Tarifrunde 2025 – Ein Armutszeugnis
Verdi und der Verrat an der Basis
Verdi und der Verrat an der Basis
Das von der Verdi-Führung am 6. April 2025 vorgestellte Tarifergebnis, das Reallohnverluste, eine faktische Arbeitszeitverlängerung und die Vertiefung sozialer Ungleichheit zur Folge hat, für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen stellt einen historischen Rückschritt dar. Mit dem Verweis auf "schwierige Zeiten" wurde ein Ergebnis präsentiert, das mit den ursprünglichen Forderungen der Gewerkschaft kaum noch etwas gemein hat. Die Empörung und Enttäuschung in der Mitgliedschaft sind groß, denn viele Kolleginnen und Kollegen empfinden dieses Ergebnis zu Recht als Verrat. Die Verdi-Spitze ignorierte die Bedürfnisse der Beschäftigten und suchte den Burgfrieden mit der Regierung und den Arbeitgebern mit der Regierung und den Arbeitgebern gesucht – auf dem Rücken derjenigen, die in den letzten Monaten für bessere Bedingungen gestreikt und gekämpft haben.
Reallohnverlust trotz massiver Inflation
Verdi hatte unter anderem eine Lohnerhöhung von acht Prozent, mindestens jedoch 350 Euro monatlich gefordert. Angesichts der anhaltenden Inflation, insbesondere bei Mieten, Lebensmitteln, Energie und Mobilität, war diese Forderung nicht nur berechtigt, sondern notwendig. Stattdessen sieht das nun empfohlene Ergebnis eine Laufzeit von 27 Monaten vor, mit drei Nullmonaten, einer Erhöhung um drei Prozent ab dem vierten Monat und weiteren 2,8 Prozent erst ab 2026. Diese sogenannte Einigung bedeutet faktisch eine Lohnkürzung. Bei einem mittleren Einkommen von 2.800 Euro brutto im Monat bedeutet dies, dass inflationsbereinigt jährlich bis zu 1.000 Euro verloren gehen – und das bei gleichzeitig steigenden Lebenshaltungskosten. Sie liegt deutlich unter der Preissteigerung und führt zu realem Kaufkraftverlust – besonders für die unteren Entgeltgruppen.
Die Preise für lebensnotwendige Güter steigen weiter. Für viele Beschäftigte bedeutet jeder Euro weniger eine spürbare Einschränkung im Alltag – sei es bei der Miete, beim Heizen oder beim Schulbedarf der Kinder. Dass ein solcher Abschluss in Zeiten sozialer Not als Erfolg verkauft wird, ist zynisch. Die soziale Ungleichheit wird zementiert, und die Spaltung innerhalb der Belegschaften verschärft sich.
Arbeitszeitverlängerung durch die Hintertür
Besonders brisant ist die Einführung der sogenannten "freiwilligen" 42-Stunden-Woche. Was als Option dargestellt wird, ist in Wirklichkeit struktureller Zwang. In vielen Bereichen herrscht bereits heute massiver Personalmangel. Unter diesen Bedingungen wird aus Freiwilligkeit schnell faktische Pflicht. Die Aushöhlung des Acht-Stunden-Tages und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten bedrohen hart erkämpfte soziale Errungenschaften.
Wer heute länger arbeitet, setzt Kolleginnen und Kollegen unter Druck, die sich das nicht leisten können oder wollen. Prekär Beschäftigte werden gezwungen sein, mitzuziehen – nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst oder wirtschaftlicher Not. Das ist kein Fortschritt, sondern ein Rückfall in Zeiten, in denen soziale Rechte bedeutungslos waren.
Bruch mit dem Solidarprinzip
Statt für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, vertieft das Ergebnis die Ungleichheit innerhalb des öffentlichen Dienstes. Die Erhöhung der Jahressonderzahlung ist nach Entgeltgruppen gestaffelt und bevorzugt klar die höheren Lohngruppen. Während Kolleginnen und Kollegen in EG 1 bis 8 lediglich 0,5 Prozent eines Monatsgehalts erhalten, bekommen die oberen Gruppen (EG 13 bis 15) eine Erhöhung von 33 Prozent. Das ist ein Bruch mit dem Prinzip der solidarischen Entgeltpolitik: Wer wenig hat, erhält weniger – wer viel hat, bekommt noch mehr.
Diese Praxis fördert Spaltung. Laut Angaben der Gewerkschaft arbeiten rund 40 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den unteren Entgeltgruppen – also genau dort, wo die prozentuale Sonderzahlung am niedrigsten ausfällt. Besonders betroffen sind Berufsgruppen wie Erzieherinnen, Pflegekräfte oder Reinigungspersonal. Statt für Ausgleich zu sorgen, verschärft der Tarifabschluss so gezielt bestehende Ungleichheiten. Besonders betroffen sind Frauen, Migranten und Beschäftigte in sozialen Berufen. Die soziale Schieflage wird weiter verschärft, und ein gemeinsames Klassenbewusstsein wird systematisch untergraben. Solidarität, einst Grundpfeiler gewerkschaftlicher Politik, wird ersetzt durch Funktionärsdenken und Anpassung an kapitalistische Logiken.
Kriegsetat statt öffentlicher Daseinsvorsorge
Diese Tarifrunde ist keine rein betriebliche Auseinandersetzung. Sie steht im Kontext einer massiven Umverteilung öffentlicher Mittel zugunsten von Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Während Milliarden für Panzer, Drohnen und Militäreinsätze bereitgestellt werden, wird bei den Löhnen, in Kitas, Krankenhäusern und im Nahverkehr gespart. Der soziale Kahlschlag wird als Sachzwang verkauft – doch dieser Kurs ist politisch gewollt.
Die Entscheidung, immer mehr Haushaltsmittel in die Militarisierung zu stecken, ist Ausdruck einer autoritären Krisenbearbeitung, die auf Repression statt soziale Lösung setzt. Während in jeder Kommune Schwimmbäder, Bibliotheken und Sozialberatungsstellen schließen, geht das Geld an Rüstungskonzerne. Die Bundesregierung betreibt eine beispiellose Aufrüstungspolitik und verkündet gleichzeitig das Märchen von der leeren Kasse. In Wahrheit sind Prioritäten verschoben: Die soziale Infrastruktur wird zugunsten eines militarisierten Staatsumbaus geopfert.
Mit dem Schlichterspruch – mitgetragen von CDU-Politiker Roland Koch – akzeptiert Verdi die Sparlogik der Kriegswirtschaft. Die Umverteilung von unten nach oben ist Teil einer ideologisch motivierten Klassenoffensive. Während für die Rüstung grenzenlose Mittel bereitstehen, wird der öffentliche Dienst ausgehungert. Immer mehr Beschäftigte verlassen aus Überlastung, Perspektivlosigkeit und schlechter Bezahlung den Beruf, während gleichzeitig die gesellschaftlichen Anforderungen steigen. Die Folgen tragen die Schwächsten: Kinder, Kranke, Alte – Menschen, die auf einen funktionierenden Sozialstaat angewiesen sind.
Die Verdi-Führung hat sich dafür entschieden, Teil dieser Offensive zu sein, wie ihre Aussage im zentralen Verdi-Flugblatt zeigt: "Ein Tarifergebnis ist immer ein Ausdruck von Kräfteverhältnissen ... Die Antwort war nein." Dieses Eingeständnis macht deutlich, dass man sich nicht gegen die Arbeitgeberinteressen stellen wollte, sondern bewusst die systemkonforme Verwaltung des Mangels übernimmt. Statt Klasseninteressen zu vertreten, stellt sich die Führung in den Dienst einer Politik, die auf sozialen Rückbau und Kriegsvorbereitung setzt. Eine echte Opposition dazu muss aus der Basis selbst entstehen.
Widerstand von unten
Die Gewerkschaftsbasis hat in den vergangenen Monaten mit Streiks, Demonstrationen und Aktionen gezeigt, dass sie bereit ist zu kämpfen. Mehr als 150.000 Menschen haben sich beteiligt. Besonders aktiv waren Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen, im Nahverkehr, in Kitas und Verwaltungen. In offenen Briefen – wie dem aus Dortmund – wird das Verhandlungsergebnis als "Verrat" bezeichnet. Die Wut ist groß – und sie ist berechtigt.
Doch es braucht mehr als Empörung: Es braucht Organisierung. Der Kampf darf nicht abbrechen. Nur wenn sich Beschäftigte zusammenschließen, sich gegenseitig stärken und unabhängig von der Bürokratie ihre Interessen vertreten, kann sich etwas ändern. Die Basis muss aktiv bleiben – denn die Veränderung kommt nicht von oben.
Gewerkschaften zwischen Kampf und Anpassung
Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin und Trotzki haben früh gewarnt: Gewerkschaften können Kampforgane der Arbeiterklasse sein – oder Instrumente zur Stabilisierung des Systems. Wenn sie sich auf reine Verwaltung beschränken und sich dem bestehenden Apparat unterordnen, verfehlen sie ihren eigentlichen Zweck. Die Verdi-Führung hat sich in dieser Tarifrunde klar positioniert – und zwar gegen die Interessen der Beschäftigten, gegen eine kämpferische Perspektive und für ein Modell gewerkschaftlicher Anpassung an staatliche und ökonomische Machtverhältnisse.
Es braucht eine politische Orientierung, die über den reinen Lohnkampf hinausgeht. Gewerkschaften müssen Orte der Bewusstseinsbildung, der Solidarität und des Widerstands sein. Sie dürfen sich nicht länger auf ritualisierte Tarifrunden beschränken, sondern müssen aktiv an gesellschaftlichen Auseinandersetzungen teilnehmen: gegen Krieg, gegen Sozialabbau, gegen die Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge. Nur durch eine klare Positionierung gegen den neoliberalen und militarisierten Umbau der Gesellschaft kann die Arbeiterbewegung wieder an politischem Gewicht gewinnen.
Dazu gehört auch, dass Gewerkschaften sich nicht länger als verlängerter Arm der politischen Klasse verstehen, sondern als demokratisch kontrollierte Werkzeuge der kollektiven Selbstverteidigung. Das bedeutet: mehr innergewerkschaftliche Demokratie, eine stärkere Einbindung der Basis und eine programmatische Ausrichtung auf soziale Transformation. Nur dann können sie wieder Vertrauen aufbauen – und Kraft entfalten.
Der Kampf gegen Ausbeutung, Krieg und soziale Entwürdigung muss ins Zentrum rücken. Gewerkschaften dürfen keine Dienstleister für Tarifverträge sein, sondern politische Organisationen, die ihre Kraft aus dem Klassenbewusstsein der organisierten Beschäftigten schöpfen. Die Geschichte zeigt: Nur wer kämpft, kann gewinnen.
## Nein zur Kapitulation – Ja zur Offensive!
Die Mitgliederbefragung läuft noch bis zum 9. Mai. Jetzt ist die Zeit, Nein zu sagen: Nein zur Arbeitszeitverlängerung, Nein zu Reallohnverlust, Nein zur Sozialpartnerschaft mit einem Staat der Aufrüstung und Entsolidarisierung.
Netzwerke wie die "Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften" (VKG), das "Netzwerk für eine kämpferische und demokratische Verdi" oder "Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden" zeigen: Eine andere Gewerkschaftspolitik ist möglich. Es liegt an uns, sie aufzubauen.
## Fazit: Klassenkampf statt Burgfrieden
Was gebraucht wird, ist kein Burgfrieden, sondern ein Aufbruch. Die Gewerkschaften müssen wieder Orte des Widerstands werden. Für bessere Arbeitsbedingungen, für soziale Gerechtigkeit – und gegen Krieg, Aufrüstung und neoliberale Spaltungspolitik. Es geht nicht nur um mehr Lohn. Es geht um Würde, um Selbstbestimmung und um die Rückeroberung der Zukunft durch die arbeitende Klasse.
Unsere Antwort ist klar: Organisierung statt Ohnmacht. Widerstand statt Anpassung. Klassenkampf statt Burgfrieden.