Recht im Dienst der Herrschenden
Ein historischer Abriss über den Niedergang des Rechts
Doppelmoral als Staatsräson
Das Völkerrecht ist zur leeren Hülse verkommen. Die Bundesrepublik, einst lautstark als Verteidigerin des Internationalen Strafgerichtshofs aufgetreten, demontiert dessen Grundlagen nun systematisch. War beim Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin noch vom unbedingten Rechtsstaat die Rede, wird bei Benjamin Netanjahu geschwiegen. Obwohl auch gegen ihn ein internationaler Haftbefehl vorliegt, sicherte Bundeskanzler Merz (CDU) dem israelischen Ministerpräsidenten den roten Teppich in Berlin zu. Die Gewaltenteilung wird zur Farce degradiert, wenn politisches Wohlwollen über deutsches und internationales Recht triumphiert. Auch Olaf Scholz (SPD) äußerte sich ähnlich, als er im April 2024 bei einem Treffen mit Jordaniens König Abdullah II. erklärte, dass er keinen Anlass sehe, den israelischen Premierminister bei einem möglichen Besuch in Deutschland verhaften zu lassen, obwohl ein internationaler Haftbefehl vorlag und untergrub die Grundlagen des Römischen Statuts und damit die Glaubwürdigkeit der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft.
Die Bundesrepublik verstößt damit gegen ihr eigenes IStGH-Gesetz. Eine politisch motivierte Weigerung zur Verhaftung Netanjahus wäre ein klarer Bruch der Gewaltenteilung. Doch für Israel scheint in Deutschland Sonderrecht zu gelten. Der Angriff auf den Iran wird trotz klarer Verstöße gegen das Völkerrecht nicht verurteilt, sondern gar gerechtfertigt. Merz nennt das Bombardieren von Zivilisten zynisch „Drecksarbeit“. Die Doppelmoral ist offensichtlich: Was bei Russland als Kriegsverbrechen geächtet wird, wird Israel als Staatsräson verziehen. Diese Haltung lässt erkennen, dass das Recht nicht mehr als allgemeingültige Norm verstanden wird, sondern nur noch als Werkzeug politischer Machtinteressen.
Diese selektive Anwendung internationaler Normen offenbart die tiefe Verflechtung zwischen staatlichen Interessen, geopolitischer Strategie und der sogenannten Rechtsstaatlichkeit. Gerade im Fall Israels zeigt sich, wie Prinzipien der Menschenrechte und des Völkerrechts bei Bedarf geopfert werden. Die kritiklose Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Angriffskriegs wird zur moralischen Pflicht erklärt. Wer sich gegen diese Heuchelei stellt, wird diffamiert oder kriminalisiert.
Die Entrechtung im Inneren
Auch im Inneren zeigt sich diese Rechtsverachtung. Der Palästina-Kongress in Berlin wurde 2024 unter fadenscheinigen Gründen unterbunden. Versammlungsfreiheit, ein Grundrecht, wurde von einem SPD-Bürgermeister kurzfristig aufgehoben. Die Bundesregierung betreibt Pushbacks an den EU-Außengrenzen – völkerrechtswidrig. Der Bundestag verabschiedet Resolutionen gegen die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) und gegen angeblichen Antisemitismus, die offensichtlich verfassungswidrig sind. Solche Beschlüsse zielen nicht auf die Verteidigung des Rechts, sondern auf die Disziplinierung des politischen Diskurses und die Ausschaltung oppositioneller Kräfte. Die staatliche Ordnung wird nicht gegen die Gefahr von rechts verteidigt, sondern gegen linke und antiimperialistische Stimmen gewendet.
Die Universitäten beugen sich dieser Linie. In Hannover prangerten Studierende die Verstrickung ihrer Universität in Israels Rüstungsindustrie an. Doch Forderungen nach einer Zivilklausel, die militärische Forschung ausschließt, werden mit abstrusen Argumenten abgewiesen. Israelische Partner werden nicht hinterfragt, russische Kooperationen aber sofort gekappt. Die Doppelmoral ist institutionell. Der akademische Betrieb in der BRD ist zunehmend von politischen Vorgaben durchdrungen, die jede kritische Perspektive auf imperialistische Gewalt unterdrücken. Es ist ein Klima entstanden, in dem sich Studierende und Lehrende der Repression ausgesetzt sehen, wenn sie sich gegen die herrschende Linie stellen.
Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat
Zugleich schreitet die Umwandlung des Grundgesetzes in ein reines Machtinstrument voran. Die einstige Idee der Rechtsbindung aller Staatsgewalt weicht dem Dogma der Sicherheit, das vor allem zur Überwachung und Kontrolle oppositioneller Bewegungen dient. Neue Polizeigesetze, Verbotsanträge gegen linke Organisationen, massive Überwachung palästinasolidarischer Gruppen: All dies zeigt, dass der Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat mutiert ist, in dem das Recht nicht mehr schützt, sondern verfolgt.
Ein Beispiel dafür ist das Berliner Polizeigesetz, das der Polizei weitreichende Befugnisse einräumt – etwa zur präventiven Ingewahrsamnahme oder zur digitalen Überwachung ohne richterlichen Beschluss. Auch Demonstrationen werden unter Generalverdacht gestellt, sobald sie sich mit der palästinensischen Sache solidarisieren. Die rechtliche Grundlage für die Einschränkung elementarer Grundrechte wird nicht selten erst nachträglich zurechtgebogen. in ein reines Machtinstrument voran. Die einstige Idee der Rechtsbindung aller Staatsgewalt weicht dem Dogma der Sicherheit, das vor allem zur Überwachung und Kontrolle oppositioneller Bewegungen dient. Neue Polizeigesetze, Verbotsanträge gegen linke Organisationen, massive Überwachung palästinasolidarischer Gruppen: All dies zeigt, dass der Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat mutiert ist, in dem das Recht nicht mehr schützt, sondern verfolgt.
Klassenjustiz hat Tradition
Recht wird zur politischen Waffe gemacht, beliebig angewandt oder ignoriert, wenn es nicht passt. Doch das ist kein neues Phänomen. Bereits im 19. Jahrhundert war die Justiz ein umkämpftes Feld. Oppositionelle Richter wie Benedikt Windeck oder Heinrich Simon standen gegen den preußischen Obrigkeitsstaat. Doch nach der gescheiterten Revolution 1848 wurde das Recht gesäubert, oppositionelle Juristen entlassen. Es setzte sich ein entpolitisierter, aber autoritärer Rechtspositivismus durch, der jeden Herrschaftsanspruch legitimierte. In der Folgezeit wurden liberale, demokratische und revolutionäre Juristen systematisch verfolgt, aus Ämtern entfernt und durch konservative Erfüllungsgehilfen ersetzt.
Im Kaiserreich diente die Justiz der Repression der Arbeiterbewegung. Prozesse wegen Hochverrats gegen Bebel, die Liebknechts und Luxemburg waren keine Ausnahmen. Mit der Etablierung des Monopolkapitals wurde ein Staat gebraucht, der nach innen ruhig hielt und nach außen aggressiv auftrat. Recht wurde zum Mittel der Klassenherrschaft. Der Staat sollte die Voraussetzungen für Ausbeutung, Expansion und Krieg schaffen. Die Repression war kein Betriebsunfall, sondern systematische Voraussetzung der kapitalistischen Ordnung. Der sogenannte Sozialstaat, geboren aus Angst vor der revolutionären Arbeiterbewegung, war immer doppelt codiert: Brotkrumen für die einen, Knüppel für die anderen.
Die Verschränkung von Recht, Staat und Kapital hatte dabei immer ein Ziel – ein klassisches Beispiel dafür ist die Rolle der Justiz während der Sozialistengesetze unter Bismarck. Zwischen 1878 und 1890 wurden führende Sozialdemokraten systematisch kriminalisiert, darunter August Bebel und Wilhelm Liebknecht, während Gerichte repressiv gegen jede Form organisierter Arbeiterbewegung vorgingen. Diese Phase staatlich gelenkter Klassenjustiz zeigt exemplarisch, wie Recht zur Verteidigung des Eigentums und zur Unterdrückung revolutionärer Bestrebungen eingesetzt wurde.: die Zerschlagung jeder sozialen Bewegung, die die Eigentumsordnung infrage stellte. Die Justiz wurde zum Vollstrecker der Klassenherrschaft. Der Richter war kein neutraler Dritter, sondern der bewaffnete Arm der herrschenden Klasse im Talar. Diese Praxis setzte sich im 20. Jahrhundert ungebrochen fort und ist bis heute Teil der staatlichen Realität.
Faschistische Kontinuität im Rechtsstaat
Die wenigen fortschrittlichen Juristen, wie Hans Litten, verteidigten Arbeiter und entlarvten die Faschisten. Litten stellte Hitler im Edenpalast-Prozess 1931 bloß. Dafür wurde er 1933 verhaftet und starb 1938 im KZ Dachau. Tausende jüdische und sozialistische Juristen wurden vertrieben. Diejenigen, die die faschistische Terrorherrschaft stützten, machten in der BRD Karriere: Larenz, Maunz, Forsthoff – sie alle prägten die Nachkriegs-Rechtslehre. Diese Männer, die dem Faschismus mit ihrer Jurisprudenz den Weg bereiteten, wurden nach 1945 nicht belangt, sondern als Experten gefeiert. Ihre Konzepte überdauerten in den Kommentaren, Lehrbüchern und Gerichtsurteilen der jungen Republik.
Diese faschistische Kontinuität wurde nie gebrochen – ein Beispiel dafür ist der Fall Theodor Maunz, ein führender Kommentator des Grundgesetzes, der bis zu seinem Tod 1993 enge Verbindungen zur faschistischen Szene unterhielt und regelmäßig in der NPD-nahen Zeitschrift "Nation und Europa" veröffentlichte. Auch Karl Larenz, ein NS-Jurist und Propagandist, prägte über Jahrzehnte das juristische Denken in der Bundesrepublik. Diese Kontinuitäten belegen, dass die personelle und inhaltliche Trennung vom Faschismus weitgehend ausgeblieben ist.. Die juristischen Fakultäten blieben fest in der Hand der Reaktion. Demokratische, antifaschistische oder marxistische Perspektiven hatten keinen Platz. Die BRD gründete ihre Rechtsordnung auf dem Personal der Täter – und diese schrieben fort, was sie zuvor für den Faschismus geschrieben hatten: Recht als Herrschaftsinstrument.
Die vergessene Alternative
Die marxistische Rechtstheorie, die Recht als Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse versteht, wurde an den Rand gedrängt. Dabei bot sie mit Denkern wie Paschukanis, Poulantzas und Abendroth wichtige Analysen und Gegenentwürfe. Abendroth betonte: Recht stabilisiert nicht nur Herrschaft, es kann auch Hebel der Veränderung sein. Doch solche Ansätze werden bis heute an den juristischen Fakultäten ignoriert. Stattdessen dominiert eine blutleere, formalistische Lehre, die sich blind stellt gegenüber der gesellschaftlichen Realität. Die politischen Kämpfe um Recht, Freiheit und Gerechtigkeit finden in der offiziellen Jurisprudenz keinen Ort.
Dabei ist die marxistische Rechtstheorie aktueller denn je. In einer Zeit eskalierender sozialer Krisen, autoritärer Verschärfung und imperialistischer Kriege bietet sie eine wissenschaftlich fundierte Analyse der Rolle des Rechts in der kapitalistischen Gesellschaft. Sie zeigt, dass das Recht kein neutraler Raum ist, sondern eine verdichtete Form der Klassengegensätze. Sie legt offen, dass wahre Gerechtigkeit nicht im Gerichtssaal, sondern im revolutionären Kampf errungen wird.
Zukunft oder Untergang
Die deutsche Rechtswissenschaft steckt in einer tiefen Krise. Entkoppelt von Gesellschaft und Geschichte, dient sie nur noch der Sicherung der bestehenden Ordnung. Was nötig wäre, ist eine Rückbesinnung auf die kritische, materialistische Rechtstheorie. Nur so kann Recht wieder zum Instrument für Gerechtigkeit und Befreiung werden. Wir brauchen eine neue Generation von Juristen, die sich nicht der Macht beugt, sondern ihr entgegentritt. Denn wie Bebel sagte: Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen – und schon gar nicht die Zukunft gestalten. Die Wiederaneignung der revolutionären Rechtstradition ist kein Akt nostalgischer Erinnerung, sondern eine dringende politische Notwendigkeit in Zeiten wachsender autoritärer Tendenzen.
Die Frage ist nicht mehr, ob das Recht in der bürgerlichen Gesellschaft neutral sein kann – diese Illusion ist längst zerstört. Die jüngsten Prozesse gegen Klimaaktivisten der Letzten Generation, die Kriminalisierung von Palästina-Solidarität oder die Repression gegen kurdische Organisationen belegen, dass das Recht nicht als neutrale Instanz wirkt, sondern als Machtinstrument gegen fortschrittliche Bewegungen. – das hat es nie gewesen. Die Frage ist, ob wir eine Rechtsordnung erkämpfen können, die auf Solidarität, Gleichheit und internationaler Gerechtigkeit beruht. Eine Ordnung, die dem Leben dient, nicht dem Profit. Das wird nicht durch juristische Reformen geschehen, sondern durch gesellschaftliche Kämpfe. Und dafür brauchen wir ein neues juristisches Bewusstsein – klassenbewusst, antifaschistisch, internationalistisch.

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