsstaat lebt von Kontrolle – durch das Parlament und durch die Öffentlichkeit“, mahnt Semsrott. „Wenn die Union die Augen vor der Geschichte verschließt, ist das gefährlich.“
Gerade in Zeiten, in denen politische Prozesse immer komplexer und undurchsichtiger werden – wie etwa bei der aktuellen Verteilung von Rüstungsausgaben oder der geheim gehaltenen Vertragsvergabe im Gesundheitswesen während der Corona-Krise – ist der Zugang zu amtlichen Informationen keine Nebensache, sondern ein Grundpfeiler der Teilhabe. Ohne Transparenz gibt es keine Aufklärung, ohne Aufklärung keine öffentliche Debatte. Damit entzieht man der Demokratie ihre Grundlage.
Politische Verschiebungen: AfD im Umfragehoch
Dieser Vorstoß fällt in eine Phase tiefgreifender politischer Verschiebungen. Die AfD erreicht in Umfragen Rekordwerte. Gründe für diesen Aufstieg sind unter anderem die wachsende Unzufriedenheit vieler Menschen mit der sozialen Lage, die Unsicherheit angesichts globaler Krisen sowie die als unzureichend empfundene Reaktion der etablierten Parteien. Dabei betreibt die AfD gezielt soziale Demagogie: Sie präsentiert sich als vermeintliche „Anwältin des kleinen Mannes“, während ihre wirtschaftspolitischen Forderungen oft neoliberale Kürzungen und Steuervorteile für Wohlhabende beinhalten. Themen wie Migration, Energiepreise und die zunehmende soziale Spaltung werden von ihr emotionalisiert und einseitig zugespitzt – mit einfachen Antworten auf komplexe Probleme. Diese Strategie verfängt bei vielen Wählerinnen und Wählern, die sich von der etablierten Politik im Stich gelassen fühlen. Laut dem Meinungsforschungsinstitut INSA liegt die AfD bei 23,5 Prozent – nur wenige Punkte hinter dem CDU/CSU-Bündnis mit 27 Prozent. Seit der Bundestagswahl im Februar 2025 hat die Union 1,5 Prozentpunkte verloren.
Besonders alarmierend: Die AfD konnte ihr Ergebnis gegenüber 2021 verdoppeln und wurde mit 20,8 Prozent zweitstärkste Kraft. In aktuellen Umfragen des Instituts Allensbach kommt sie auf 21 Prozent, während die Union bei 29,5 Prozent liegt. Die Linkspartei erholt sich leicht und erreicht 10 Prozent. Die Grünen rutschen auf 11,5 Prozent, die SPD bleibt mit 16 Prozent auf historischem Tiefstand. FDP und BSW drohen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Trotz der vielbeschworenen „Brandmauer“ gegenüber der AfD, wie sie unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag wiederholt bekräftigte („Mit der AfD wird es keine Zusammenarbeit geben.“), wird diese zunehmend zum Sammelbecken für Protestwählerinnen. CDU und SPD sehen sich unter Druck, politische Handlungsfähigkeit zu beweisen – etwa im Umgang mit den hohen Haushaltsdefiziten, den Forderungen nach mehr Investitionen in Rüstung und Infrastruktur sowie der anhaltenden Kritik an der Energie- und Sozialpolitik. Besonders der Umgang mit dem Bürgergeld und die geplanten Kürzungen im Gesundheitsbereich haben zuletzt für breite Proteste gesorgt und erhöhen den Druck auf die Regierungsparteien, Stärke und Entscheidungsfähigkeit zu demonstrieren – oftmals auf Kosten demokratischer Prinzipien. – und sind offenbar bereit, dafür Grundrechte zur Disposition zu stellen. Die Angst vor Machtverlust scheint größer zu sein als das Bekenntnis zu demokratischen Grundwerten. So wurde etwa die Debatte über das Demokratiefördergesetz immer wieder verschleppt oder verwässert, aus Angst vor politischem Gegenwind. Gleichzeitig zeigt sich in der gezielten Schwächung von Transparenzgesetzen und Kontrollmechanismen, wie sehr der Selbsterhalt der politischen Macht über rechtsstaatliche Prinzipien gestellt wird.
Ein Blick hinter die Kulissen der Macht
Der Vorschlag, das IFG zu streichen, entstammt nicht nur ideologischer Überzeugung. Es geht auch um Selbstschutz. Philipp Amthor wurde 2018 durch eine IFG-Anfrage bloßgestellt, als er mit Bundestagsbriefpapier für ein Privatunternehmen warb – ein Skandal, der ihn seine politische Karriere beinahe gekostet hätte. Dass ausgerechnet er nun als Vorkämpfer für „weniger Transparenz“ auftritt, wirkt wie ein Angriff aus Eigennutz.
Das geplante IFG-Aus reiht sich ein in weitere Versuche, öffentliche Kontrolle einzuschränken. So wird aktuell auch über eine stärkere Beschränkung wissenschaftlicher Dienste des Bundestags debattiert – ebenfalls ein Bereich, der kritischen Journalistinnen oft als Quelle dient. Informationsrechte sind unbequem für jene, die ungestört agieren wollen.
Noch schwerwiegender ist, dass mit dem Abbau von Transparenzrechten auch der Boden für Desinformation bereitet wird. Ein Beispiel dafür war die Maskenbeschaffungsaffäre während der Corona-Pandemie, bei der fehlende Einsicht in Verträge und Entscheidungswege zu Verschwörungserzählungen, falschen Zahlen und tiefem Misstrauen in staatliches Handeln führten. Nur durch späte Informationsfreigaben konnte in Teilen aufgeklärt werden, wie Millionenbeträge an ausgewählte Unternehmen flossen – ein Vorgang, der mit voller Transparenz gar nicht erst diese Gerüchteküche ermöglicht hätte. Wo Fakten nicht öffentlich überprüfbar sind, entsteht Raum für Spekulation, Misstrauen und populistische Narrative. Gerade rechte Bewegungen wie die AfD profitieren von intransparenten Strukturen, gegen die sie sich vermeintlich inszenieren.
Ein gefährlicher Dammbruch
Die geplante Abschaffung des IFG darf auch im größeren geopolitischen Zusammenhang nicht isoliert betrachtet werden. Während westliche Staaten, allen voran die USA, Transparenz und Menschenrechte predigen, zeigen Enthüllungen wie die durch Wikileaks oder die NSA-Affäre um Edward Snowden, dass diese Werte häufig nur rhetorisch betont werden, während in der Praxis massive Überwachung, Geheimhaltung und undemokratische Eingriffe zum Alltag gehören, fördern sie in der Praxis ein System der Intransparenz und Machtkonzentration – im Inneren wie nach außen. Die Schwächung bürgerlicher Kontrollrechte in Deutschland folgt einer Logik, die mit dem Ausbau militärischer Strukturen, der Aufrüstungspolitik und der wirtschaftlichen Abschottung gegen internationale Konkurrenten wie Russland und China, mit denen es geopolitische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Spannungen gibt Hand in Hand geht.
Ein antiimperialistischer Standpunkt betont: Wer Transparenz im Inneren abbaut, tut dies oft, um imperiale Interessen ungestört verfolgen zu können – wie es etwa in den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu beobachten war. Damals wurden unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit weitreichende Überwachungsmaßnahmen wie der Patriot Act eingeführt, die der Öffentlichkeit größtenteils verborgen blieben. Gleichzeitig legitimierte man damit Militäreinsätze im Ausland, ohne eine breite gesellschaftliche Diskussion zuzulassen. Solche Entwicklungen zeigen, wie fehlende Transparenz im Inneren die aggressive Außenpolitik imperialer Staaten stützen kann. Bürgerrechte, freie Information und Aufklärung stehen dann den geopolitischen Plänen des Westens im Weg. Deshalb ist der Kampf für das Informationsfreiheitsgesetz auch ein Teil des Kampfes gegen eine imperialistisch geprägte Ordnung, die auf Kontrolle, Ausbeutung und Unterdrückung basiert.
Die geplante Abschaffung des IFG bedeutet einen fundamentalen Bruch mit dem Anspruch auf demokratische Teilhabe. Gerade in einer Zeit wachsender gesellschaftlicher Spannungen, zunehmender autoritärer Tendenzen und sinkenden Vertrauens in politische Institutionen wäre mehr Transparenz nötig – nicht weniger. Die Bevölkerung darf nicht länger von politischer Entscheidungsfindung ausgeschlossen werden.
Ob die SPD ihre ablehnende Haltung gegenüber dem Vorhaben aufrechterhält, bleibt offen. In den Koalitionsgesprächen zeigt sie sich bislang zwar kritisch, doch der Druck auf eine schnelle Regierungsbildung könnte Kompromisse erzwingen. Wird sie einknicken, droht ein nachhaltiger Vertrauensverlust – nicht nur bei der eigenen Basis.
Die Zivilgesellschaft ist gefragt, Widerstand zu leisten. Denn wie Arne Semsrott warnt: „Wer die Transparenz abschafft, öffnet die Tore für Missbrauch, Korruption und Willkür.“ Die Debatte um das IFG ist ein Prüfstein für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie. Sie stellt die Frage, ob wir als Gesellschaft bereit sind, für demokratische Grundrechte einzutreten, wenn diese in Gefahr geraten. Deshalb ist es entscheidend, dass sich Bürgerinnen und Bürger organisieren, öffentliche Debatten führen, politische Verantwortung einfordern und sich aktiv für die Erhaltung und Stärkung von Transparenzrechten einsetzen – sei es durch Petitionen, Demonstrationen oder juristische Schritte.
Nur ein aufgeklärtes, kritisches und informiertes Gemeinwesen kann eine wehrhafte Demokratie sein. Schon der Aufklärer Immanuel Kant forderte, dass der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit nur durch den freien Gebrauch von Vernunft möglich sei. Dieser Gedanke gilt heute mehr denn je: Ohne Zugang zu Informationen kann keine mündige Öffentlichkeit entstehen – und ohne mündige Öffentlichkeit ist Demokratie nur eine Fassade. Die Debatte um das IFG ist eine Debatte um die politische Kultur der Bundesrepublik – und um nichts weniger als die Frage: Wer darf in Zukunft wissen, was der Staat tut? Und wer darf kontrollieren, ob er es richtig tut?