JAPCC Essen 2025: Kriegslogik, Profite, Widerstand
In Essen probt die Kriegsmaschine
Vom 30. September bis 2. Oktober 2025 will sich in der Essener Grugahalle die strategische Spitze der NATO‑Luft- und Raumkriegsführung treffen. Unter dem Titel „Die Zukunft der Luftüberlegenheit“ verhandeln Militärs, Regierungsvertreter und die Vorstände großer Rüstungskonzerne über die nächste Stufe eines Krieges, der längst nicht nur in Schützengräben geführt wird, sondern vom All über die Luft und See bis tief in unseren zivilen Alltag hineinreicht. Das Kürzel lautet JAPCC – Gemeinsames Kompetenzzentrum für Luftmacht. Dahinter steht ein Plan: Überlegenheit in allen Bereichen, vernetzte Waffen, Hyperschall, Gleitflugkörper, Satelliten, Drohnen, Angriffe über Computer, psychologische Operationen.
Diese Konferenz ist kein neutrales Branchentreffen. Sie ist Teil der Kriegsvorbereitung – und sie hat eine politische, wirtschaftliche und ideologische Funktion: Hochrüstung legitimieren, Profite sichern, Gesellschaft auf Dauerkrieg trimmen. Wer dem Frieden verpflichtet ist, wer die materiellen Interessen hinter dieser Politik erkennen will, wer in Deutschland Verantwortung gegenüber Geschichte und Gegenwart ernst nimmt, der muss widersprechen und handeln.
Die neue Kriegsdoktrin: Luft‑Land‑Verknüpfung und Mehr‑Bereiche‑Operationen
Die Schlagworte lauten „Luft‑Land‑Verknüpfung (ALI)“ und „Mehr‑Bereiche‑Operationen“. Gemeint ist die Durchdringung aller Waffengattungen zu einer kommandogesteuerten Angriffsarchitektur, die jede Lücke im gegnerischen System in Echtzeit ausnutzt. Aufklärungs‑ und Kommunikationssatelliten liefern Zieldaten, Drohnenschwärme erkunden und attackieren, Hyperschallraketen sollen die Abwehr überfordern, elektronische Kriegsführung blendet Sensoren, Angriffe über Computer zersetzen Infrastruktur, psychologische Kriegsführung zielt auf Bewusstsein und Moral der Bevölkerung. Das „Schlachtfeld“ endet nicht am Frontverlauf – es umfasst die gesamte Erde, inklusive unserer Städte, Netze, Köpfe.
Diese Doktrin ist nicht defensiv. Sie zielt auf Handlungsfähigkeit in der Angriffstiefe, auf Überwältigung. Wer so plant, produziert Eskalation: Jeder Schritt, der die Reaktionszeit der Gegenseite verkürzt, erhöht den Erstschlagsdruck auf beiden Seiten. Das Ergebnis ist ein permanentes Kriegsrisiko, das mit jedem Techniksprung wächst. In den Planungen der NATO wird dabei gezielt unterschlagen, dass solche Strategien nicht der Verteidigung dienen, sondern Angriffspotenzial bündeln. Sie schaffen keine Sicherheit, sondern permanente Unsicherheit.
Verfassungs- und völkerrechtliche Brüche
Die Kriegsvorbereitung ist nicht nur moralisch verwerflich, sie steht auch im Konflikt mit Grundsätzen, auf die sich die Bundesrepublik offiziell beruft. Artikel 26 des Grundgesetzes stellt Handlungen unter Strafe, die „in der Absicht erfolgen, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“. Wer in Essen Verfahren zur verkürzten Kriegsvorbereitung optimiert, legt die Axt an dieses Prinzip. Nicht weniger brisant ist, dass die Bundesrepublik damit selbst zur Kriegspartei in globalen Konflikten wird, obwohl sie sich nach 1945 dem Prinzip des Friedensgebots verpflichtet hat.
Hinzu kommt der Zwei‑plus‑Vier‑Vertrag zur deutschen Einheit. Er bekräftigt die Verpflichtung Deutschlands, Abrüstung, Begrenzung der Streitkräfte und Verzicht auf Atom‑, Bio‑ und Chemiewaffen ernst zu nehmen. Stattdessen erleben wir eine „Zeitenwende“, in der die Personal‑ und Materialstärken wachsen, während gleichzeitig Mittelstreckenwaffen und nukleare Optionen wieder salonfähig gemacht werden. Diese Abkehr von den Lehren 1945 ist nicht hinnehmbar. Sie zeigt, wie wenig die herrschenden Eliten bereit sind, aus der Geschichte zu lernen.
Politische Ökonomie der Hochrüstung: Wer profitiert?
Hinter der Rhetorik von „Sicherheit“ steht eine klare Profitlogik. Die Sponsoren solcher Konferenzen und die Gewinner der „Zeitenwende“ sind Rheinmetall, Airbus Verteidigung, Diehl, Hensoldt, Thales, Lockheed Martin, Northrop Grumman, Raytheon und Boeing – viele direkt im Atomgeschäft und eng verflochten mit Banken, Finanzfonds und Staatsfonds. Die Anteilseigner kassieren Rekordgewinne, während Kommunen sparen, Kliniken schließen, Kitas auf Personal warten und Mieten explodieren.
Hier zeigt sich das Primat des Profits über die Bedürfnisse der Bevölkerung: Geld, das in Panzerhaubitzen, Marschflugkörper, Raketenabwehr fließt, fehlt bei Pflege, Bildung, Infrastruktur, Kultur. Die Konzerne werden von einem staatlich garantierten Nachfrageboom getragen – abgesichert durch langfristige Rüstungsprogramme, europäische Fonds, NATO‑Quoten, „Sondervermögen“. In dieser Architektur ist Krieg nicht Unfall, sondern Geschäftsmodell. Je mehr Konflikte angeheizt werden, desto stabiler sprudeln die Dividenden. Krieg ist für diese Konzerne kein Scheitern der Politik, sondern der Normalzustand der Wirtschaft.
„Strategische Kommunikation“: Wie Zustimmung organisiert wird
Wer Krieg plant, muss Zustimmung organisieren. Das wissen die Strategen. Schon vor Jahren wurde in den JAPCC‑Papieren „Strategische Kommunikation“ als Schlüssel identifiziert: die gezielte Formung der öffentlichen Meinung. Das Muster ist bekannt: Feindbildproduktion, Überhöhung eigener Werte, Skandalisierung selektiver Verbrechen, Ausblendung eigener Völkerrechtsbrüche. Medien, Denkfabriken und Universitäten werden eingebunden, um einen Pseudo‑Konsens herzustellen, in dem Widerspruch als Verrat gilt.
Erinnern wir uns: Irak 2003 – vorgeschobene „Massenvernichtungswaffen“ als Begründung, obwohl die UN‑Prüfer Entwarnung gaben. Danach folgte Libyen 2011, ein zerrissenes Land. Syrien, Jugoslawien – die Reihe ließe sich fortsetzen. Jeder dieser Kriege wurde mit einem moralischen Vorwand verkauft, hinter dem sich Geopolitik und Rohstoffinteressen verbargen.
Der Ukrainekrieg: Das verordnete Narrativ und die verdrängte Vorgeschichte
Der offizielle Rahmen erzählt von einem „unprovozierten Angriff“ und verschweigt, was seit den 1990ern geschah: die Osterweiterung der NATO trotz anderslautender Signale in den Vereinigungsgesprächen, der Umsturz 2014 in Kiew, die Militarisierung der Ukraine, die Missachtung der Minsker Vereinbarungen, die jahrelange Kriegsführung im Donbass mit Tausenden Toten. All dies wird systematisch aus dem öffentlichen Bewusstsein gedrängt, um die Eskalationspolitik als moralische Pflicht erscheinen zu lassen.
Wer das alles ausblendet, moralisiert die Gegenwart und blockiert Verhandlungen. Wer die Eskalationsspirale mit Waffenlieferungen antreibt, verlängert das Sterben und verschiebt die Frontlinie auf dem Rücken der Menschen. Sicherheit in Europa wird es nicht gegen Russland geben, sondern nur mit Russland – das ist eine Lehre des 20. Jahrhunderts.
Deutschland zwischen Geschichte und Gegenwart
Deutschland hat nach 1945 eine besondere Verantwortung: Nie wieder Krieg von deutschem Boden. Heute jedoch vernetzt die Bundesrepublik Führungsstäbe, Logistikdrehscheiben, Aufmarschkorridore, stellt Rüstungsdrehkreuze und beteiligt sich an Sanktions‑ und Wirtschaftskrieg. Das alles wird moralisch überhöht – und gleichzeitig werden soziale Konflikte verschärft: Energiepreise, Inflation, Lohnstagnation, Kürzungen im Sozialen. Währenddessen wächst die Abhängigkeit von den USA, die ihre eigenen geopolitischen Interessen durchsetzen.
Wir erleben eine Umverteilung nach oben, flankiert von Medienkampagnen, die Kritik delegitimieren – als „Feindpropaganda“, „Falschinformation“, „Agententum“. Doch kritische Öffentlichkeit ist keine Gefahr, sondern Voraussetzung von Demokratie. Wer Krieg will, braucht Stille. Wer Frieden will, braucht Debatte. Und diese Debatte muss geführt werden – in Parlamenten, auf Straßen, in Betrieben und Schulen.
Nukleare Normalisierung: Die schleichende Enttabuisierung
Die JAPCC‑Denkschulen reden „angemessene“ Mischungen aus konventioneller und nuklearer Fähigkeit schön. Diese Enttabuisierung ist brandgefährlich. Schon die Bereitstellung entsprechender Trägersysteme und die Verkürzung der Entscheidungszeiten erhöht die Wahrscheinlichkeit einer katastrophalen Fehlkalkulation. Wer über Mittelstreckenwaffen in Europa, über „nukleare Teilhabe“, über Hyperschall‑Erstschlags‑Optionen redet, spielt mit dem Überleben eines Kontinents. Die Vorstellung, dass Atomwaffen wieder „einsatzfähig“ gemacht werden könnten, ist ein Rückfall in die Logik des Kalten Krieges – nur diesmal ohne funktionierende Rüstungskontrolle.
Essen 2025: Stadt, Halle, Bühne – und die Antwort der Straße
Dass die Grugahalle zum Tagungsort wird, ist mehr als eine Logistikentscheidung. Es ist Symbolpolitik: Wo einst Konzerte stattfanden, inszeniert sich heute die Hochrüstung als modernes Spektakel – mit Ausstellerflächen, Sponsorenbereichen, Vorführtechnik. Diese Schönfärberei des Militärischen soll Normalität erzeugen. Unsere Antwort muss sein: Entzauberung. Die Menschen in Essen und im Ruhrgebiet haben eine stolze Tradition des Widerstands: gegen Faschismus, gegen Atomkraft, gegen Sozialabbau. Daran knüpft der Protest 2025 an.
Für den Eröffnungstag, 30. September, mobilisieren Friedenskräfte zu einer Demonstration. Dabei geht es nicht nur um Protest gegen ein Ereignis. Es geht um die Zurückweisung einer Kriegslogik, die unsere Städte, unsere Budgets, unsere Zukunft kolonisiert.
Historische Lehren: Von 1914 über 1945 bis heute
Die Urkatastrophe 1914 begann nicht als moralischer Kreuzzug, sondern als Macht‑ und Rohstoffkonkurrenz, befeuert durch Rüstungsdynamik, Bündnistreue und ideologische Aufrüstung. 1933–45 zeigt, wohin Militarismus und Entmenschlichung führen, wenn sie sich mit ökonomischen Interessen verbinden. 1945 war die Erfahrung: Frieden braucht Sicherheit für alle, und soziale Gerechtigkeit ist Sicherheitsarchitektur von unten. Wer das vergisst, wiederholt Fehler. Die Erinnerung an diese Lehren ist nicht nur historische Pflicht, sondern politische Waffe gegen die neue Kriegspolitik.
Die soziale Frage im Schatten der Zeitenwende
Die Aufrüstung organisiert Knappheit. Sie drückt Reallöhne, frisst Haushalte, legitimiert Kürzungen. Gleichzeitig generiert sie Privateigentum am Krieg: Dividenden, Aktienrückkäufe, Bonusprogramme. Es ist kein Zufall, dass dort, wo Rüstungsquoten steigen, Ungleichheit wächst. Frieden bedeutet Umverteilung von oben nach unten, bedeutet öffentliche Daseinsvorsorge, bedeutet Sicherheit als soziales Recht. Die Zeitenwende ist daher nicht nur militärisch, sondern vor allem ein Projekt des Sozialabbaus.
Gegen die Normalität des Ausnahmezustands
Militärische Planer nennen „Zeit“ den entscheidenden Faktor – im Krieg und, wie sie sagen, noch mehr in der Kriegsvorbereitung. Übersetzt: Verkürzte Debatten, überhastete Beschlüsse, Ausnahmezustand als Dauerzustand. Dem setzen wir Zeit für Demokratie entgegen: Zeit zum Prüfen, zum Widerspruch, zur Aushandlung. Demokratie braucht Langsamkeit, Frieden braucht Geduld.
Schluss: Essen ist überall – Frieden ist machbar
Die JAPCC‑Konferenz in Essen ist ein Brennglas. Sie bündelt, was unsere Zeit prägt: Militarisierung, Profitorientierung, Meinungslenkung. Aber sie bündelt auch etwas anderes: unseren Widerspruch. Frieden ist keine Utopie. Er ist politische und soziale Praxis – wenn wir ihn organisieren. Nehmen wir Essen zum Anlass, die Kriegslogik zu durchkreuzen: mit Aufklärung, Solidarität, Entschlossenheit.
Nicht die Generäle in der Grugahalle entscheiden über unsere Zukunft, sondern wir – wenn wir es wollen.
Aufruf zur Friedensdemonstration am 30. September 2025 in Essen
Am Dienstag, den 30. September 2025, ruft das sozialökologische Friedensbündnis gemeinsam mit zahlreichen Organisationen zur Demonstration gegen die NATO-Strategiekonferenz in der Grugahalle auf.
Auftakt ist um 16:00 Uhr am Rüttenscheider Stern. 
Von dort zieht der Demonstrationszug zur Grugahalle.
Die Organisatoren machen deutlich: Die Strategietreffen des JAPCC sind keine harmlosen Fachtagungen, sondern Planungen für künftige Kriege. Gesponsert von den größten Rüstungskonzernen, verstoßen sie gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes, der OSZE und der UN-Charta. Von Essen, das die Nazis einst „Waffenschmiede“ nannten, soll in Zukunft nur noch Frieden ausgehen.
Die Forderungen lauten:
— Keine Planungskonferenzen von Waffengängen – nicht in Essen und nicht anderswo!
— Diplomatie und Abrüstung statt Atom- und Hochrüstung!
— Einhaltung des Völkerrechts, Ausbau globaler Kooperation und Entwicklungshilfe!
— Schutz der Ärmsten, Abbau von Armut statt Militarisierung der Welt!
— Ökologie, soziale Infrastruktur und Bildung statt Militär!
Für ein Europäisches Haus gemeinsamer Sicherheit, wie es auch der Zwei‑plus‑Vier‑Vertrag vorschreibt!
Redebeiträge sind angekündigt u.a. von Michael Müller (SPD), Anne Rieger (Bundesausschuss Friedensratschlag), Karl-Wilhelm Koch (Grüne/UGL), Amid Rabieh (BSW), B. Trautvetter (Essener Friedensforum), Karin Schnittker (VVN) und Vertreterinnen und Vertreter der Linken. Musikalisch wird die Kundgebung von der Mikrofon‑Mafia und Sigi Kühn unterstützt.
Kommt zahlreich, bringt Freundinnen und Freunde mit – setzen wir ein starkes Zeichen für Abrüstung, soziale Gerechtigkeit und Frieden!
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