Verrat und Zeitenwende – SPD zwischen Weltkrieg und Gegenwart
Kriegskredite, Kanonen, Klassenverrat
Wie die SPD 1914 den Ersten Weltkrieg ermöglichte –
und was das mit heute zu tun hat
und was das mit heute zu tun hat
Es war der 4. August 1914. Im Reichstag des Deutschen Kaiserreichs stimmte die größte Fraktion geschlossen für die Bewilligung der Kriegskredite. 110 SPD-Abgeordnete, die sich selbst als Friedenspartei verstanden, stimmten geschlossen für die Bewilligung der Kriegskredite und ermöglichten damit den imperialistischen Kriegseinsatz des Deutschen Reiches. Es war der historische Bruch mit dem Internationalismus, ein Pakt mit dem deutschen Militarismus, ein Verrat an der Arbeiterklasse. Was Jahrzehnte revolutionärer Aufbauarbeit hervorgebracht hatte – von der Gründung der ersten sozialdemokratischen Arbeitervereine über die Entwicklung eines umfassenden Bildungs- und Presseapparates bis hin zum Aufbau gewerkschaftlicher Machtstrukturen – wurde innerhalb weniger Stunden preisgegeben.
Jahrzehntelang hatte die sozialistische Bewegung geschworen, im Kriegsfall mit Generalstreik, Massenmobilisierung und politischer Agitation gegen das Morden vorzugehen. Die Kongresse der II. Internationale – Paris, Brüssel, Stuttgart, Kopenhagen, Basel – hatten den Kapitalismus als Ursache für Krieg benannt. Bereits 1907 formulierte Jean Jaurès in Stuttgart: "Wie die Wolke den Blitz, so trägt der Kapitalismus den Krieg in sich." Trotz aller Bekenntnisse zur internationalen Solidarität und Friedenspolitik kapitulierte die SPD-Spitze vor dem Druck der herrschenden Klasse und stellte sich an die Seite der Kriegstreiber. Nicht nur um der "Einheit der Nation" willen, sondern weil sie ihre Integration in das bürgerliche Regime witterte: Ministerwürden, Ansehen, Anerkennung vom Hof. "Ovation" nannten sie es später selbst.
Karl Liebknecht, Hugo Haase, Georg Ledebour und wenige andere warnten. Rosa Luxemburg sah die Katastrophe kommen. In flammenden Artikeln schrieb sie gegen die Kriegshetze an und analysierte mit klarem marxistischem Blick die inneren Widersprüche des Imperialismus. Doch die Parteimehrheit unter Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann, Gustav Noske folgte der Linie: Der Krieg sei eine Verteidigung gegen den "russischen Zarismus". Eine Lüge, gezielt von Kanzler Bethmann Hollweg inszeniert. Die wahren Kriegsziele – das "Septemberprogramm" – wurden geheim gehalten: Es beinhaltete unter anderem die dauerhafte Kontrolle über Belgien, große wirtschaftliche Einflusszonen in Frankreich, die Errichtung eines mitteleuropäischen Wirtschaftsblocks unter deutscher Führung sowie Gebietsgewinne in Osteuropa. Eine öffentliche Diskussion darüber wurde von der Regierung unterdrückt, um die Kriegsmobilisierung nicht zu gefährden. Annexion, deutsche Vorherrschaft über Europa, Kolonialerweiterung.
Der Preis: 17 Millionen Tote. Verwüstete Kontinente. Zerbrochene Leben. Und am Ende? Versailles, Faschismus, der nächste Krieg. Aus dem Verrat an der Arbeiterklasse wuchs der deutsche Faschismus. Die Reaktion auf den Krieg war nicht Revolution, sondern Konterrevolution. Wer den Weg zu Hitlers Machtübernahme verstehen will, muss bei der SPD 1914 beginnen – denn mit dem Verrat am Internationalismus und der Einbindung in den bürgerlichen Staatsapparat wurde der Weg für die Zerschlagung der Arbeiterbewegung und das Erstarken der Reaktion entscheidend vorbereitet.
Vom Reformismus zum Kriegskurs
Die Bewilligung der Kriegskredite bedeutete die moralische Bankrotterklärung – wie es Karl Liebknecht ausdrückte: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land!". Seine Stimme blieb zunächst isoliert, doch in Teilen der Arbeiterschaft war die Empörung groß, vielerorts kursierten Flugblätter gegen den Krieg und es kam zu spontanen Protesten. Die Entscheidung markierte den Tiefpunkt einer Partei, die sich selbst als Friedensmacht verstand. der Partei, die einst geschworen hatte, "kein Mann und keinen Groschen" für den Krieg herzugeben. Es war nicht nur ein einzelner politischer Fehler, sondern ein bewusster Kurswechsel – weg vom Klassenkampf, hin zur nationalen Kriegsbeteiligung. Die Bourgeoisie hatte ihr Ziel erreicht: Die revolutionäre Kraft der deutschen Arbeiterbewegung war gebrochen – nicht durch Bajonette, sondern durch Stimmenmehrheit im Parlament.
Die Umstände, die zu diesem Bruch führten, waren nicht nur außenpolitischer Natur. Auch innenpolitisch hatte sich die SPD über Jahre hinweg der Logik des Parlamentarismus untergeordnet – etwa durch ihre wiederholte Zustimmung zu Militäretats und bürgerlichen Gesetzesvorlagen, wie dem Haushaltsgesetz 1913, das massive Aufrüstungsmaßnahmen vorsah, statt revolutionäre Gegenmacht zu entwickeln. Mit jeder Reform, mit jeder Zustimmung zu einem Etat, mit jeder Annäherung an den Staatsapparat wurde die Sozialdemokratie schwächer in ihrer Klassenposition und stärker in ihrer systemtragenden Rolle. Der Burgfrieden von 1914 war die logische Konsequenz dieser Entwicklung – eine Selbstaufgabe, verkleidet als Realpolitik.
Die Repression der Kriegsgegner war brutal. So wurde Karl Liebknecht wegen seiner Antikriegsrede vom Mai 1916 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, Rosa Luxemburg saß zwischen 1915 und 1918 fast durchgehend in Haft. Auch viele lokale Streikführer wurden festgenommen oder unter Kriegsrecht gestellt.. Arbeiter, die streikten, wurden als Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Zeitungen der Linken wurden verboten, Demonstrationen aufgelöst, führende Genossen inhaftiert. Die SPD hielt dennoch an ihrer Linie fest. Erst mit der Gründung der USPD 1917 kam es zur organisatorischen Spaltung – doch da war das Morden längst in vollem Gange.
Zeitenwende 2.0 – Die Wiederkehr der alten Lügen
2022 erklärt Olaf Scholz die "Zeitenwende". Nicht für soziale Gerechtigkeit, nicht für Abrüstung oder Friedenspolitik, sondern für 100 Milliarden Euro Sondervermögen zur Militarisierung der Bundeswehr. SPD, Grüne, FDP, CDU – sie alle stimmen mit. Am 3. Juni 2022 verabschiedete der Bundestag das Sondervermögen mit großer Mehrheit – nur die Linksfraktion und einzelne Abgeordnete der AfD stimmten dagegen. Währenddessen gingen in mehreren Städten Tausende gegen die geplante Militarisierung auf die Straße. Sie liefern Waffen in ein Kriegsgebiet. Sie reißen wieder Gräben auf, diesmal gegen Russland.
Die Argumente sind dieselben: "Verteidigung", "Kultur gegen Barbarei", "Demokratie gegen Autokratie" – so formulierte es Olaf Scholz in seiner berüchtigten Zeitenwende-Rede am 27. Februar 2022: "Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor." Und weiter: "Es geht darum, unsere Freiheit, unsere Demokratie und unseren Wohlstand zu schützen." Wieder werden Lügen in Uniform gepresst – wie 1914, als die SPD-Führung den Krieg als Verteidigung gegen den "russischen Despotismus" rechtfertigte, obwohl längst annexionistische Pläne in den Schubladen der Regierung lagen. Wieder stellen sich die Medien in den Dienst der Kriegspolitik. Wieder schweigt die SPD, wo sie Widerstand leisten müsste. Und wieder erleben wir, wie parlamentarische Mehrheit zur moralischen Minderheit wird.
Die Preissteigerungen, die sozialen Kältewellen, die Waffenlieferungen – sie treffen nicht die Konzerne. Sie treffen Arbeiter, Mütter, Rentner, Jugendliche. Der Krieg wird nicht nur mit Raketen, sondern mit Stromrechnungen geführt. Während die Bevölkerung verarmt, feiern Rüstungskonzerne Rekordgewinne – allein Rheinmetall steigerte seinen Umsatz im Jahr 2023 um über 27 Prozent auf knapp 7 Milliarden Euro, während der Aktienkurs auf ein Allzeithoch kletterte. Rheinmetall baut neue Werke, Krauss-Maffei exportiert Leopard-Panzer, und die Bundesregierung verspricht Treue zur NATO – koste es, was es wolle.
Auch international trägt Deutschland heute Verantwortung für Eskalation – etwa durch die Lieferung schwerer Kampfpanzer an die Ukraine, die Debatte über Taurus-Marschflugkörper und das Drängen auf weitere NATO-Beitritte im Osten Europas. Anstatt eine Vermittlerrolle einzunehmen, beteiligt sich Berlin aktiv an der militärischen Aufrüstung der Ukraine, am Wirtschaftskrieg gegen Russland, an der Destabilisierung globaler Energie- und Handelsströme. Das Ergebnis: Hunger in Afrika, Proteste im Globalen Süden – und steigende Profite in den Schaltzentralen des westlichen Kapitals.
Kriegshetze, Zensur und Repression
Zugleich werden alle Rufe nach Diplomatie im Keim erstickt. Friedensinitiativen werden als "russische Propaganda" diskreditiert – etwa die Ostermärsche 2023, bei denen Teilnehmer öffentlich als staatsfeindlich und unter russischem Einfluss stehend verunglimpft wurden, linke Stimmen in Gewerkschaften und Medien marginalisiert, Friedensdemonstranten als "Putinversteher" beschimpft. Die Einheitsfront der Parteien im Bundestag erinnert fatal an die Einheitsfront von 1914 – jenen "Burgfrieden", bei dem sich alle Reichstagsparteien, inklusive der SPD, während des Ersten Weltkriegs verpflichteten, keine Opposition gegen die Regierung zu üben und die Kriegspolitik mitzutragen – damals wie heute zum Nutzen der Rüstungslobby, zum Schaden der Völker.
Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern Ausdruck der imperialistischen Interessenpolitik des deutschen Staates, der sich erneut anschickt, seinen Platz in der Weltordnung nicht durch Zusammenarbeit, sondern durch ökonomische und militärische Macht zu sichern. Der Schulterschluss mit den USA, die Stationierung von US-Atomwaffen auf deutschem Boden – insbesondere in Büchel in Rheinland-Pfalz, wo Schätzungen zufolge etwa 20 US-Atombomben lagern, die massive Aufrüstung – all das ist keine Defensive, sondern ein aggressives Programm zur Ausweitung geopolitischer Kontrolle.
Die Kriminalisierung von Antikriegsprotesten, die Gleichsetzung von Kritik mit "Delegitimierung des Staates" – etwa durch Hausdurchsuchungen gegen Friedensaktivisten wie in Berlin im März 2024 oder durch Ermittlungen gegen antimilitaristische Gruppen in Leipzig, die geplanten Gesetzesverschärfungen gegen "Feindpropaganda" – sie zeigen: Der bürgerliche Staat rüstet nicht nur militärisch, sondern auch ideologisch auf. Die Lehren aus 1914 sind aktueller denn je.
Klassenkampf statt Krieg!
Was 1914 möglich gewesen wäre, ist auch heute nötig. Ein Bruch mit dem Militarismus, mit der Kriegswirtschaft, mit dem bürgerlichen Staat. Ein Kampf gegen NATO-Aufrüstung, gegen das 2-Prozent-Ziel, gegen Rheinmetall, gegen Ramstein.
Friedensbewegung, Gewerkschaften, revolutionäre Linke müssen die Lehren ziehen: Wer auf die Sozialdemokratie setzt, wird verraten. Nur eine Bewegung, die sich dem Imperialismus konsequent entgegenstellt, hat das Recht, im Namen des Friedens zu sprechen.
Es reicht nicht, an Appelle zu richten. Der Aufbau einer starken, organisierten und international vernetzten Friedensbewegung muss jetzt Priorität haben. Diese Bewegung darf nicht im Schatten der alten Parteien agieren, sondern muss unabhängig, klassenbewusst und radikal sein. Sie muss die Verbindung zur sozialen Frage wiederherstellen: Keine Waffenlieferung, solange Kitas verfallen und Löhne stagnieren. Kein Aufrüstungspakt, solange das Volk hungert und die Reichen reicher werden.
Wir brauchen neue Räte, neue Formen demokratischer Selbstorganisation, neue Medien jenseits der Herrschaftslogik. Die Friedensfrage ist Klassenfrage, ist Systemfrage – und die Antwort kann nur heißen: Sozialismus oder Barbarei.
Organisieren wir den Widerstand!
Die Zeit des Zögerns ist vorbei. Es braucht eine neue Internationale des Widerstands – gegen die Kriegspolitik des Westens, gegen das herrschende System, für eine sozialistische Zukunft ohne Ausbeutung, Besatzung und Bomben.
Frieden kommt nicht von oben. Frieden wird erkämpft – mit Streiks, mit Blockaden, mit Aufklärung und Organisation. Unsere Parole bleibt dieselbe, heute wie damals:
Nie wieder Krieg
Nie wieder SPD-Kriegspolitik!
Der Feind steht im eigenen Land.
Nie wieder SPD-Kriegspolitik!
Der Feind steht im eigenen Land.