Gertrud Schröter:
Ein Leben im Widerstand und für den Frieden
Ein Leben im Widerstand und für den Frieden
„Man muss sich einmischen – sonst wird alles schlimmer.“ Dieser Satz, den Gertrud Schröter oft sagte, fasst ihr Leben treffend zusammen. Gertrud Schröter (geb. Gertrud Elsner, *23. Juli 1913 in Celle; † 26. Juni 1999 in Torgau) war eine herausragende Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte. In einer Zeit, in der Deutschland sich nach der Befreiung vom Faschismus politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich neu zu orientieren versuchte, setzte sie sich mit aller Kraft für ein antifaschistisches, demokratisches und friedliches Gemeinwesen ein. Sie war Widerstandskämpferin gegen den Faschismus, indem sie trotz Verfolgung und Repression ihren politischen Überzeugungen treu blieb und anderen Bedrängten half. Als Kommunistin setzte sie sich Zeit ihres Lebens für soziale Gerechtigkeit, internationale Solidarität und eine klassenlose Gesellschaft ein. In ihrer Rolle als Bildungsarbeiterin organisierte sie unzählige Veranstaltungen, Schulungen und Zeitzeugengespräche für junge Menschen und trug so aktiv zur politischen Aufklärung bei. Als Friedensaktivistin war sie unermüdlich auf Ostermärschen und in lokalen Initiativen präsent, sprach sich gegen atomare Aufrüstung aus und engagierte sich für Abrüstung. Und schließlich war sie jahrzehntelang engagierte Antifaschistin, die ihre Erfahrungen nutzte, um gegen das Vergessen zu kämpfen und rechte Ideologien zu entlarven. Ihr gesamtes Leben stand im Zeichen des Kampfes gegen Faschismus, Militarismus und soziale Ungerechtigkeit. Bereits in jungen Jahren zeigte sich dieser Einsatz etwa in ihrer offenen Parteinahme für verfolgte Kolleginnen und Kollegen in der Konsumgenossenschaft und später in ihrem unermüdlichen Eintreten für die Rechte von Arbeiterkindern. Ihre politische Haltung war nicht abstrakt, sondern konkret – sichtbar in ihrer täglichen Arbeit, in der Betreuung von Schutzsuchenden im Faschismus, in der Organisation von Kinderfreizeiten nach dem Krieg und in ihren eindringlichen Reden auf Gedenkveranstaltungen. Sie war eine jener Frauen, deren biografische Spuren oft zu wenig Beachtung finden, obwohl ihr Wirken über Jahrzehnte hinweg maßgeblich zur politischen und gesellschaftlichen Bildung beitrug.
Schröter verkörperte ein klares Gegenbild zur Gleichgültigkeit und zum Wegsehen, das sich in Teilen der Gesellschaft nach dem Krieg breit machte. Während viele in der jungen Bundesrepublik bereit waren, ehemalige NS-Funktionäre wieder in Amt und Würden zu bringen oder die Vergangenheit auszublenden, blieb sie standhaft im Bemühen um Aufarbeitung, Gerechtigkeit und Erinnerung. Sie stellte sich entschieden gegen die Verharmlosung der faschistischen Verbrechen und gegen das Schweigen über die Rolle von Justiz, Verwaltung und Wirtschaft im Faschismus. Sie war nicht nur eine Beobachterin der Geschichte, sondern eine Gestalterin, die durch ihr Handeln und ihre Überzeugungskraft bleibende Wirkung erzielte. Ihre politische Haltung war dabei stets verbunden mit tiefem Mitgefühl für die Schwächeren und einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit.
Diese Broschüre will an ihre Taten erinnern, ihr Wirken würdigen und gleichzeitig jungen Menschen Mut machen, für Frieden, Gerechtigkeit und Erinnerung einzustehen. Ihre Geschichte ist nicht nur eine persönliche Biografie, sondern ein Spiegel der politischen Kämpfe des 20. Jahrhunderts in Deutschland – von der Weimarer Republik über die Zeit des Faschismus bis hin zum Kalten Krieg und den Auseinandersetzungen der Bundesrepublik mit ihrer Vergangenheit – und ein lebendiges Zeugnis für den Mut, auch unter schwierigsten Bedingungen an seinen Überzeugungen festzuhalten und für eine menschlichere Welt einzutreten.
Kindheit und Familie – Wurzeln im Arbeiterwiderstand
Gertrud Schröter wurde 1913 in Celle als Tochter des Maurers Otto Elsner geboren. Ihre Familie war tief in der Arbeiterbewegung verwurzelt. Ihr Vater war Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) in Celle und saß bis 1933 als kommunistischer Abgeordneter im Stadtrat. Die politische Überzeugung des Vaters prägte die Tochter nachhaltig. Schon in jungen Jahren erlebte sie politische Diskussionen zu Hause, nahm an Veranstaltungen der Arbeiterbewegung teil und entwickelte ein feines Gespür für soziale Ungerechtigkeit. Besonders eindrücklich war für sie ein 1.-Mai-Umzug in den frühen 1920er-Jahren, bei dem sie mit ihrem Vater am Rand stand und zum ersten Mal bewusst sah, wie Arbeiter für bessere Lebensbedingungen und Rechte demonstrierten. Dieser Moment, so erinnerte sie sich später, habe sie „mehr geprägt als mancher Schulunterricht“. Die Atmosphäre ihres Elternhauses war von Solidarität, politischem Bewusstsein und einem klaren Gefühl für Klassenverhältnisse geprägt. Auch ihre Mutter unterstützte die politische Arbeit ihres Mannes, übernahm Verantwortung im Haushalt und war für Gertrud ein moralischer Rückhalt.
In einer Zeit, in der Kinder aus Arbeiterfamilien kaum Bildungschancen hatten, bewies Gertrud große Entschlossenheit. Schon früh war sie gezwungen, Verantwortung zu übernehmen. Sie zeigte in der Schule hohe Lernbereitschaft, musste aber nach der Grundschule ins Berufsleben eintreten. Sie absolvierte eine Lehre bei der Konsumgenossenschaft, einer Einrichtung der organisierten Arbeiterbewegung, und bewährte sich schnell durch Zuverlässigkeit, Fleiß und organisatorisches Talent. Bereits mit 19 Jahren wurde sie Filialleiterin – eine beachtliche Leistung für eine junge Frau in der damaligen Zeit, in der patriarchale Strukturen und gesellschaftliche Vorurteile Frauen den Aufstieg erschwerten. Während viele Frauen ihrer Generation auf häusliche Tätigkeiten oder einfache Hilfsarbeiten beschränkt blieben, übernahm Schröter früh Führungsverantwortung in einer genossenschaftlich organisierten Einrichtung – ein Beispiel für weibliche Selbstbehauptung in einer männerdominierten Arbeitswelt.
Ihr ursprünglicher Wunsch, Lehrerin zu werden, blieb ihr aufgrund der sozialen Umstände verwehrt. Der Besuch weiterführender Schulen war für Arbeiterkinder meist unerreichbar. Doch dieser Wunsch, Wissen zu vermitteln und junge Menschen zu fördern, wurde später zu einer Triebfeder ihres sozialen Engagements – insbesondere in ihrer späteren Rolle als politische Bildnerin, Zeitzeugin und Organisatorin von Gedenkveranstaltungen, bei denen sie jungen Menschen nicht nur Geschichte näherbrachte, sondern sie auch zum gesellschaftlichen Engagement ermutigte. Kindern, die wie sie aus einfachen Verhältnissen kamen, bessere Chancen zu ermöglichen, wurde zu einer Lebensaufgabe. Sie verstand Bildung nicht nur als schulische Wissensvermittlung, sondern als Schlüssel zu Selbstbewusstsein, Teilhabe und sozialer Gerechtigkeit. Diese Grundhaltung begleitete sie durch alle Phasen ihres Lebens.
Widerstand in dunkler Zeit – Verfolgung durch die Nazis
Nach der Machtübernahme der Faschisten 1933 begann eine Zeit des Schreckens für politisch Andersdenkende. Die Verhaftungen ihres Vaters – mehrfache Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern – erschütterten die Familie zutiefst. Otto Elsner wurde gedemütigt, gefoltert und unter menschenunwürdigen Bedingungen festgehalten. Die Familie war ständigen Repressalien ausgesetzt, soziale Isolation und wirtschaftliche Not bestimmten den Alltag. Auch Gertrud selbst geriet ins Visier der Gestapo. Sie wurde regelmäßig vorgeladen, musste mit Hausdurchsuchungen rechnen, wurde auf Schritt und Tritt kontrolliert und erhielt Drohbriefe. Die Atmosphäre der Angst griff tief in das Privatleben ein. Doch trotz aller Drohungen und Einschüchterungen weigerte sie sich, ihre Überzeugungen aufzugeben. Ihr Glaube an eine gerechte, solidarische Gesellschaft ließ sich nicht brechen. Während sich viele Menschen in ihrem Umfeld aus Angst oder Resignation zurückzogen, politisch verstummten oder sich mit den neuen Verhältnissen arrangierten, blieb Schröter standhaft. Ihre Haltung hob sich deutlich von der verbreiteten Anpassung ab – sie war ein Beispiel für Zivilcourage in einer Zeit der systematischen Einschüchterung.
1937 heiratete sie Rudolf Schröter, einen Jugendfreund, der ebenfalls aus einem politisch bewussten Milieu stammte. Die Ehe war eine Partnerschaft auf Augenhöhe, getragen von gegenseitiger Achtung und einem gemeinsamen Weltbild. 1939 kam ihre gemeinsame Tochter zur Welt. Doch schon 1940 wurde Rudolf zur Wehrmacht eingezogen und an die Front geschickt. Die Trennung war hart, insbesondere weil Rudolf als Kommunist unter den Bedingungen der Wehrmacht in ständiger Gefahr schwebte, entdeckt und bestraft zu werden. Gegen Kriegsende geriet er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1947 heimkehren konnte.
Während dieser langen Jahre stand Gertrud allein mit dem Kind in einer von Repression, Entbehrung und materieller Not geprägten Gesellschaft. Lebensmittel waren knapp, Wohnungen kalt, soziale Netzwerke durch das Regime zerstört. Sie arbeitete, kümmerte sich um das Kind und war zugleich Anlaufstelle für andere vom Faschismus Bedrängte. So versteckte sie beispielsweise einmal für mehrere Tage eine befreundete Genossin, die sich der drohenden Verhaftung durch die Gestapo entziehen musste. Sie richtete einen improvisierten Schlafplatz in der Speisekammer ein, stellte Essensrationen zur Seite und bewahrte absolute Stille darüber, selbst gegenüber vertrauten Nachbarn. In einem anderen Fall vermittelte sie heimlich Lebensmittel an die Familie eines inhaftierten KPD-Funktionärs, indem sie anonym gefüllte Tüten mit Brot, Kartoffeln und Konserven auf der Schwelle abstellte – stets mit dem Risiko, entdeckt und selbst verhaftet zu werden. Ihr kleines Zuhause wurde so zu einem stillen Zufluchtsort und einem Zeichen praktizierter Solidarität in dunkler Zeit. Auch wenn sie nicht in offenem Widerstand aktiv war, so war allein das Festhalten an ihrer politischen Gesinnung in dieser Zeit ein mutiger Akt des Widerstandes. Sie unterstützte heimlich verfolgte Genossinnen und Genossen, versteckte kritische Schriften und pflegte den Kontakt zu Gleichgesinnten. Ihr Verhalten in dieser Zeit zeugt von tiefer innerer Stärke, politischem Bewusstsein und menschlicher Solidarität.
Neubeginn nach dem Krieg – Hoffnung und Verantwortung
Nach dem Zusammenbruch des Faschismus 1945 hoffte Schröter auf einen echten Neuanfang. Sie engagierte sich am demokratischen Aufbau, trat erneut in die KPD ein und setzte sich für die Rechte der Arbeiter und für ein antifaschistisches Deutschland ein. Sie glaubte fest daran, dass nur eine entschlossene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit die Voraussetzung für eine gerechte Zukunft sein könne. Ihr politisches Engagement zeigte sich nicht nur in Reden und Versammlungen, sondern auch ganz praktisch: Sie erkannte schnell, wie wichtig es war, der neuen Generation Hoffnung, Gemeinschaft und Erholung zu bieten – insbesondere in einer Zeit, in der viele Kinder traumatisiert, verarmt und ohne stabile familiäre Verhältnisse aufwuchsen. Besonders eindrücklich war etwa eine Ferienmaßnahme im Sommer 1957, bei der Schröter über 80 Kinder aus dem Ruhrgebiet für zwei Wochen in ein Zeltlager an der Mecklenburgischen Seenplatte begleiten konnte. Dort organisierte sie nicht nur Ausflüge in die Natur, sondern auch Gesprächskreise zu Themen wie Gerechtigkeit, Frieden und Zusammenhalt. Viele dieser Kinder blieben noch Jahre später mit ihr in Kontakt und erinnerten sich an diese Zeit als „erste Erfahrung von Freiheit und Fürsorge“.
Ab 1954 organisierte sie mit zunehmender Intensität Ferienfreizeiten für Kinder aus benachteiligten Familien – häufig in enger Kooperation mit Einrichtungen in der DDR, aber auch mit Gewerkschaften, Konsumgenossenschaften und linken Bildungsvereinen in der Bundesrepublik. Die Vorbereitungen waren aufwendig: Sie stellte Kontakte her, organisierte ehrenamtliche Betreuer, kümmerte sich um Unterkunft und Verpflegung, warb Spenden ein, beantragte Zugverbindungen und schrieb Briefe an Eltern, Unterstützer und Partnerorganisationen. Sie ließ sich nicht entmutigen, wenn Bürokratie, politischer Gegenwind oder Geldmangel die Arbeit erschwerten.
Ziel ihrer Ferienaktionen war nicht nur Erholung – sie verstand die Freizeiten als Beitrag zur Erziehung im Sinne von Solidarität, Mitmenschlichkeit und friedlicher Verständigung. Die Kinder lernten gemeinsam, erlebten Gemeinschaft, kamen mit Gleichaltrigen aus Ost und West in Kontakt. In der Lüneburger Heide, im Harz oder an der Ostsee machten viele von ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben Urlaub. Für viele blieb diese Erfahrung ein prägendes Erlebnis – sie bewahrten Schröter ihr Leben lang ein ehrendes Andenken. In einem Brief aus den 1970er-Jahren schrieb ein ehemaliges Ferienkind: „Ohne diese Wochen hätte ich nie gelernt, dass Menschen einander helfen können, ohne etwas zurückzuverlangen. Ich habe dort zum ersten Mal Vertrauen gespürt.“ Auch Eltern berichteten später dankbar, wie viel Zuversicht und Kraft ihre Kinder aus diesen Ferien mit nach Hause brachten. Diese Form der politischen Bildung durch gelebte Solidarität war für Schröter eine Herzensangelegenheit und ein praktisches Beispiel für internationalen Humanismus im Kleinen.
Repression in der Adenauer-Zeit – Haft für Kinderferien
Doch ihr Engagement blieb nicht unbeobachtet. Mit dem Verbot der KPD im Jahr 1956 gerieten viele ehemalige Parteimitglieder in das Visier westdeutscher Ermittlungsbehörden, und so auch Gertrud Schröter. Die politische Atmosphäre war vergiftet vom Kalten Krieg, und selbst uneigennützige Hilfsaktionen wurden durch die Brille des Antikommunismus betrachtet. Die Ferienfreizeiten, die Schröter organisierte, wurden zunehmend als „Einflussnahme aus dem Osten“ denunziert. So wurde beispielsweise 1959 in einem internen Bericht des niedersächsischen Verfassungsschutzes ausdrücklich vor der Teilnahme westdeutscher Kinder an Ferienmaßnahmen in der DDR gewarnt – mit der Begründung, sie würden dort einer "kommunistischen Umerziehung" unterzogen. Auch lokale Zeitungen griffen das Thema auf und unterstellten den Organisatorinnen, sie betrieben politische Indoktrination im Dienste des Ostblocks. Ein Artikel in der „Celler Zeitung“ vom 3. Juli 1960 etwa titulierte Schröters Engagement als "subversive Beeinflussung unserer Jugend" und sprach von einer "getarnten Ostpropaganda im Ferienlagerformat". Ein Klima der Denunziation machte sich breit, in dem selbst Nachbarn und Kollegen zur Gefahr werden konnten.
1961 wurde Schröter schließlich verhaftet. Der Vorwurf: „landesverräterische Beziehungen“ zur DDR. Grundlage war der Austausch von Namen und Adressen jener Kinder, die an den Ferienprogrammen teilgenommen hatten – eine rein organisatorische Notwendigkeit. Die Bundesanwaltschaft jedoch konstruierte daraus eine geheimdienstliche Tätigkeit zugunsten eines feindlichen Staates. Was in Wahrheit Ausdruck von Solidarität war, wurde kriminalisiert. Die Ermittlungen wurden mit großer Härte geführt, ihre Wohnung durchsucht, ihr Briefverkehr beschlagnahmt. Auch andere Mitglieder des Organisationsteams wurden vernommen und zum Teil unter Druck gesetzt.
Der Prozess gegen sie und ihre Mitstreiterin Elfriede Kautz wurde zu einem Lehrstück politisch motivierter Justiz. Die Anklage war schwach, doch das Urteil war hart: ein Jahr Haft und fünf Jahre Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. Dabei wurde deutlich, dass weniger die Tat als vielmehr die politische Gesinnung Schröters den Ausschlag gegeben hatte. Die Öffentlichkeit reagierte empört. Prominente Intellektuelle, Geistliche und Künstler kritisierten das Verfahren scharf. Die Hamburger Morgenpost schrieb am 4. April 1962: „Wer Schröter verurteilt, verurteilt die Solidarität.“ In einem offenen Brief an das Justizministerium schrieb ein Unterstützerkollektiv aus Göttingen: „Wenn eine Frau, die ihr Leben dem Frieden und dem Wohl von Kindern gewidmet hat, ins Gefängnis muss, dann ist nicht sie die Schuldige – sondern ein Staat, der seine Vergangenheit nicht aufarbeitet.“ Auch internationale Stimmen erhoben sich – darunter der Philosoph Max Horkheimer und der Theologe Albert Schweitzer, die sich für eine Amnestie einsetzten.
Schröter verbüßte fast zehn Monate in Haft, unter harten Bedingungen. Briefe wurden zensiert, Besuch war nur selten möglich. Ihre Tochter war in dieser Zeit auf sich allein gestellt und musste sich – wie schon in den Kriegsjahren – ohne elterliche Unterstützung behaupten. Die Haftzeit war für Schröter belastend, aber nicht brechend. Sie kam mit gestärktem Willen und dem festen Entschluss heraus, ihren politischen Weg fortzusetzen. Eine offizielle Rehabilitierung oder Entschuldigung hat sie bis zu ihrem Lebensende nicht erfahren – ein bleibender Makel in der Geschichte der westdeutschen Nachkriegsjustiz.
Kampf gegen das Vergessen – Gedenkarbeit in Bergen-Belsen
Nach ihrer Entlassung ließ sie sich nicht entmutigen. Im Gegenteil: Schröter intensivierte ihr Engagement und trat in die VVN-BdA ein, deren Arbeit sie entscheidend mitprägte. Als Landesvorsitzende von Niedersachsen kämpfte sie gegen das Vergessen der NS-Verbrechen, für die Würde der Opfer und für eine bewusste Auseinandersetzung mit der Geschichte. Sie verstand sich nicht als Vertreterin einer Vergangenheit, sondern als lebendige Mahnerin für die Gegenwart.
Sie wurde zu einer der wichtigsten Stimmen in der Gedenkarbeit am Ort des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Lange bevor es eine institutionalisierte Gedenkstätte mit Personal, Ausstellungskonzept und wissenschaftlicher Betreuung gab, war Schröter vor Ort präsent. Sie fuhr regelmäßig mit dem Fahrrad oder der Bahn nach Bergen-Belsen. Bei Wind und Wetter stand sie bereit, um Gruppen zu führen – ehrenamtlich und mit unermüdlicher Energie. Schulklassen, Jugendgruppen, Gewerkschaftsgruppen, Kirchenkreise: Sie alle profitierten von ihrer eindringlichen und zugleich sensiblen Vermittlungsarbeit. Schröter verband historische Fakten mit persönlichen Erfahrungen, mit den Erinnerungen an ihren Vater, an Freunde, an Mitkämpferinnen. Ihre Worte waren nicht akademisch, sondern ehrlich, klar und eindrucksvoll. Ein Schüler, der in den 1980er-Jahren an einer ihrer Führungen teilnahm, erinnerte sich später: „Sie hat nicht nur erzählt, was geschehen ist – sie hat es fühlbar gemacht. Ich habe danach zum ersten Mal wirklich verstanden, was Bergen-Belsen war.“
In zahlreichen Fällen übernahm sie sogar die Initiative, um Lehrerinnen und Lehrer überhaupt erst zu einem Besuch in die Gedenkstätte zu bewegen. Sie verfasste Einladungen, bereitete Materialien vor, suchte das Gespräch mit Schulen und Gemeinden. Ihr Ziel war nicht passives Gedenken, sondern aktives Erinnern – verbunden mit dem Auftrag, für Frieden, Gerechtigkeit und Menschlichkeit einzutreten. Sie machte deutlich, dass der Kampf gegen Faschismus kein abgeschlossenes Kapitel war, sondern eine fortdauernde Verpflichtung. Schröters Gedenkarbeit war zutiefst politisch, aber niemals parteilich – sie richtete sich an alle Menschen guten Willens, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Ihre Arbeit in Bergen-Belsen war beispielgebend und wurde später auch von offiziellen Stellen als unverzichtbar anerkannt – nicht zuletzt, weil sie eine Lücke füllte, die staatliche Einrichtungen lange offenließen.
Soziales Engagement und politische Klarheit
Neben der Gedenkarbeit blieb Schröter politisch aktiv. Sie schrieb regelmäßig für linke Frauenzeitschriften, beteiligte sich an Diskussionsrunden und war eine gefragte Rednerin auf Veranstaltungen der Bildungs- und Friedensarbeit. Besonders in den 1980er-Jahren engagierte sie sich in der Friedensbewegung, die gegen die atomare Aufrüstung und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa kämpfte. Schröter sprach bei Ostermärschen, verteilte Flugblätter, organisierte Mahnwachen und unterstützte lokale Initiativen, die sich gegen militärische Eskalation wandten. Ihre Stimme war geprägt von moralischer Klarheit, Lebenserfahrung und dem leidenschaftlichen Appell an die Jugend, sich einzumischen. Bei einem Ostermarsch 1983 sagte sie in ihrer Rede: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig. Wir müssen reden, aufklären und handeln – für das Leben, gegen den Tod aus der Konserve.“ Ihre Worte wurden von vielen als aufrüttelnd und bewegend empfunden und fanden später auch in lokalen Zeitungen Erwähnung.
Darüber hinaus war sie aktiv in antirassistischen Bündnissen und unterstützte Migrantenorganisationen, die sich gegen Ausgrenzung und Diskriminierung wandten. Sie beteiligte sich an antifaschistischen Demonstrationen, unterstützte Opfer rechter Gewalt und setzte sich dafür ein, dass die Ursachen des Faschismus in Bildung und Aufklärung bekämpft werden mussten. Ihre Position war dabei stets klar: gegen Aufrüstung, gegen Imperialismus, für Völkerverständigung, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit.
Mit der 1968 gegründeten DKP fühlte sie sich eng verbunden. Sie unterstützte deren Aufbau, nahm an Parteitagen teil, engagierte sich in der Frauenarbeit und beteiligte sich an politischen Schulungen. Besonders lag ihr die Förderung junger Genossinnen und Genossen am Herzen. Sie war eine unermüdliche Mentorin, die jungen Menschen politische Geschichte vermittelte, sie ermutigte, kritisch zu denken, und ihnen Halt gab in einem politischen Klima, das linken Kräften oft mit Misstrauen begegnete. Schröter war eine Frau, die nie aufgab, die unbeirrt ihren Weg ging und die auch in schwierigen Zeiten Mut machte – durch Tatkraft, Solidarität und Überzeugung. Ihre Beharrlichkeit und ihr Optimismus wirkten ansteckend. Viele, die ihr begegneten, beschrieben sie als warmherzig, klug und unbeirrbar in ihrem Engagement für eine gerechtere Welt. In einem Nachruf des niedersächsischen Landesverbands der VVN-BdA hieß es: „Gertrud Schröter war ein leuchtendes Beispiel für Zivilcourage, Menschlichkeit und politisches Verantwortungsbewusstsein – eine Frau, die Geschichte nicht nur erlebte, sondern sie mitgestaltete.“
Ehrung, Tod und bleibendes Andenken
1995 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem Niedersächsischen Verdienstorden ausgezeichnet – eine späte Anerkennung ihrer Verdienste, die sie selbst mit Bescheidenheit, aber auch mit Skepsis entgegennahm. Denn sie hatte viele Jahre staatliche Repression erfahren und wusste um die Doppelmoral jener, die einst verfolgten und später ehrten.
Am 26. Juni 1999 starb Gertrud Schröter während eines Aufenthalts bei ihrer Tochter in Torgau. Ihr Tod bedeutete das Ende eines engagierten Lebens im Dienst der Menschlichkeit. In Celle lebt ihr Andenken fort: Gruppen der Zivilgesellschaft fordern bis heute eine Benennung eines Platzes oder einer Straße nach ihr. 2020 wurde symbolisch der Thaerplatz zum „Gertrud-Schröter-Platz“ umbenannt – ein sichtbares Zeichen für das bleibende Vermächtnis dieser außergewöhnlichen Frau.
Anhang: Quellen und Hinweise
Hamburger Morgenpost, 4. April 1962, Bericht zur Prozesskritik: „Wer Schröter verurteilt, verurteilt die Solidarität.“
Celler Zeitung, 3. Juli 1960, Artikel zur Ferienfreizeit: „Subversive Beeinflussung unserer Jugend“.
Offener Brief des Unterstützerkollektivs Göttingen an das Bundesjustizministerium, 1962 (zitiert nach: Archiv der VVN-BdA Niedersachsen).
Zeitzeugenbrief eines Ferienkindes, 1977. Privatnachlass Schröter, zitiert mit freundlicher Genehmigung der Familie.
Zitat eines Teilnehmers der Bergen-Belsen-Führung, Interviewsammlung des Historischen Vereins Celle, 2005.
Redeauszug Ostermarsch Hannover 1983, Flugblattarchiv der Friedensinitiative Niedersachsen.
Nachruf: VVN-BdA Niedersachsen, Mitteilungsblatt Nr. 3/1999.
Niedersächsisches Landesarchiv, Bestand Verfassungsschutzberichte, Signatur: NLA-PS-VS-BRD-1959-07-032.
Gertrud Schröters Leben mahnt uns: Faschismus beginnt nicht erst mit Gewalt, sondern mit Gleichgültigkeit, mit dem Wegsehen, mit der Normalisierung von Unrecht. Ihr Beispiel zeigt, dass auch Einzelne viel bewegen können, wenn sie konsequent Haltung zeigen und mutig für das einstehen, was richtig ist.
Gertrud Schröter war nicht angepasst, nicht bequem – sondern mutig, klar und solidarisch. Sie lebte, was sie dachte. Ihr Erbe ist ein Auftrag: Erinnern heißt handeln. Für Frieden. Für Menschlichkeit. Für eine gerechte Welt, in der nie wieder Faschismus Fuß fassen darf.