Kommunalwahl in NRW 2025 –
Ein Warnsignal aus den Städten und Gemeinden
Die Wahl als Spiegel gesellschaftlicher Umbrüche
Am 14. September 2025 haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen ihre Stimmen für die Kommunalparlamente abgegeben. Mit einer Wahlbeteiligung von 56,8 Prozent war es die höchste Beteiligung seit drei Jahrzehnten. Doch das Ergebnis macht deutlich, dass die politische Landschaft in der Bundesrepublik in Bewegung geraten ist: Die einstigen „Volksparteien“ CDU und SPD verlieren weiter an Rückhalt, die Grünen stürzen dramatisch ab, während die AfD massiv zulegt. Gleichzeitig eröffnen kleinere linke Kräfte – wenn auch noch schwach – eine Perspektive des Widerstands.
Diese Wahl war mehr als ein kommunaler Urnengang: Sie war ein Fieberthermometer für die politische Stimmung in Deutschland. Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsreichste Bundesland, war schon immer ein Seismograph für bundespolitische Entwicklungen. Hier zeigt sich, dass die Unzufriedenheit wächst, dass der Protest nach Ausdruck sucht und dass die herrschende Politik in Berlin und Düsseldorf ihre Bindekraft verliert. Sie war zugleich ein Spiegel ökonomischer und gesellschaftlicher Spannungen, die sich in allen Bereichen bemerkbar machen: in der Industriekrise, in der Unterfinanzierung der Kommunen, in den steigenden Mieten und im Alltagsstress der Bevölkerung.
CDU – stärkste Kraft mit historischem Tiefstand
Die CDU erreichte 33,3 Prozent und blieb damit zwar stärkste Partei, doch das Ergebnis markiert zugleich ein historisches Tief. Ein Drittel der Stimmen klingt auf den ersten Blick stabil, doch verglichen mit früheren Hochburgen – in den 1980er-Jahren erzielten die Christdemokraten auf kommunaler Ebene teils Werte von über 45 Prozent – zeigt sich ein dramatischer Niedergang. Auch in ihren traditionellen Kerngebieten am Niederrhein oder im Sauerland verliert die CDU an Boden. In den Großstädten sinkt ihre Verankerung kontinuierlich.
Der Versuch, sich als „verlässliche Mitte“ zu präsentieren, greift nicht mehr. Ihre Rolle in der Bundesregierung, in der sie gemeinsam mit der SPD Kriegspolitik nach außen und Sozialabbau nach innen betreibt, färbt massiv auf die Landes- und Kommunalebene ab. Der Vertrauensverlust ist nicht nur ein kommunalpolitisches, sondern ein strukturelles Problem. Auch die Personaldecke wirkt ausgedünnt: Viele lokale CDU-Kandidaten sind technokratische Verwalter, die kaum eine Idee für die drängenden sozialen Probleme anbieten.
SPD – der tiefe Fall einer Arbeiterpartei
Mit 22,1 Prozent erzielte die SPD ihr schlechtestes Kommunalwahlergebnis in NRW. Einst war das Ruhrgebiet eine uneinnehmbare Hochburg der Sozialdemokratie, heute brechen ihre Bastionen zusammen. In Städten wie Gelsenkirchen, Duisburg oder Herne lagen die Sozialdemokraten jahrzehntelang bei über 50 Prozent. Nun verliert die Partei nicht nur an die CDU, sondern massiv an die AfD.
Die Ursachen sind offensichtlich: Die SPD hat ihre Bindung zur Arbeiterklasse gekappt. Sie verteidigt weder die sozialen Rechte der Beschäftigten noch tritt sie klar gegen Kriegspolitik oder die rasant steigenden Wohnungs- und Energiepreise auf. Stattdessen verwaltet sie das Elend im Auftrag des Kapitals. Für viele Arbeiterinnen und Arbeiter ist die SPD längst nicht mehr die Partei der Interessenvertretung, sondern ein Symbol für Verrat. Ihre jahrzehntelange Rolle beim Abbau des Sozialstaates, von der Agenda 2010 bis zu aktuellen Kürzungspaketen, hat ihr das Vertrauen entzogen.
Gleichzeitig gelingt es der SPD nicht, glaubwürdige Persönlichkeiten aufzustellen, die über ihre Parteigrenzen hinaus mobilisieren könnten. Die kommunalen Kandidaten wirken oft wie Abziehbilder einer Führung in Berlin, die jeden Bezug zum Alltag der Menschen verloren hat.
AfD – der Nutznießer des Protests
Die AfD konnte ihren Stimmenanteil auf 14,5 Prozent verdreifachen. Sie wurde damit in vielen Kommunen drittstärkste, in einigen sogar zweitstärkste Kraft. In Teilen des Ruhrgebiets überholte sie die SPD. Die AfD punktete vor allem bei jenen, die von sozialem Abstieg bedroht sind und die von der Politik der etablierten Parteien enttäuscht und wütend sind. In Stadtteilen mit hoher Arbeitslosigkeit und wachsender Armut konnte sie Stimmen sammeln, indem sie einfache Schuldzuweisungen präsentierte.
Ihr Aufstieg ist kein Zeichen einer rechten Mehrheit, sondern Ausdruck der Schwäche der linken Kräfte. Wo keine glaubwürdige, kämpferische Alternative existiert, greifen viele aus Protest zur AfD. Ihre Hetze gegen Migranten und ihre Scheinlösungen für soziale Fragen verschleiern, dass sie in Wahrheit ebenfalls eine Partei des Kapitals ist. Doch solange die Linke zersplittert und schwach bleibt, kann die AfD als Ventil für die Wut dienen. Besonders gefährlich ist, dass die AfD in einigen Städten Kandidaten in Stichwahlen bringen konnte und damit reale Chancen hat, in die kommunale Macht einzuziehen.
Grüne – vom Höhenflug zum Absturz
Die Grünen galten 2020 noch als Gewinner, mit einem Rekordergebnis von 20 Prozent. Fünf Jahre später liegen sie bei 13,5 Prozent. Ihr Absturz ist direkt mit ihrer Rolle in der Bundesregierung verknüpft. Sie sind die treibende Kraft der Aufrüstungspolitik, sie tragen Kriegseinsätze mit, sie verantworten die energiepolitische Schieflage und die soziale Härte.
Die Menschen spüren, dass die Grünen längst keine ökologische und soziale Alternative mehr sind, sondern eine Partei des Militarismus und der Besserverdienenden. Ihre Glaubwürdigkeit ist erschüttert – und das nicht nur in den ländlichen Regionen, sondern zunehmend auch in den Universitätsstädten, die früher ihre Hochburgen waren. Viele junge Wählerinnen und Wähler, die 2020 noch voller Hoffnung Grün gewählt hatten, fühlen sich betrogen und wenden sich enttäuscht ab.
Die Linke und das BSW – kleine Signale am Rande
Die Linke erreichte 5,6 Prozent und konnte sich damit leicht erholen. Ihre Hochburgen liegen in den Großstädten, etwa in Dortmund oder Köln. Doch insgesamt bleibt sie zu schwach, um den Rechtsruck aufzuhalten. Ihre Chance liegt darin, sich klarer als soziale und friedenspolitische Alternative zu profilieren. Sie muss wieder zu einer Partei werden, die nicht nur in Parlamenten redet, sondern auf der Straße, in Betrieben und an den Hochschulen präsent ist.
Erstmals trat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) an und kam auf 1,1 Prozent. Das zeigt: Es gibt Potenzial für eine neue Kraft, doch bisher fehlt die Verankerung in den Kommunen. Ob das BSW langfristig eine Rolle spielt, hängt davon ab, ob es gelingt, lokale Strukturen aufzubauen und glaubwürdig soziale Kämpfe zu unterstützen. Ihre Wählerbasis ist derzeit klein, doch ihr Anspruch, soziale Themen stärker ins Zentrum zu rücken, könnte sich bei einer weiteren Zuspitzung der Krise ausweiten.
Bürgermeister- und Landratswahlen – Stichwahlen in den Metropolen
Nur zwei Oberbürgermeister wurden im ersten Wahlgang gewählt: Marc Herter (SPD) in Hamm und Frank Dudda (SPD) in Herne. In 21 weiteren Städten kommt es zur Stichwahl. Besonders spannend sind Köln, Düsseldorf und Dortmund:
In Köln tritt Berivan Aymaz (Grüne) gegen Torsten Burmester (SPD) an.
In Düsseldorf fordert Clara Gerlach (Grüne) den CDU-Amtsinhaber Stephan Keller heraus.
In Dortmund duellieren sich Thomas Westphal (SPD) und Alexander Kalouti (CDU).
Auffällig ist, dass auch drei AfD-Kandidaten den Sprung in Stichwahlen schafften – ein Novum in NRW. Damit wird deutlich: Die AfD ist nicht mehr nur ein Randphänomen, sondern greift nach realer Macht in den Städten. In Duisburg, Gelsenkirchen und Wuppertal hat sie Kandidaten ins Rennen gebracht, die vom Unmut vieler Menschen getragen werden. Dass sie dort Chancen hat, zeigt, wie tief die Unzufriedenheit reicht.
Auch bei den Landratswahlen wird deutlich, dass die traditionellen Mehrheiten zerbröckeln. 16 Landräte konnten im ersten Wahlgang bestätigt werden, doch in 15 Kreisen muss erneut gewählt werden. Hier wird sich entscheiden, ob CDU und SPD ihre Restmacht behaupten können oder ob neue politische Konstellationen entstehen.
Historische Parallelen: Vom Niedergang der Volksparteien
Der Niedergang von CDU und SPD in NRW ist kein isoliertes Ereignis. Er reiht sich ein in eine Entwicklung, die seit den 1990er-Jahren sichtbar ist: Die Bindungskraft der traditionellen Parteien löst sich auf. Während die SPD in den 1970er-Jahren noch absolute Mehrheiten in Ruhrgebietsstädten erzielte, schrumpft sie heute auf ein Fünftel. Die CDU, einst Garant bürgerlicher Stabilität, verliert ebenfalls kontinuierlich.
Die Ursachen sind im neoliberalen Umbau Deutschlands zu suchen. Mit Hartz IV, Privatisierungen und der Unterordnung unter die EU-Austeritätspolitik haben SPD und CDU ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Heute stehen sie für Krieg, Kürzungen und Kapitalinteressen – nicht für die Bedürfnisse der Mehrheit. Der Aufstieg neuer Kräfte, ob links oder rechts, ist die Folge dieser Krise. Zugleich ist zu beobachten, dass die Demokratie selbst Schaden nimmt, wenn immer weniger Menschen Vertrauen in die Institutionen haben.
Ökonomische Interessen hinter dem Wahlergebnis
Die Ergebnisse spiegeln auch die wirtschaftliche Krise wider. NRW ist geprägt von Deindustrialisierung, Arbeitsplatzabbau und wachsender Armut. Im Ruhrgebiet leben ganze Stadtteile im Schatten der Werksschließungen. Die Energiepreise steigen, die Mieten explodieren. Kommunale Politik bedeutet für viele Menschen: immer weniger soziale Angebote, kaputte Schulen, heruntergekommene Schwimmbäder.
Die etablierten Parteien haben diese Entwicklung nicht aufgehalten, sondern befördert. Die Menschen erleben, dass Milliarden für Rüstung und Krieg ausgegeben werden, während vor Ort das Geld für Buslinien, Jugendzentren oder Krankenhäuser fehlt. Das drückt sich in der Wahlentscheidung aus. In manchen Städten stehen öffentliche Einrichtungen kurz vor dem Kollaps, gleichzeitig werden neue Waffenprogramme durchgewunken. Der Zusammenhang ist offensichtlich, doch kaum eine etablierte Partei benennt ihn.
Friedenspolitik als entscheidende Richtungsfrage
Die Kommunalwahl zeigt auch: Die Frage von Krieg und Frieden spielt zunehmend eine Rolle. Viele Wählerinnen und Wähler wenden sich von den Grünen ab, weil sie deren Kriegstreiberei ablehnen. Auch die SPD zahlt den Preis für ihre Komplizenschaft. Doch die Kräfte, die glaubwürdig für Frieden eintreten, sind noch schwach.
Hier liegt die zentrale Aufgabe: den Zusammenhang von Kriegspolitik und sozialer Not deutlich zu machen. Jede Milliarde für Panzer fehlt in den Kommunen. Jede Eskalation nach außen bedeutet Einschnitte nach innen. Nur wenn linke und friedenspolitische Kräfte diesen Zusammenhang klar benennen, können sie Vertrauen gewinnen. Das ist nicht nur eine politische, sondern eine existenzielle Frage für die Zukunft der Städte und Gemeinden.
Ausblick: Widerstand von unten organisieren
Das Ergebnis der Kommunalwahl 2025 in NRW ist ein Weckruf. Es zeigt die Krise der alten Parteien, den Aufstieg der Rechten und die noch ungenutzte Chance für eine starke soziale und friedenspolitische Linke. Die kommenden Jahre werden davon abhängen, ob es gelingt, den Widerstand von unten zu organisieren: in Betrieben, in Stadtteilen, in Gewerkschaften, in Friedensinitiativen.
Die Alternative liegt nicht im Rückzug in Resignation oder im falschen Protest bei der AfD. Die Alternative liegt im Aufbau eines breiten Blocks gegen Krieg und Sozialabbau, für Gerechtigkeit und Frieden. Das bedeutet konkrete Arbeit vor Ort: Solidaritätsnetzwerke aufbauen, Nachbarschaftshilfe organisieren, Streiks unterstützen, Mieterinitiativen stärken und die Friedensbewegung revitalisieren.
Fazit
Die Kommunalwahl 2025 in Nordrhein-Westfalen ist ein historisches Signal. CDU und SPD verlieren ihre Basis, die Grünen stürzen ab, die AfD wächst gefährlich. Linke Kräfte bleiben schwach, doch sie haben die Chance, aus der Krise eine Bewegung zu formen. Wenn sie die sozialen und friedenspolitischen Interessen der Mehrheit konsequent vertreten, können sie den rechten Vormarsch stoppen.
NRW hat gewählt – und das Ergebnis schreit nach einer Antwort: nach einer neuen, kämpferischen Politik für die Menschen, gegen Krieg, gegen Armut, gegen die Herrschaft des Kapitals. Nur so kann der Weg in eine solidarische Zukunft geöffnet werden. Es liegt nun an den Kräften der Linken und der Friedensbewegung, diese historische Chance zu nutzen – oder den Rechten das Feld zu überlassen.
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