Jadup und Boel (1980, DEFA)
Filmdetails
Regie: Rainer Simon
Drehbuch: Rainer Simon, basierend auf dem Roman Jadup von Paul Kanut Schäfer
Kamera: Roland Dressel
Musik: Reiner Bredemeyer
Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme, Künstlerische Arbeitsgruppe "Babelsberg"
Erscheinungsjahr: 1981 (Produktion), 1988 (Veröffentlichung)
Länge: 103 Minuten
Genre: Drama
Handlung
In der DDR-Kleinstadt Wickenhausen stürzt während der feierlichen Einweihung einer neuen Kaufhalle ein altes Gebäude ein – ein Relikt aus der Vorkriegszeit, das einst als Treffpunkt für die Gemeinschaft diente. Sein Einsturz bringt nicht nur Trümmer zum Vorschein, sondern auch Erinnerungen an eine verdrängte Vergangenheit. In den Trümmern wird ein Exemplar von Friedrich Engels' Der Aufbau des Sozialismus entdeckt – ein Buch, das der heutige Bürgermeister Jadup einst der jungen Boel schenkte.
Boel, ein Flüchtlingsmädchen, war nach dem Krieg mit ihrer Mutter in die Stadt gekommen. Sie entwickelte eine enge Beziehung zu Jadup, der ihr das Lesen und Schreiben beibrachte. Boel verliebte sich in ihn, nicht nur aus jugendlicher Schwärmerei, sondern weil er ihr als eine der wenigen Personen in ihrem neuen Leben Sicherheit und Verständnis bot. In ihrer Unsicherheit suchte sie Halt in seiner Nähe, doch sie wusste nicht, ob ihre Gefühle erwidert wurden oder ob ihre Zuneigung nur einseitig blieb. Doch nach einer nie aufgeklärten Vergewaltigung verschwand sie spurlos, und die Bewohner der Stadt verdrängten ihr Schicksal.
Das Wiederauftauchen des Buches zwingt Jadup dazu, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Einst ein idealistischer junger Mann, der an den gesellschaftlichen Fortschritt glaubte, hat er im Laufe der Jahre eine pragmatische Haltung eingenommen, die es ihm erlaubte, unbequeme Wahrheiten zu verdrängen. Nun holen ihn seine Erinnerungen ein, und er muss sich fragen, ob seine damalige Passivität aus Feigheit, Unwissenheit oder schlichtem Selbstschutz resultierte. Er beginnt, seine damaligen Entscheidungen und seine Rolle in Boels Leben zu hinterfragen. War er blind für ihre Not? Hätte er sie beschützen können? Während er nach Antworten sucht, kommen verdrängte Erinnerungen zurück, die ihn mit Scham und Schuldgefühlen konfrontieren.
Gleichzeitig steht sein Sohn Max vor einer eigenen Wahl: Er muss sich zwischen zwei jungen Frauen entscheiden, die jeweils unterschiedliche Lebenswege repräsentieren – die pflichtbewusste Eva, die fest an die sozialistischen Ideale glaubt, oder die unangepasste Edith, die sich gegen die Normen der Gesellschaft auflehnt. Während Max mit seinen eigenen Zweifeln kämpft, wird deutlich, dass sich Geschichte oft auf ähnliche Weise wiederholt. So wie Jadup einst Boels Gefühle und Notlage übersah, steht Max nun vor der Entscheidung, ob er sich für die konforme Eva oder die unangepasste Edith entscheidet – eine Wahl, die seine eigene Haltung zur Gesellschaft widerspiegelt. Die Parallelen zwischen Vater und Sohn verdeutlichen, dass vergangene Fehler unbewusst wiederholt werden, wenn sie nicht reflektiert und verarbeitet werden. Die Vergangenheit von Jadup spiegelt sich in den Konflikten der neuen Generation wider und zeigt, dass das Unverarbeitete immer wieder in der Gegenwart auftaucht. Solange alte Wunden nicht geheilt und vergangene Fehler nicht anerkannt werden, bleibt die Wiederholung unvermeidlich – ein Kreislauf, aus dem nur diejenigen ausbrechen können, die bereit sind, sich ihrer Geschichte zu stellen.
Schauspieler
Kurt Böwe als Jadup
Katrin Knappe als Boel
Gudrun Ritter als Barbara
Timo Jacob als Max
Käthe Reichel als Frau Martin
Franciszek Pieczka als Unger
Michael Gwisdek als Gwissen
Christian Böwe als junger Jadup
Inga Kaltenhäuser als Edith
Uta Rauchfuß als Eva
Hintergrund
Jadup und Boel wurde 1981 fertiggestellt, doch erst 1988 veröffentlicht. Der Film setzt sich tiefgehend mit der gesellschaftlichen Entwicklung in der DDR auseinander und beleuchtet die Herausforderungen einer Generation, die zwischen Erinnerung und Zukunftsgestaltung steht. Er zeigt, wie der sozialistische Aufbau der Gesellschaft mit individuellen Erfahrungen und Konflikten verwoben war und welche moralischen Fragen sich daraus ergaben. In der späten DDR wurde der Film schließlich gezeigt, da sich zunehmend eine offene Diskussion über Geschichte und Gesellschaft etablierte.
Thematisch setzt sich der Film mit den Nachwirkungen der unmittelbaren Nachkriegszeit auseinander und zeigt, wie individuelle Schicksale von gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst werden. Besonders die Figur Boel steht dabei exemplarisch für die Erfahrungen von Vertriebenen und Flüchtlingen, deren Schicksale oft ignoriert oder tabuisiert wurden. Ihr plötzliches Verschwinden wird von der Stadtgemeinschaft stillschweigend hingenommen – ein Sinnbild für den Umgang mit unbequemen Wahrheiten in einer Gesellschaft, die sich nach Stabilität sehnt. Der Film zählt zu den bedeutenden Werken der DEFA, die die Auseinandersetzung mit sozialen Fragen in der DDR thematisieren und einen wichtigen Beitrag zur Filmkultur des Landes leisten.
Online verfügbar
Jadup und Boel kann über die DEFA Film Library erworben oder ausgeliehen werden. Zusätzlich ist der Film unter diesem Link abrufbar. Die DVD enthält englische Untertitel sowie Bonusmaterial wie Biografien, Filmografien und Interviews.
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