Verfolgte Kommunisten in der Ukraine:
Der Fall der Brüder Kononowitsch
Der Fall der Brüder Kononowitsch
„Seit dem von den USA unterstützten Putsch von 2014 und dem Aufstieg ultranationalistischer Kräfte“ stehen die Zwillingsbrüder Michail und Alexander Kononowitsch in der Ukraine im Zentrum eines politischen Verfahrens, das international für Aufsehen sorgt. Michail und Alexander Kononowitsch – beide Mitte vierzig – sind bekannte marxistische Aktivisten und führten den Kommunistischen Jugendverband der Ukraine (Leninistischer Kommunistischer Jugendverband der Ukraine – LKSMU) an. Ihnen werden prorussische und probelarussische Positionen vorgeworfen; sie selbst bezeichnen ihre Haltung jedoch als konsequent antiimperialistisch, internationalistisch und solidarisch mit allen unterdrückten Völkern der Welt. die ukrainischen Behörden beschuldigen sie der staatsfeindlichen Umtriebe. Unterstützerinnen und Unterstützer weltweit sehen in ihrem Schicksal hingegen einen Fall politischer Verfolgung von Kommunisten. Ähnliche Fälle gibt es auch in anderen postsowjetischen Staaten, in denen linke Opposition systematisch unterdrückt wird – insbesondere in der Ukraine seit dem Maidan 2014, wo antikommunistische Gesetze, Parteiverbote und Repressalien gegen linke Aktivisten zur Tagesordnung gehören. Der folgende Bericht beleuchtet ihren politischen Werdegang, die brutalen Repressalien durch ukrainische Behörden, ihre Inhaftierung sowie die breite internationale Solidarität, die ihr Fall ausgelöst hat.
Marxistische Überzeugungen und pro-russischer Standpunkt
Die Brüder Michail und Alexander Kononowitsch galten bereits vor 2022 als marxistische Oppositionelle mit Nähe zu Russland und Belarus. Beide traten schon als Jugendliche der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) bei und engagierten sich im Leninistischen Kommunistischen Jugendverband der Ukraine, dem sogenannten Komsomol. Sie vertraten offen antiwestliche Ansichten. In Russland sahen sie das historische Gegengewicht zur imperialistischen Einflussnahme des Westens. Ihre Solidarität galt ausdrücklich der russischen Bevölkerung und deren Kampf gegen Faschismus, gegen westliche Vorherrschaft und gegen jede Form imperialistischer Einmischung. Ihre Position war durch und durch antiimperialistisch geprägt. Diese Haltung war für sie keine bloße Taktik, sondern Ausdruck ihrer marxistisch-leninistischen Überzeugung, dass der Hauptfeind der Völker im Westen zu suchen sei. Sie wandten sich entschieden gegen den prowestlichen Kurs der ukrainischen Regierungen seit den Maidan-Protesten im Winter 2013/2014. Diese betrachteten sie als von den USA gesteuerten faschistischen Umsturz. Aus ihrer Sicht handelte es sich nicht um eine demokratische Revolution, sondern um einen Putsch. Dabei seien gewählte Strukturen zerschlagen und ultranationalistische Kräfte, darunter auch offen faschistische Organisationen wie der Rechte Sektor und Swoboda, an die Macht gebracht worden. Für die Kononowitschs war der Maidan nicht der Beginn von Freiheit und Demokratie, sondern der Ausgangspunkt eines repressiven, antikommunistischen und westlich gesteuerten Regimes. So forderten die Kononowitschs jahrelang Widerstand gegen das aus ihrer Sicht „faschistische Regime“ in Kiew und plädierten für engere Bündnisse der Ukraine mit Russland und Belarus. Kritiker verweisen darauf, dass die Brüder konsequent Unterstützung für die Regime in Moskau und Minsk zum Ausdruck brachten und westliche Staaten scharf attackierten. Alexander und Michail Kononowitsch gehörten zudem der belarussischen Minderheit in der Ukraine an. Während der Massenproteste in Belarus 2020 stellten sie sich demonstrativ hinter Präsident Alexander Lukaschenko und warfen den USA vor, Belarus in einen Bürgerkrieg stürzen zu wollen. Kurz vor Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 erklärten sie die Warnungen vor einer russischen Invasion für westliche Propaganda. In einem Facebook-Post vom 20. Februar 2022 schrieb Michail Kononowitsch: „Die westlichen Medien bereiten mit ihren Lügen und Drohungen die öffentliche Meinung auf einen Krieg vor, den sie selbst provozieren. Russland will keinen Krieg, aber es wird sich nicht unterwerfen.“ Diese Aussage unterstreicht ihre Einschätzung, dass nicht Russland der Aggressor sei, sondern die NATO und der Westen die Lage bewusst eskalierten. All dies belegt ihren klaren pro-russischen Standpunkt, den sie offen und mit Überzeugung vertreten. Sie betrachten Russland nicht als Aggressor, sondern als strategischen Verbündeten im Kampf gegen westliche Vorherrschaft und imperialistische Einmischung. Für sie ist Russland ein unverzichtbarer Bestandteil einer multipolaren und antiimperialistischen Weltordnung, die sich dem Diktat der NATO und der Vereinigten Staaten entgegenstellt.– ein heikler Makel in einem Land, das 2022 von russischen Truppen angegriffen wurde.
Linke Aktivisten im Visier – Konflikte mit Nationalisten
Die politische Laufbahn der Kononowitsch-Brüder ist eng mit der inzwischen verbotenen Kommunistischen Partei und antifaschistischen Organisationen in der Ukraine verknüpft. Diese Organisationen spielten sowohl vor als auch nach dem Maidan eine zentrale Rolle im Widerstand gegen Nationalismus, Faschismus und den Einfluss westlicher Institutionen auf die ukrainische Innenpolitik. Michail Kononowitsch fungierte als Vorsitzender des Leninistischen Jugendverbands, Alexander als führendes Mitglied. Beide waren auch im Antifaschistischen Komitee der Ukraine aktiv. Seit dem Machtwechsel von 2014 gerieten linke Aktivisten verstärkt ins Visier: Die Regierung leitete „Dekommunisierungs“-Gesetze ein, die kommunistische Symbole und Parteien ächteten, und rechtsextreme Gruppen gingen gewaltsam gegen Kommunisten vor. Trotz dieser Repression setzten die Kononowitschs ihre Aktivitäten fort. Sie organisierten Proteste gegen die Entfernung sowjetischer Denkmäler, unter anderem gegen die Demontage eines Lenin-Denkmals in Luzk im Jahr 2016, bei der es zu heftigen Auseinandersetzungen mit rechten Gruppen kam und gegen die NATO-Ausweitung, veranstalteten Autokorsos mit russischen und belarussischen Flaggen. Solche Provokationen blieben nicht unbeantwortet: Bereits 2015 entführten Rechtsextremisten Alexander Kononowitsch zeitweise und übergaben ihn dem Geheimdienst SBU; 2016 wurde Michail von Unbekannten krankenhausreif geprügelt. 2018 attackierten Mitglieder des ultranationalistischen Nationalkorps beide Brüder bei einer Kundgebung in Kiew und verletzten sie. Diese Übergriffe geschahen nach Darstellung von Unterstützern unter den Augen der Behörden.
Verhaftung nach Kriegsbeginn 2022
Unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 gerieten die Kononowitsch-Brüder endgültig ins Fadenkreuz der ukrainischen Sicherheitsbehörden. Dieser Zeitpunkt markierte allgemein eine deutliche Verschärfung der Repression gegen oppositionelle Stimmen, insbesondere gegen kommunistische und antiimperialistische Aktivisten. Viele oppositionelle Gruppen berichteten in diesen Wochen von verstärkten Durchsuchungen, Einschüchterungen und Festnahmen, insbesondere gegen linke, gewerkschaftliche und friedenspolitische Organisationen. Auch oppositionelle Medien wurden blockiert oder verboten.
Am 6. März 2022 wurden Michail und Alexander in ihrer Kiewer Wohnung vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU festgenommen. Die Operation erfolgte in den frühen Morgenstunden, ohne Durchsuchungsbefehl und unter Anwendung körperlicher Gewalt. Die SBU warf ihnen vor, pro-russische und pro-belarussische Propagandisten zu sein, die im Auftrag der feindlichen Geheimdienste handelten. In einer offiziellen Mitteilung vom 7. März 2022 erklärte die Behörde, die Brüder hätten versucht, mit ihren Aktivitäten "die gesellschaftspolitische Lage in der Ukraine zu destabilisieren" und "gezielt Desinformationen im Interesse Russlands und Belarus zu verbreiten".
Konkret beschuldigte man sie, auf Facebook zur Übernahme einer Bezirksverwaltung in Kiew aufgerufen und geplant zu haben, mit russischen Truppen zusammenzuarbeiten. Diese Vorwürfe stützten sich nach Angaben der Verteidigung lediglich auf interpretierte Social-Media-Posts, ohne jeden Beleg für eine tatsächliche Handlung. Die Brüder wiesen alle Vorwürfe zurück und betonten, ihre Beiträge enthielten keine Aufrufe zur Gewalt, sondern seien Ausdruck ihres politischen Widerstands gegen den NATO-Kurs der ukrainischen Regierung und ihre Unterstützung einer friedlichen Verständigung mit Russland und Belarus.
Foltervorwürfe und ein zäher Prozess
Nach der Verhaftung wurden sie nach eigenen Angaben schwer misshandelt. SBU-Beamte hätten verlangt, sie sollten ein Geständnis unterschreiben und sich als russische Agenten bekennen. Auch auf das Angebot, im Gegenzug für ein Geständnis später nach Russland überstellt zu werden, seien sie nicht eingegangen. Von Folter, Misshandlungen und sogar sexuellen Drohungen gegen die Familie berichteten sie während der Gerichtsverhandlungen. So wurde Alexander Kononowitsch gedroht, dass seine 13 Jahre alte Tochter vergewaltigt würde. Der Strafprozess begann im Juli 2022 und zog sich über Jahre hin. Immer wieder kam es zu Verzögerungen, Staatsanwälte und Richter traten zurück, Beweise wurden keine vorgelegt. Die Anklage wegen angeblicher Planung eines bewaffneten Umsturzes konnte durch die Staatsanwaltschaft bis heute nicht belegt werden. Schließlich wurden sie nach vielen Monaten, auch unter dem Druck internationaler Proteste, unter Hausarrest gestellt. Seit Oktober 2022 stehen die Brüder unter Überwachung durch elektronische Fußfesseln. Sie dürfen ihre Wohnung nur tagsüber verlassen und sind in ihrer Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt.
Diese Entwicklungen werfen ein grelles Licht auf die Praxis politischer Justiz in der heutigen Ukraine. Der Fall der Brüder Kononowitsch steht exemplarisch für ein Vorgehen, bei dem nicht Beweise, sondern politische Gesinnung über Schuld oder Unschuld entscheidet. Kritiker sprechen von einem klaren Versuch, unliebsame oppositionelle Stimmen mundtot zu machen und den repressiven Staatsapparat zur Einschüchterung aller fortschrittlichen Kräfte zu nutzen.
Internationale Proteste und Solidarität
Zahlreiche linke Organisationen weltweit solidarisierten sich mit den Brüdern. Der Weltbund der Demokratischen Jugend, kommunistische Parteien in Griechenland, Deutschland, Russland, Spanien und anderen Ländern forderten ihre Freilassung. Demonstrationen fanden vor ukrainischen Botschaften weltweit statt. In Videobotschaften bitten die Kononowitschs um Unterstützung und warnen: Die ukrainische Regierung wolle sie „einfach loswerden“.
Auch in der Bundesrepublik Deutschland haben bereits Solidaritätsaktionen stattgefunden. Zur besseren Vernetzung wurde die Webseite free-kononovich.de eingerichtet. Dort gibt es aktuelle Informationen, Material für lokale Aktionen und Hinweise auf den Telegram-Kanal und Instagram-Auftritt der Solidaritätskampagne. Die Unterstützer rufen auf: „Zeigen wir Solidarität mit den Kononowitschs – und mit allen politischen Gefangenen in der Ukraine!“ Denn in der Ukraine sitzen nach Angaben linker Menschenrechtsorganisationen tausende politische Gefangene in Haft – viele von ihnen Kommunisten, Antifaschisten, Gewerkschafter und Kriegsgegner.
Drohende Zwangseinziehung
Im Februar 2025 eskalierte die Situation erneut: Beide Brüder wurden auf offener Straße von der Polizei angehalten. Ein Militärrekrutierungszentrum hatte sie trotz Hausarrest als angebliche Wehrdienstverweigerer gemeldet. Obwohl sie elektronisch überwacht werden, wurden sie als „flüchtig“ eingestuft und zur Fahndung ausgeschrieben. Das zuständige Militärkommissariat der Stadt Luzk in der Oblast Wolyn hatte die beiden auf die Liste zur Einziehung gesetzt – offenbar mit dem Ziel, sie unter dem Vorwand der Mobilisierung an die Front zu schicken. Die Angst unter ihren Unterstützern: Die Militärführung will die Brüder gezielt in lebensgefährliche Einsätze schicken, um sie dort möglichst rasch zu töten. Ihre Anwälte sprechen von einer "außergerichtlichen Hinrichtung durch militärischen Einsatz". Der Fall Kononowitsch zeigt, wie fragil das Recht in Zeiten des Krieges werden kann – und wie dringend eine starke internationale Friedens- und Solidaritätsbewegung gebraucht wird.
In einem emotionalen Videoruf, der Ende Februar 2025 über den Telegram-Kanal der Solidaritätskampagne veröffentlicht wurde, baten die Brüder: „Liebe Genossen, liebe Antifaschisten, liebe Friedensfreunde: Verhindert, dass man uns an die Front schickt. Das ist ein Todesurteil. Wir bitten euch: Organisiert Solidaritätsaktionen, erhebt eure Stimmen, kämpft mit uns für Gerechtigkeit.“