Protestaktion gegen rechtsextreme Netzwerke in Hannover:

Protest gegen rechte Netzwerke:
Ein starkes Signal aus Hannover
Wie auf einer Ameisenstraße schlängeln sich am Samstagmittag etwa hundert Menschen schweigend durch die hannoversche Nordstadt. Sie protestieren gegen die Nutzung einer Villa als Versammlungsort für die Burschenschaft Ghibellinia-Leipzig, die als rechtsextremes Zentrum gilt. Einige haben Warnwesten an, andere sind vermummt. Zwischen sich tragen sie riesige Holzwände, die nicht nur als Symbol des Widerstands, sondern auch als physische Barriere vor dem Gebäude dienen. Die Aktion verdeutlicht das Engagement einer politischen Bewegung, die sich entschieden gegen rechte Netzwerke stellt.
Aufbau der symbolischen Mauer: Widerstand mit Nachdruck
Als der Tross in die Rühlmannstraße einbiegt, wird es hektisch. Nach und nach werden die Holzwände vor einer Villa, dem Haus der Burschenschaft Ghibellinia-Leipzig, aufgestellt und verdübelt. „Nazizentren Dichtmachen!“, steht über die gesamte Länge der Wand gesprüht. Das laute Zischen von Spraydosen untermalt die Szenerie, während die Aktivisten eilig arbeiten, um ihre Installation vor der Ankunft der Polizei zu vollenden.
Drinnen in der Villa soll um 14 Uhr eine Sitzung des Gesamtvorstandes der Burschenschaft steigen. Laut Semesterprogramm wird normalerweise erst getagt und danach gebechert. Die Aktivisten sehen die geplante Veranstaltung als weiteren Beweis für die ideologischen Inhalte, die in der Villa verbreitet werden.
Den Anwohnern hinterließen die Aktivisten Flugblätter, um sie über das Treiben in der Villa zu informieren – einem faschistischen Zentrum, wie die Aktivisten schreiben. Beispielsweise kann nur, wer zum „deutschen Volk“ gehört (und Student ist), im Männerbund Mitglied werden. Auf den Flugblättern wird detailliert erklärt, wie die Ghibellinia-Leipzig durch ihre Veranstaltungen und Netzwerke dazu beiträgt, rechtsextreme Ideologien zu normalisieren und politische Einflussnahme auszuüben.
Ein Treffpunkt für rechte Netzwerke und Ideologien
Genauer heißt es in einem Beschluss des Dachverbandes der Deutschen Burschenschaft: „Die deutsche Volkszugehörigkeit ist danach an verschiedene Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur und Bekenntnis geknüpft.“ Solche Kriterien stoßen nicht nur bei den Demonstranten auf Kritik, sondern auch bei gesellschaftlichen Organisationen, die sich für eine offene und inklusive Gesellschaft einsetzen.
Die Immobilie wird auch für Veranstaltungen genutzt, die häufig rechtspopulistische oder rechtsextreme Inhalte thematisieren, wie etwa Vorträge über "Remigration" oder Treffen nationalistischer Gruppierungen. Hier trug der AfD-Politiker Joachim Paul am 18. November 2023 zum Thema „Schicksalsfrage Einwanderung – warum Remigration nötig und machbar ist“ vor. Das zeigen Bilder. Joachim Pauls Nähe zum rechtsextremen Vorfeld der AfD, deren Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und auch Kadern der Identitären Bewegung kann jeder selbst auf den sozialen Medien nachverfolgen.
In der Ghibellinia-Leipzig träfen „Rechtsextremisten auf Unterstützer in bürgerlichen Parteien und finanzstarke Unternehmer“, heißt es in dem Flugblatt weiter. Damit sind vor allem die Mitglieder des Altherrenverbandes gemeint, die teils hohe Posten in großen Unternehmen bekleiden. Die engen Verbindungen zwischen diesen Kreisen und wirtschaftlicher Macht werfen kritische Fragen über die gesellschaftliche Verantwortung dieser Personen auf.
Aktionen der Demonstranten: Kreative Protestformen gegen rechte Netzwerke
Nach 15 Minuten ist die Mauer fertig. Die Gruppe fackelt Pyrotechnik ab und während sich alle zerstreuen, werfen ein paar wenige Christbaumkugeln mit Farbe auf die Fassade. Solche Aktionen bewegen sich rechtlich in einer Grauzone und werfen moralische Fragen zur Legitimität von Protestmethoden auf. Zu einer direkten Konfrontation zwischen denen im und vor dem Haus kommt es nicht. Die Demonstranten haben im Vorfeld offenbar bewusst darauf geachtet, Eskalationen zu vermeiden, um die Aufmerksamkeit auf ihre Botschaft zu lenken. Erst als die Polizei eintrifft, wagen sich ein paar Burschen heraus, die jedoch von der Anwesenheit der Beamten rasch wieder ins Gebäude gedrängt werden.
Reaktion der Polizei: Ermittlungen und Konsequenzen
Am Abend steht ein Großteil der Wand immer noch. Eine technische Einheit der Polizei macht sich daran, die Konstruktion mit Brecheisen und schwerem Gerät zu demontieren. Dabei ist deutlich hörbar, wie mühsam der Abbau ist, und die Beamten kommentieren ihren Einsatz sichtlich genervt. Zurück bleiben die kleinen Löcher, in denen die Dübel gesessen hatten, sowie weitere Spuren der Aktion.
Die Fassade des Gebäudes, die ohnehin von Farbflecken früherer Angriffe gezeichnet ist, zeigt nun auch frische Spritzer. Die symbolische Mauer hatte nicht nur eine starke visuelle Wirkung, sondern auch den praktischen Effekt, das öffentliche Interesse auf das Geschehen zu lenken. Passanten und Medienvertreter, die sich am Abend ein Bild machen, diskutieren angeregt über die Aktion.
Die finanziellen Folgen dürften für die Eigentümer der Villa erheblich sein. Die Beseitigung der Wand und die erneute Reinigung der Fassade werden erneut hohe Kosten verursachen, die schon bei früheren Protestaktionen ein Thema waren. Die Frage, ob die Aktion langfristig eine Veränderung bewirkt, bleibt offen.
Die Polizei ermittelt nun wegen des Verdachts der Nötigung und des Landfriedensbruchs, wie ein Sprecher erläuterte. Nötigung betrifft dabei die gezielte Beeinflussung oder Einschränkung der Entscheidungsfreiheit anderer durch Drohung oder Gewalt. Landfriedensbruch bezeichnet hingegen die aktive Teilnahme an gewalttätigen Ausschreitungen oder die Anstiftung dazu, insbesondere bei öffentlichen Versammlungen. Beide Delikte können je nach Schwere mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu mehreren Jahren geahndet werden, da sie auf den Schutz der öffentlichen Ordnung abzielen.
Zusätzlich wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen des Einsatzes von Pyrotechnik eingeleitet, da das Abbrennen solcher Materialien ohne Genehmigung gegen Sicherheitsvorschriften verstößt. Die Beamten kontrollierten in der Umgebung mehrere Personen, konnten jedoch bislang nicht eindeutig feststellen, ob diese zu der Gruppe der Demonstrierenden gehörten. Neben den Ermittlungen gegen die Protestierenden könnten auch die Aktivitäten in der Villa selbst näher untersucht werden. Verschiedene Organisationen und Beobachter hatten zuvor mehrfach auf die Rolle der Villa als Treffpunkt für rechtsextreme Netzwerke hingewiesen.
Back to Top