Leo Heinemann (1909–1981) – jüdischer Kommunist und Widerstandskämpfer
Herkunft und Jugend in Hamburg
Leo Heinemann wurde am 9. Januar 1909 in Hamburg geboren. Hamburg war zu dieser Zeit eine bedeutende Hafen- und Arbeiterstadt, geprägt von wirtschaftlicher Ungleichheit, politischem Aufbruch und wachsender Klassenkonfrontation. Die Stadt erlebte bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts starke soziale Spannungen, wie sie sich etwa im großen Hamburger Hafenarbeiterstreik von 1896/97 zeigten, bei dem tausende Arbeiter für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen kämpften. Dieser Konflikt wurde brutal niedergeschlagen, zeigte aber eindrucksvoll die wachsende Kraft und das Klassenbewusstsein der organisierten Arbeiterschaft., geprägt durch das Elend der Elendsquartiere und die harte Arbeit in den Docks, auf den Werften und in den Fabriken. In diesem Milieu entwickelten sich eine starke Arbeiterbewegung und sozialistische Strömungen, die in den 1910er Jahren durch Streiks, Demonstrationen und den Einfluss marxistischer Ideen sichtbar wurden. Diese Atmosphäre prägte auch das familiäre und gesellschaftliche Umfeld des jungen Leo – ein Umfeld, in dem Armut, Solidarität, Ausgrenzung und politische Diskussionen zum Alltag gehörten. Schon als kleiner Junge stellte Leo Fragen, die Erwachsene ins Grübeln brachten: Warum müssen Kinder hungern, während andere im Überfluss leben? Warum wird seine Familie als Juden beschimpft? Warum haben Arbeiter keine Stimme? Besonders eindrucksvoll war für ihn der Moment, als ein älterer Nachbar ihm erklärte, dass es Menschen gibt, die die Welt verändern wollen – nicht mit Reichtum, sondern mit Wissen, Mut und Gemeinschaft. Diese Begegnungen legten den Keim für Leos frühes politisches Bewusstsein. – ein Umfeld, in dem Armut, Solidarität, Ausgrenzung und politische Diskussionen zum Alltag gehörten. Seine Eltern, Sally und Selma Heinemann, waren einfache Schneidersleute jüdischen Glaubens, die mit harter Arbeit und wenig Lohn den Lebensunterhalt für ihre Familie sichern mussten. Die Wohnverhältnisse waren beengt, oft fehlte es am Nötigsten. In der kleinen Wohnung, in der mehrere Generationen unter einem Dach lebten, lernte Leo früh, was Solidarität und gegenseitige Hilfe bedeuten. Die Erzählungen seiner Eltern über soziale Ungleichheit und Ausgrenzung, insbesondere auch wegen ihres jüdischen Glaubens, prägten ihn tief.
Im Jahr 1913 oder 1914 zog die Familie nach Hannover, auf der Suche nach besseren Arbeitsmöglichkeiten. Doch auch hier war das Leben hart. Die Zeit des Ersten Weltkriegs hinterließ tiefe Spuren in Leos Kindheit. Die alltäglichen Sorgen um Nahrung, Kleidung und Heizung bestimmten das Familienleben. Leo erlebte, wie Nachbarn an Hunger und Krankheit litten, wie Väter aus dem Krieg nicht zurückkehrten oder verkrüppelt heimkamen.
Diese Erfahrungen weckten in ihm ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit und ein erstes Verständnis von gesellschaftlichen Klassen. Er beobachtete, wie Reiche besser durch den Krieg kamen, während arme Familien immer weiter litten. Bereits in der Schule fiel er durch seine kritischen Fragen auf und suchte die Auseinandersetzung mit Ungerechtigkeiten. Statt sich zu ergeben oder klein beizugeben, entwickelte Leo früh ein kämpferisches Selbstverständnis. „Ich bin mit geballter Faust zur Welt gekommen“, erzählte Leo später einmal mit einem verschmitzten Lächeln – ein Satz, der wie kaum ein anderer seine früh erwachte Widerstandshaltung und seine unbeugsame Natur auf den Punkt bringt. – ein Sinnbild für seine spätere revolutionäre Haltung, die ihn durch sein ganzes Leben tragen sollte.
Frühes politisches Engagement in KPD-nahen Organisationen
Mit nur 13 Jahren trat Leo dem Jung-Spartakus-Bund bei, der Kinderorganisation der KPD. Diese frühe politische Prägung bestimmte seinen weiteren Lebensweg und bildete das Fundament seiner revolutionären Überzeugung. Der Bund vermittelte nicht nur politische Inhalte, sondern schuf auch eine Gemeinschaft, in der Solidarität, Klassenbewusstsein und das gemeinsame Lernen und Handeln eine zentrale Rolle spielten. Dort lernte Leo, dass Politik keine abstrakte Theorie ist, sondern konkretes Handeln im Interesse der arbeitenden Menschen.
In den folgenden Jahren engagierte er sich leidenschaftlich im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD). Er nahm regelmäßig an Schulungen, Versammlungen und Demonstrationen teil. Besonders aktiv war er in der Organisation von Hilfsaktionen für streikende Arbeiterfamilien und bei der Mobilisierung gegen den aufkommenden Faschismus. Leo verstand den Jugendverband nicht nur als politische Schule, sondern als Ort des gemeinsamen Widerstands gegen soziale Ungerechtigkeit und Krieg.
In der Roten Jungfront, der Jugendorganisation des Rotfrontkämpferbundes (RFB), übernahm er organisatorische Verantwortung. Dort zeigte er sich als disziplinierter und zuverlässiger Genosse, der sowohl strategisches Denken als auch praktisches Geschick unter Beweis stellte. Er plante Demonstrationen, bereitete Versammlungen vor und koordinierte Schutzaktionen gegen rechte Übergriffe. Die harte Realität auf den Straßen Hannovers, die zunehmende Gewalt der SA und die Schwäche der Weimarer Demokratie machten deutlich, dass Selbstschutz notwendig war.
Besonders hervorzuheben ist deshalb sein Engagement in der Kampfausbildung: Leo erlernte Jiu-Jitsu, um sich und seine Genossen gegen die immer häufiger werdenden Übergriffe durch faschistische Schlägertrupps verteidigen zu können. In Übungskreisen gab er seine Kenntnisse weiter, trainierte jüngere Genossen und betonte stets die Notwendigkeit der Disziplin im Ernstfall. Diese Mischung aus politischem Bewusstsein, körperlicher Wehrhaftigkeit und tiefem Verantwortungsgefühl machte ihn nicht nur innerhalb der Arbeiterbewegung zu einer angesehenen Persönlichkeit, sondern auch in den Augen seiner Gegner zu einem gefährlichen Gegner. Für die Nazis war Leo ein besonders verhasster Aktivist: jüdisch, kommunistisch, gut organisiert, körperlich wehrhaft – jemand, der den Mut hatte, sich offen und aktiv zu widersetzen. Seine kompromisslose Haltung und sein furchtloses Auftreten machten ihn zur Zielscheibe – und zugleich zu einem Symbol des entschlossenen Widerstands aus den Reihen der Arbeiterklasse. machte ihn zu einer respekteinflößenden Figur im linken Spektrum Hannovers. Er wurde geschätzt und bewundert – nicht wegen autoritärer Strenge, sondern wegen seiner Überzeugung, Klarheit und Bereitschaft, stets vorneweg zu gehen, wenn es galt, Gesicht zu zeigen und Haltung zu beweisen.
Widerstand gegen den Faschismus in Hannover
In den letzten Jahren der Weimarer Republik war Leo aktiv in antifaschistischen Schutzformationen tätig. Mit zunehmender Gewalt auf den Straßen, die von der SA und anderen faschistischen Organisationen ausging, sah Leo keine andere Möglichkeit, als sich mit aller Entschlossenheit dem aufkommenden Terror entgegenzustellen. Er gehörte zu denjenigen, die verstanden, dass man dem Faschismus nicht mit Appellen, sondern nur mit organisierter Gegenwehr begegnen konnte. Wie es ein Genosse damals formulierte: „Faschismus lässt sich nicht bitten, Faschismus muss bekämpft werden – Schulter an Schulter, Straße für Straße.“ Leo setzte dieses Prinzip in die Tat um, etwa durch die Einrichtung von Patrouillen und die Koordination von Gegenaktionen, die den Faschisten keine Angriffsfläche boten, ohne dass die Bevölkerung geschützt wurde. In den Arbeitervierteln Hannovers war er täglich präsent, organisierte Schutzstreifen, übernahm Nachtdienste, koordinierte Alarmketten und sorgte dafür, dass faschistische Überfälle nicht unbeantwortet blieben.
Besonders berüchtigt war seine Beteiligung an der Verteidigung des Arbeiterbezirks „Rotes Linden“ gegen einen groß angelegten SA-Übergriff. Leo wich keiner Auseinandersetzung aus, warf sich mutig in die erste Reihe und verteidigte seine Genossen mit bloßen Fäusten und allem, was verfügbar war. Der Kampf um „Rotes Linden“ wurde zum Symbol für den ungebrochenen Widerstand der Arbeiterbewegung in Hannover – bereits in zeitgenössischen Berichten der kommunistischen Presse wie der "Roten Fahne" wurde von einem "mutigen Abwehrkampf gegen den faschistischen Terror" gesprochen. Auch in späteren Erinnerungen Hannoverscher KPD-Veteranen galt dieser Vorfall als beispielhaft für den entschlossenen Selbstschutz und die Solidarität im Arbeitermilieu. der Arbeiterbewegung in Hannover – und Leo wurde zu einer ihrer bekanntesten Figuren. In diesem Viertel kannte ihn jeder: als den, der nie zurückwich, der half, wo er konnte, der organisierte, tröstete und kämpfte.
Neben der physischen Verteidigung engagierte sich Leo intensiv in der politischen Aufklärung. Er war einer der fleißigsten Verteiler von Flugblättern, arbeitete an der Herstellung illegaler Schriften mit, warb neue Mitglieder für den Widerstand und sprach bei zahlreichen Veranstaltungen – oft unter konspirativen Bedingungen, in Hinterzimmern, Kellern oder verlassenen Gebäuden. Seine Reden waren kämpferisch, klar und von tiefer Überzeugung getragen. Leo glaubte an die Kraft der Arbeiterklasse und daran, dass sie in der Lage war, den Faschismus zu besiegen.
Gleichzeitig pflegte Leo engen Kontakt zu anderen linken Gruppierungen, etwa Anarchisten, Sozialdemokraten und Parteilosen. Er versuchte, Gräben zu überbrücken und ein gemeinsames antifaschistisches Bündnis zu schmieden. Besonders hervorzuheben ist seine Mitwirkung am Aufbau eines lokalen Aktionsbündnisses, das kommunistische, sozialdemokratische und parteilose Arbeiter gegen faschistische Umtriebe vereinte. In Hannover koordinierte er Treffen zwischen Betriebszellen, Jugendgruppen und Veteranen der Arbeiterbewegung, mit dem Ziel, eine gemeinsame Front gegen SA-Gewalt und NS-Propaganda zu organisieren. In seinem Umfeld galt er als mutig, solidarisch und unbeugsam – so erinnerte sich ein Genosse Jahre später: „Wenn wir Angst hatten, stand Leo schon mit verschränkten Armen und funkelnden Augen da. Er war unser Schutzschild, unser Gewissen, unser Mut.“ Für viele war er nicht nur ein politischer Führer, sondern auch eine moralische Instanz, jemand, der mit seinem persönlichen Beispiel voranging und nie aufgab – egal wie hart die Umstände waren. – ein Mensch, der keine Angst kannte, wenn es um das Wohl seiner Genossen und die Sache des Sozialismus ging. Diese Eigenschaften begleiteten ihn bis an sein Lebensende und machten ihn zu einem der profiliertesten antifaschistischen Kämpfer seiner Zeit.
Verhaftung und KZ-Haft in Moringen und Oranienburg
Nach der Machtübertragung an die Nazis im Januar 1933 wurde Leo Heinemann im Juni 1933 verhaftet. Als jüdischer Kommunist war er ein besonders verhasstes Ziel der Gestapo. Die faschistischen Verfolger sahen in ihm nicht nur einen ideologischen Feind, sondern auch einen gefährlichen Organisator und Widerstandskämpfer, der für seine Überzeugung kompromisslos einstand. Seine Verhaftung war ein gezielter Schlag gegen den kommunistischen Widerstand in Hannover.
Zunächst wurde Leo in das Konzentrationslager Moringen verschleppt, einem der ersten faschistischen Lager, das ursprünglich für politische Gegner, vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten, eingerichtet wurde. Moringen diente als Vorläufer späterer, noch grausamerer Lager und war ein Ort der Einschüchterung, an dem Regimegegner systematisch isoliert und gebrochen werden sollten. Dort war er unmenschlichen Bedingungen, Demütigungen und ersten brutalen Verhören ausgesetzt. Moringen war eines der frühen Lager, in denen politische Gegner des Naziregimes systematisch eingeschüchtert und gebrochen werden sollten. Für Leo bedeutete dies Schläge, Isolationshaft und psychischen Druck. Doch er zeigte keine Schwäche.
Kurze Zeit später kam er ins berüchtigte KZ Oranienburg bei Berlin, wo er mehrere Wochen inhaftiert war. Der Übergang dorthin bedeutete eine weitere Verschärfung der Haftbedingungen. Leo berichtete später, dass er den Transport in einem überfüllten Viehwaggon ohne Fenster, bei Kälte und ohne Nahrung überstehen musste – eine entwürdigende Tortur, die ihm deutlich machte, dass der Terror des faschistischen Regimes erst begonnen hatte. eines der ersten Lager des NS-Staates, das als Modell für weitere KZ-Strukturen diente. Dort wurden die Misshandlungen systematischer und grausamer. Leo wurde gefoltert, misshandelt, gedemütigt und psychisch zermürbt. Die Wärter setzten ihn unter Dauerbeobachtung, weil sie wussten, dass sie es mit einem überzeugten Kämpfer zu tun hatten.
Doch Leo blieb standhaft. Kein Name, keine Adresse, kein Verrat kam ihm über die Lippen – auch nicht, als man ihn vor ein Scheiner­schießungskommando stellte, eine besonders grausame Methode zur Einschüchterung. Seine Standhaftigkeit rettete vielen Genossen das Leben. Für Leo selbst war es eine Erfahrung, die ihn körperlich schwächte, aber geistig nur noch entschlossener machte.
Ende 1933 wurde ihm überraschend sogenannter „Heimaturlaub“ gewährt – ein perfider Trick der Gestapo, um zu beobachten, mit wem er in Kontakt treten würde, welche Netzwerke der verbotenen KPD noch funktionierten. Doch Leo ließ sich nicht täuschen. Unter Einsatz seiner ganzen verbliebenen Kräfte, mit Unterstützung mutiger Genossen, konnte er sich der Überwachung entziehen. Freunde aus der KPD-Organisation organisierten für ihn sichere Wohnungen und wechselnde Treffpunkte. Er erhielt gefälschte Ausweispapiere, wurde mit Kleidung und Lebensmitteln versorgt und schließlich mithilfe eines niederländischen Binnenschiffers über die Grenze geschmuggelt. Diese Flucht erforderte nicht nur Mut, sondern ein hohes Maß an Disziplin, Koordination und Vertrauen – ein gelungenes Beispiel für das solidarische Handeln der antifaschistischen Bewegung im Untergrund.
Er tauchte unter, wechselte mehrfach Verstecke und konnte schließlich mit Hilfe der KPD die Flucht organisieren. In einer waghalsigen Aktion wurde er auf einem niederländischen Frachtschiff außer Landes gebracht. Über Belgien und die Niederlande, mit Zwischenstationen in Antwerpen und Rotterdam, gelangte er schließlich nach Frankreich. In Rotterdam versteckte ihn eine befreundete Arbeiterfamilie für mehrere Tage, bevor ihn ein antifaschistischer Kontakt über die Grenze nach Frankreich schleuste. Dort sollte er seinen Widerstand mit neuer Kraft und internationaler Perspektive fortsetzen.
Flucht nach Frankreich, Exil und antifaschistische Aktivitäten
In Paris angekommen, wurde Leo von seiner Familie wiedergefunden, die ihn für tot hielt. Es war ein bewegender Moment, als die Mutter ihren Sohn, gezeichnet von Verfolgung und Haft, in die Arme schließen konnte. Die Wiedervereinigung war kurz und herzlich – denn Leo ruhte nicht. Schon bald nach seiner Ankunft in Frankreich nahm er Kontakt zu politischen Kreisen auf und beteiligte sich aktiv an der antifaschistischen Aufklärung.
1934 trat er als Zeuge auf dem internationalen antifaschistischen Tribunal in Paris auf – gemeinsam mit anderen bekannten deutschen Emigranten wie Hans Beimler. Leo berichtete mit fester Stimme und erschütternden Details von den grausamen Zuständen in den deutschen Konzentrationslagern Moringen und Oranienburg. Er sprach über Folter, Demütigungen und den ungebrochenen Widerstand vieler Häftlinge. Sein Bericht trug wesentlich dazu bei, das französische Publikum für die Realität des Faschismus in Deutschland zu sensibilisieren und die Grundlage für eine internationale Solidaritätsbewegung zu legen.
Doch auch in Frankreich war das Leben als politischer Flüchtling alles andere als sicher. Die damalige Regierung war schwach und konservativ, viele Beamte sympathisierten mit faschistischen Gruppen wie den „Croix de Feu“ oder den „Camelots du Roi“, die auf den Straßen Paris' einschüchterten und hetzten. Leo lebte unter prekären Bedingungen. Besonders dramatisch war eine Situation, in der er bei einer abendlichen Kontrolle durch französische Ordnungskräfte ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung fast verhaftet worden wäre. Nur das beherzte Eingreifen eines solidarischen Nachbarn, der ihn als entfernten Verwandten ausgab, rettete ihn vor der Abschiebung. Solche lebensgefährlichen Situationen prägten seinen Alltag im Exil und machten jede Bewegung, jede Begegnung zu einem möglichen Risiko.. Er schlug sich als Händler von Schreibwaren durch, ging von Haustür zu Haustür in den Arbeitervierteln, stets in Angst vor einer Polizeikontrolle. Ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung war er ständig von Abschiebung bedroht. Trotzdem ließ er sich nicht entmutigen und nutzte jede Gelegenheit, um mit Arbeitern ins Gespräch zu kommen, politische Gedanken zu verbreiten und Verbindungen zu knüpfen.
1934/35 engagierte er sich aktiv in der Kampagne zur Saarabstimmung, einer Volksbefragung über die Rückkehr des Saargebiets zum Deutschen Reich. Leo reiste in die Region, verteilte Aufklärungsmaterial, sprach mit Gewerkschaftern und organisierte Treffen mit lokalen Antifaschisten. Es war eine Zeit voller Hoffnung und Anstrengung, doch letztlich scheiterte das Vorhaben. Nach dem Sieg der prodeutschen Kräfte musste Leo fluchtartig wieder nach Frankreich zurückkehren. In den antifaschistischen Kreisen herrschte tiefe Enttäuschung, ja Erschütterung. Viele hatten gehofft, dass der Widerstand gegen Hitler bei der Abstimmung ein Zeichen setzen würde. Stattdessen fühlten sich zahlreiche Kämpfer desillusioniert und von den internationalen demokratischen Kräften im Stich gelassen. Leo war erschüttert, aber nicht resigniert – die Niederlage bestärkte ihn darin, den Kampf auf anderem Wege fortzusetzen und sich in Frankreich neu zu organisieren.. Dort nahm er eine neue Identität an und wurde offiziell als „Sarrois“ registriert. Diese Konstruktion ermöglichte es ihm, endlich politisches Asyl zu erhalten und sich ein wenig freier zu bewegen.
1936, nach dem faschistischen Putsch in Spanien, wollte Leo sofort zu den Internationalen Brigaden stoßen. Er war fest entschlossen, Seite an Seite mit seinen spanischen Genossen gegen Franco zu kämpfen. Doch die Parteiführung in Frankreich sah es anders. Sie entschied, dass Leo im Hinterland für Spendensammlungen unter jüdischen Gemeinden tätig sein sollte. Diese Entscheidung traf Leo hart. Sein Herz brannte für den bewaffneten Kampf gegen den Faschismus – nicht das Spendensammeln. Doch wie immer stellte er die Parteidisziplin über seine persönlichen Wünsche. Die Parteiführung hatte entschieden, erfahrene und bekannte Kader wie Leo nicht unmittelbar an die Front zu schicken, sondern sie in sicheren Regionen für organisatorische und propagandistische Aufgaben einzusetzen – insbesondere, um Unterstützungsnetzwerke zu stärken, Spenden zu sammeln und politisches Bewusstsein unter Emigranten und Sympathisanten zu fördern. Diese strategische Abwägung sollte die langfristige Handlungsfähigkeit der Bewegung sichern.. Er übernahm die Aufgabe mit dem ihm eigenen Ernst und Engagement, auch wenn es innerlich schmerzte, nicht selbst an der Front stehen zu dürfen.
Teilnahme an der französischen Résistance
Als Hitler-Deutschland 1940 Frankreich überfiel, meldete sich Leo freiwillig zur französischen Armee. Er erklärte ausdrücklich, dass er nur gegen Hitler kämpfen wolle – nicht gegen andere Völker oder Nationen. Diese Haltung war Ausdruck seiner klaren internationalistischen Überzeugung und einer bewussten Abgrenzung zur kolonialistischen Politik der französischen Regierung, die weiterhin Krieg gegen die Völker ihrer Kolonien führte – ein Krieg, dem Leo entschieden ablehnend gegenüberstand. Seine Entscheidung war Ausdruck seines tiefen antifaschistischen Selbstverständnisses und seiner internationalistischen Haltung. Leo wollte helfen, Europa von der Pest des Faschismus zu befreien. Doch der deutsche Blitzkrieg überrannte Frankreich in wenigen Wochen. Die französische Armee wurde geschlagen, Paris fiel, und große Teile des Landes wurden besetzt. Lyon, Leos Lebensmittelpunkt, lag in der sogenannten unbesetzten Zone, die vom Kollaborationsregime unter Marschall Pétain in Vichy verwaltet wurde.
In dieser Zone organisierten sich mutige Männer und Frauen zu einer neuen Kraft – der Résistance. Leo war von Anfang an mittendrin. Bereits kurz nach der Besetzung knüpfte er über frühere Pariser Kontakte aus seiner Exilzeit und durch Verbindung zur kommunistischen Partei Frankreichs erste Bande zur örtlichen Résistance. Besonders entscheidend war ein Treffen mit einem ehemaligen spanischen Interbrigadisten in Lyon, der ihm Zugang zu einer kleinen, aber entschlossenen Gruppe leistete – der Beginn seines aktiven Engagements im Untergrundkampf.. Mit seiner Erfahrung aus der Illegalität in Deutschland, seiner Fähigkeit zur Konspiration und seiner körperlichen Wehrhaftigkeit wurde er schnell zu einer wichtigen Figur. Zunächst schloss er sich der Gruppe Rosenzweig an, einer kleinen, vorwiegend kommunistisch geprägten Widerstandsgruppe, die sich aus jüdischen Emigranten und französischen Arbeiteraktivisten zusammensetzte, einer kleinen Zelle, die mit Sabotage und Informationsbeschaffung begann. Später wechselte er zur größeren und strukturierteren Gruppe Rolland, die mit verschiedenen Netzwerken innerhalb und außerhalb Frankreichs verbunden war.
Leo übernahm zentrale Aufgaben: Er organisierte die Beschaffung und Verteilung von Waffen und Munition – eine lebensgefährliche Aufgabe in einem Land, das von Polizei, Miliz und Gestapo durchdrungen war. Er plante und koordinierte Sabotageaktionen gegen deutsche Einrichtungen, darunter Eisenbahnlinien, Depots und Werkstätten. Außerdem war er maßgeblich an der geheimen Überführung deutscher Deserteure beteiligt. Diese Soldaten, die nicht länger für Hitler kämpfen wollten, brachte Leo mit gefälschten Papieren und im Austausch gegen Uniformen über die Grenze in die neutrale Schweiz.
Leo riskierte täglich sein Leben. Die permanente Bedrohung durch Verhaftung, Folter oder Tod lastete schwer auf ihm, doch er sprach selten darüber. Ein Mitkämpfer erinnerte sich später, dass Leo in stillen Momenten in sich gekehrt war, fast schon melancholisch – doch sobald eine Aufgabe anstand, war er hellwach, konzentriert und voll innerer Ruhe. Die ständige Gefahr schärfte seine Wachsamkeit, aber sie lähmte ihn nie. Vielmehr machte sie ihn noch entschlossener, weiterzumachen – für seine Genossen, für die Sache, für die Zukunft.. Er wechselte häufig seine Unterkunft, arbeitete unter wechselnden Decknamen, hielt stets den Kontakt zur kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und stellte sich konsequent gegen jede Form der Kollaboration. In Versammlungen war er oft derjenige, der zur Geschlossenheit aufrief und daran erinnerte, dass der gemeinsame Feind die faschistische Besatzung war. Mehrfach entkam er nur knapp der Verhaftung. Einmal musste er bei einer nächtlichen Razzia durchs Fenster fliehen und mehrere Kilometer barfuß über Felder rennen. Für seine französischen Genossen war Leo nicht nur ein Mitstreiter, sondern ein Vorbild – ein Symbol für den unbeugsamen internationalen Antifaschismus.
Inhaftierung und Aufstand im Zuchthaus Eysses
Im September 1943 wurde Leo von einer französischen Antiterrorbrigade, die unter der Kontrolle des Vichy-Regimes stand, verhaftet. In dem berüchtigten St.-Paul-Gefängnis in Lyon wurde er tagelang verhört und auf grausamste Weise gefoltert. Besonders brutale Methoden kamen zur Anwendung: Leo wurde geschlagen, getreten, an Händen und Füßen aufgehängt, seine Nächte wurden durch grelles Licht und laute Geräusche zur Tortur gemacht. Schließlich fiel er in einen Zustand völliger Erschöpfung und war drei Tage bewusstlos. Trotz all dieser Qualen verweigerte er jegliche Aussage – weder Namen noch Orte noch Zusammenhänge ließ er sich entlocken. Es war nicht nur Standhaftigkeit, sondern auch ein Akt tiefer Solidarität mit seinen Mitkämpfern.
Nach monatelanger Untersuchungshaft – während derer er in Einzelhaft gehalten, systematisch unterernährt und mit psychologischem Druck konfrontiert wurde – kam es zur Gerichtsverhandlung. Dank einer klugen Verteidigung, möglicherweise unterstützt von Verbindungen innerhalb der Résistance, lautete das Urteil auf sieben Jahre Kerkerhaft – ein vergleichsweise mildes Strafmaß angesichts der üblichen Todesurteile für solche Fälle. Leo wurde daraufhin ins Zuchthaus Eysses in Villeneuve-sur-Lot überstellt. Dieses Gefängnis war inzwischen zu einem Zentrum des antifaschistischen Widerstands innerhalb der französischen Häftlingslandschaft geworden.
Im Zuchthaus Eysses fand Leo sofort Anschluss. Er wurde schnell als erfahrener und zuverlässiger Genosse erkannt. Er brachte seine körperliche Stärke, seine politische Klarheit und seine pädagogischen Fähigkeiten ein. In seiner Zelle organisierte er Schulungen, erklärte politische Zusammenhänge, führte Gespräche über Geschichte, Gesellschaft und Klassenkampf. Besonders bekannt wurde er jedoch durch seine Jiu-Jitsu-Kurse, mit denen er den jüngeren Mitgefangenen half, Selbstbewusstsein und Stärke zu entwickeln – nicht nur körperlich, sondern auch geistig. Untereinander hielten die Häftlinge zusammen, organisierten Solidarität bei Lebensmitteln und Medikamenten, und teilten alles, was von draußen kam.
Leo wurde Teil des „Bataillon d‘Eysses“, einer geheim organisierten Häftlingsstruktur innerhalb des Zuchthauses, die sich aus politischen Gefangenen zusammensetzte und die Organisation des kollektiven Widerstands übernahm. Dieses Bataillon galt als Symbol für den militanten antifaschistischen Geist hinter Gittern und spielte eine zentrale Rolle beim späteren Aufstand von Eysses im Februar 1944., einer geheimen, von der kommunistischen Parteiorganisation geleiteten Struktur im Gefängnis, die sich auf einen möglichen Aufstand vorbereitete. Am 19. Februar 1944 war es so weit: Die Häftlinge organisierten einen bewaffneten Aufstand. Ziel war es, das Gefängnis zu übernehmen und zu fliehen. Die Aktion war detailliert vorbereitet, über Monate hinweg wurden Waffen und Werkzeuge gesammelt, Bewegungspläne ausgearbeitet, Wachgewohnheiten beobachtet. Mit Unterstützung von außen sollte der Befreiungsversuch gelingen. Die Wärter wurden überwältigt, Waffen verteilt, der Gefängnisdirektor gefangen genommen. Leo übernahm eine führende Rolle im südlichen Zellblock, koordinierte die Barrikadierung und stellte Verbindungen zu anderen Gruppen im Haus her.
Doch der Alarm wurde ausgelöst – vermutlich durch einen Verräter oder einen entkommenen Wärter. Die deutsche SS reagierte mit brutaler Härte. Das Gefängnis wurde umstellt, Artillerie in Stellung gebracht. Die Aufständischen – etwa 1200 Häftlinge – waren schlecht bewaffnet, doch voller Entschlossenheit. Drei Tage lang hielten sie stand, leisteten erbitterten Widerstand, trotzten Hunger, Schlafmangel und Übermacht. Letztlich war die Niederlage nicht zu vermeiden. Mit rund 3000 Mann, Panzern und schwerer Artillerie wurde der Aufstand niedergeschlagen. Zwölf Gefangene wurden unmittelbar hingerichtet. Leo und die überlebenden Aufständischen wurden zusammengeschlagen, gefesselt und zur Deportation vorbereitet. Für Leo war dies das Ende einer Etappe – aber nicht das Ende seines Kampfes.
Deportation nach Dachau und Einsatz in Landsberg
Leo kam ins Konzentrationslager Dachau, das als eines der ersten und berüchtigtsten Lager des NS-Regimes diente. Dort erhielt er die Häftlingsnummer 73.553. Schon bei seiner Ankunft war klar, dass er als Kommunist und ehemaliger Widerstandskämpfer besonders gefährdet war – die SS hatte ein besonderes Augenmerk auf sogenannte "Rückfällige". Doch Leo entging der sofortigen Sonderbehandlung und möglicher Exekution durch eine List: Dank eines gefälschten Passes, der ihn als Elsässer ausgab, wurde er als französischer Gefangener eingestuft.
Nach kurzer Zeit wurde Leo ins Außenlager Landsberg am Lech überstellt, das zum KZ-Komplex Dachau gehörte und für besonders schwere Zwangsarbeiten vorgesehen war. Hier sollten Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen eine Startbahn für die neu entwickelten Me-262-Düsenjäger errichten – ein Schlüsselprojekt der nationalsozialistischen Rüstungsindustrie in der Endphase des Krieges. Leo wurde aufgrund seiner deutschen Sprachkenntnisse, seines entschlossenen Auftretens und seines Organisationsgeschicks zum Kapo einer Arbeitskolonne bestimmt. Dies war ein zweischneidiges Schwert: Einerseits bedeutete es eine geringfügig bessere Versorgung und etwas Handlungsspielraum, andererseits war es mit großem Misstrauen der SS und dem Zwang zur Kontrolle der Mithäftlinge verbunden.
Doch Leo nutzte diese Position nicht zur Machtausübung, sondern zum Schutz seiner Kameraden. Mit großer Umsicht, diplomatischem Geschick und viel Mut schützte er die Häftlinge vor Schikanen, übertriebener Arbeit und lebensgefährlichen Strafmaßnahmen. Gleichzeitig organisierte er Sabotageakte: Materialien wurden versteckt, Pläne verzögert, Baufortschritte behindert. Die Arbeiten an der Startbahn kamen nur schleppend voran – ein stiller Sieg über das verbrecherische System.
Alle 350 französischen Gefangenen, mit denen Leo in diesem Lager arbeitete, überlebten die Tortur – ein nahezu einmaliger Vorgang im NS-KZ-System. Später sagten viele von ihnen: „Leo hat uns das Leben gerettet.“ Sie erinnerten sich an seine Standhaftigkeit, seine Solidarität, seine kluge Zurückhaltung gegenüber der Lagerleitung und seine ständige Fürsorge. Leo war für sie nicht nur ein Kamerad, sondern ein Fels in der Brandung, der ihnen inmitten des Grauens Hoffnung und menschliche Würde bewahrte.
Nachkriegszeit in Frankreich und Rückkehr nach Hannover
Nach der Befreiung 1945 blieb Leo zunächst in Frankreich. Dort wurde er für seinen heldenhaften Einsatz in der Résistance mehrfach geehrt. Neben der Verleihung mehrerer Auszeichnungen, darunter auch das Croix de Combattant Volontaire de la Résistance, ehrte ihn die Arbeiterstadt Vénissieux bei Lyon, wo er viele Jahre gelebt hatte, mit der Ehrenbürgerwürde. Diese Anerkennung seiner Verdienste war für Leo ein bewegender Moment – nicht aus Eitelkeit, sondern weil sie symbolisierte, dass seine jahrelangen Opfer nicht vergessen worden waren.
Doch das private Glück blieb ihm verwehrt. Seine Ehe, die während der schwierigen Kriegs- und Exiljahre stark gelitten hatte, war zerbrochen. Die Verfolgung durch die Nazis hatte seine Familie tief getroffen: Sein Vater war im Lager Gurs gestorben, seine Mutter unter schikanösen Umständen in einem Altersheim. Auch sein Bruder war in der Emigration verschollen. Diese Verluste schufen eine Leere in seinem Leben, die selbst durch politische Arbeit kaum zu füllen war.
Trotz dieser Rückschläge blieb Leo nicht stehen. Er engagierte sich weiterhin in der französischen kommunistischen Partei und knüpfte Kontakte zu anderen Exilanten, Widerstandskämpfern und linken Intellektuellen. Dennoch wurde in ihm der Wunsch stärker, in das Land seiner Jugend zurückzukehren – nicht aus Sentimentalität, sondern aus dem Bedürfnis, dort zu kämpfen, wo er herkam.
1950 entschloss er sich daher, nach Hannover zurückzukehren – in eine Stadt, die sich verändert hatte, und in ein Deutschland, das gespalten war. Dort sah er mit Entsetzen, wie zahlreiche NS-Verbrecher wieder in Justiz, Verwaltung und Wirtschaft Fuß fassten. Figuren wie Flick und Krupp kehrten an die Spitze der Wirtschaft zurück, während ehemalige Widerstandskämpfer wie er oft ohne Anerkennung blieben. In dieser Situation war es für Leo keine Frage: Er trat erneut der KPD bei. Mit klarem Blick erkannte er die Gefahr einer erneuten Remilitarisierung und einer Westintegration der BRD unter der Führung alter Eliten und ihrer neuen Verbündeten in Washington.
Er setzte sich mit aller Kraft für ein antifaschistisches, demokratisches und geeintes Deutschland ein – und unterstützte konsequent die DDR als den Teil Deutschlands, der konsequent mit den faschistischen Kontinuitäten gebrochen hatte. Leo war überzeugt: Nur durch soziale Gerechtigkeit, durch die Überwindung des Kapitalismus und durch den internationalen Schulterschluss der Arbeiterklasse könne dem Faschismus dauerhaft die Grundlage entzogen werden.
Politische Verfolgung in der BRD
1952, als mehrere Redakteure der niedersächsischen KPD-Zeitung „Die Wahrheit“ von der westdeutschen Polizei verhaftet wurden, übernahm Leo die politische und juristische Verantwortung als neuer verantwortlicher Redakteur. Ihm war bewusst, dass er sich damit selbst in größte Gefahr begab – doch für ihn war Solidarität mit seinen Genossen oberstes Gebot. Seine Tätigkeit bestand nicht nur im redaktionellen Arbeiten, sondern auch in der Verteidigung der politischen Linie der Partei, in der Mobilisierung der Leser und in der Abwehr staatlicher Repression.
Wenig später wurde Leo selbst verhaftet. Die Anklage lautete auf „Vorbereitung zum Hochverrat“, ein gängiger Vorwurf in der Frühphase der Bundesrepublik gegen Kommunisten. 29 Wochen saß er in Untersuchungshaft, unter entwürdigenden Bedingungen. Als der Druck der Behörden zunahm und die Versorgung im Gefängnis katastrophal wurde, trat Leo gemeinsam mit anderen politischen Gefangenen in den Hungerstreik. 25 Tage lang verweigerte er die Nahrungsaufnahme, um auf die Situation politischer Gefangener aufmerksam zu machen. Trotz gesundheitlicher Schwäche hielt er durch, bis eine minimale Verbesserung der Haftbedingungen erreicht wurde.
Im anschließenden Gerichtsprozess zeigte sich Leo kämpferisch und ungebrochen. Er stellte sich offen und ohne jede Relativierung hinter die Freie Deutsche Jugend (FDJ), die zu dieser Zeit bereits in der BRD verboten war, und bekräftigte seine Unterstützung für die Friedensbewegung und die Wiedervereinigung Deutschlands auf antifaschistischer Grundlage. Seine Aussagen vor Gericht waren eine Anklage gegen die Wiederbewaffnung und gegen die Rückkehr alter Eliten in Staatsämter. Leo trat als überzeugter Internationalist und Friedenskämpfer auf. Das Gericht verurteilte ihn zu einem Jahr Haft und zwei Jahren Berufsverbot als Redakteur – eine politische Strafe für einen politischen Menschen.
Nach seiner Haftentlassung verschärfte sich die Repression. 1956 wurde die KPD vom Bundesverfassungsgericht verboten. Leo ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Er wirkte im Untergrund weiter, beteiligte sich an illegalen Aktionen, organisierte Treffen mit anderen ehemaligen Parteimitgliedern, unterstützte junge Genossen beim Aufbau neuer Strukturen und hielt mit Vorträgen und Gesprächen den antifaschistischen Geist wach. In dieser Phase war sein persönlicher Mut ebenso entscheidend wie seine politische Klugheit. Er wusste, wie man im Untergrund arbeitet, wie man konspiriert, wie man schützt – und wie man Hoffnung gibt. Trotz ständiger Überwachung und Gefährdung blieb er aktiv – ein Fels für viele, ein Dorn im Auge der Reaktion.
Engagement in der Friedens- und Antifa-Bewegung
In den 1970er und 1980er Jahren war Leo unermüdlich aktiv und wurde zu einem lebendigen Zeugnis antifaschistischer Geschichte. Er trat regelmäßig in Schulen, Jugendzentren, Universitäten und auf öffentlichen Veranstaltungen auf, um über die Schrecken des Faschismus, seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern sowie über die Bedeutung des Widerstands zu sprechen. Für viele Jugendliche war es das erste Mal, dass sie einen Überlebenden trafen, der nicht nur berichtete, sondern zugleich kämpferisch für eine bessere Zukunft eintrat.
Leo war Teil unzähliger Protestbewegungen: Er demonstrierte gegen die atomare Bewaffnung der BRD, gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen und die aggressive Politik der NATO, die im sogenannten NATO-Doppelbeschluss gipfelte. Sein Engagement richtete sich auch gegen das Wiedererstarken faschistischer Kräfte wie der NPD, deren Aufmärsche er mit Entschlossenheit und gemeinsam mit jungen Antifaschisten störte und blockierte.
1981 wurde Leo erneut Ehrenbürger von Vénissieux – eine späte Anerkennung seines Einsatzes für Freiheit und Gerechtigkeit. Diese Ehrung nahm er stellvertretend für alle jene an, die den antifaschistischen Kampf mit dem Leben oder der Freiheit bezahlt hatten. Er verstand sie zugleich als Auftrag an die Jugend, den Kampf fortzusetzen.
Er fuhr mit jungen Menschen im Bus zu Protesten, sprach auf Kundgebungen, marschierte bei Ostermärschen mit, auch wenn er sich auf einen Stock stützen musste. Er war dabei bei der Gegendemonstration gegen den Naziaufmarsch in Frankfurt 1978, prangerte den faschistischen Terror des Oktoberfest-Anschlags an und organisierte Mahnwachen. Ebenso engagierte er sich gegen den Völkermord im Libanon, verurteilte die imperialistische Kriegsführung in Vietnam und unterstützte aktiv die internationale Solidarität mit den unterdrückten Völkern der Welt.
Selbst als Herzprobleme, Zuckerkrankheit und Alter ihn körperlich schwächten, war Leo aufrecht unterwegs. Sein Lebensmotto: „Ich bin stärker als die Krankheit“, war keine Floskel, sondern gelebte Wahrheit. Bis zuletzt war er auf den Straßen, mit Transparenten, Flugblättern, in Diskussionen – ein leuchtendes Beispiel für gelebten Widerstand bis zum letzten Atemzug.
Vermächtnis
Leo Heinemann war vieles: Jude, Kommunist, Internationalist, KZ-Überlebender, Antifaschist, Lehrer, Freund, Kämpfer. Er war ein Kind des Proletariats und ein aufrechter Sohn seiner Klasse, ein Mensch, der sein ganzes Leben dem Kampf gegen Faschismus, Krieg und Ausbeutung gewidmet hat. In ihm vereinten sich Klarheit des Denkens, Tiefe des Fühlens und Entschlossenheit im Handeln.
Die Bourgeoisie nannte ihn Terrorist, Spalter, Verfassungsfeind – Begriffe, mit denen sie ihre Angst vor einem Menschen ausdrückte, der unbestechlich war, der unbeugsam für die Interessen der arbeitenden Menschen eintrat und sich nie kaufen ließ. Sie versuchten, ihn mundtot zu machen, ihn einzusperren, ihn zu isolieren. Doch Leo war stärker als ihre Lügen und Repressionen.
Wir nennen ihn Vorbild, Genosse, aufrechter Mensch, Wegweiser. In seinen eigenen Worten: „Trost brauchen nur die Lebenden – wer kämpft, lebt weiter in den Herzen der Genossen.“ Dieser Satz, den Leo häufig in Gesprächen zitierte, wurde für viele zu einem Leitspruch im antifaschistischen Engagement. Er war nicht nur Mahner, sondern auch Mutmacher. Für viele war er ein lebendiger Beweis dafür, dass es möglich ist, Würde zu bewahren inmitten des Grauens, dass Solidarität stärker ist als Angst, dass Überzeugung stärker ist als Gewalt. Seine Erinnerungen waren keine bloßen Rückblicke, sondern Aufrufe zum Handeln, zum Weitermachen.
Er starb am 8. Mai 1981, dem Tag der Befreiung. Es war, als hätte die Geschichte ihm diesen Tag zugewiesen, um zu zeigen, wie sehr sein Leben mit dem Sieg über den Faschismus verbunden war. Doch mit seinem Tod endete nichts. Im Gegenteil: Sein Leben bleibt uns Verpflichtung. Es ist Mahnung und Auftrag zugleich: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, nie wieder Spaltung unserer Klasse durch Rassismus, Antisemitismus und Hetze.
Kämpfen wir weiter – in seinem Geist, mit seinem Mut, mit seiner Klarheit, mit seiner Liebe zur Menschlichkeit und seinem Hass auf Unterdrückung. Das ist das Vermächtnis von Leo Heinemann. Und wir schulden ihm nicht nur Erinnerung – wir schulden ihm Taten.
Quellen und Literatur
Zum Tod von Leo Heinemann (unveröffentlichter Nachruf, ca. 1981)
VVN-BdA: Materialien zum antifaschistischen Widerstand in Frankreich
Bundesarchiv Berlin: Unterlagen zur politischen Verfolgung der KPD in der Bundesrepublik Deutschland
Georg Fülberth: Die Kommunisten in der Bundesrepublik, Köln 1983
Stadtarchiv Vénissieux: Dokumente zur Ehrenbürgerschaft Leo Heinemanns
Jean-Pierre Besse / Thomas Fontaine (Hrsg.): Dictionnaire des fusillés, Paris 2010
Zeitzeugenberichte aus Eysses, insbesondere von Martinez, Ambre und Blumenfeld
Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: Biografische Recherchedatenbanken
Eigene Ergänzungen und historische Kontextualisierung auf Basis kommunistischer Literatur und antifaschistischer Quellenrecherche
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