Rosa Luxemburg gegen Schutzzölle
Eine kämpferische Analyse gegen wirtschaftliche Abschottung
Eine kämpferische Analyse gegen wirtschaftliche Abschottung
Im Jahr 1913 legte Rosa Luxemburg mit ihrem Werk Die Anhäufung des Kapitals eine tiefgreifende Untersuchung der weltweiten Wirtschaft vor. Darin setzte sie sich nicht nur mit den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise auseinander, sondern wandte sich auch ausdrücklich gegen die damals vorherrschende Politik der Schutzzölle. Ihre Argumentation geht weit über eine einfache Kritik wirtschaftlicher Maßnahmen hinaus. Sie zeigt auf, dass Schutzzölle nicht nur kurzfristige Reaktionen auf Handelskonflikte sind, sondern Ausdruck einer geschichtlichen Entwicklung, die den Kapitalismus an seine Grenzen bringt. Luxemburgs Untersuchung ist bestimmt von einer klaren Haltung: Sie nimmt die Perspektive der arbeitenden Bevölkerung ein und kritisiert die Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse im Kapitalismus. Ein Beispiel für diese Haltung findet sich in ihrer deutlichen Parteinahme. So kritisierte sie scharf die deutsche Kolonialpolitik in Afrika, die sie als brutalen Ausdruck kapitalistischer Expansion geißelte. Ebenso unterstützte sie solidarisch den polnischen Arbeiteraufstand von 1905, den sie als mutigen Widerstand gegen imperialistische Unterdrückung würdigte., etwa in ihrer scharfen Kritik an der deutschen Kolonialpolitik in Afrika, die sie als brutalen Ausdruck kapitalistischer Expansion geißelte, oder in ihrer solidarischen Unterstützung des polnischen Arbeiteraufstands von 1905, den sie als mutigen Widerstand gegen imperialistische Unterdrückung würdigte für die von imperialistischer Unterdrückung betroffenen Völker und für die Interessen der Lohnabhängigen gegenüber dem Kapital.
Zwang zum Wachstum und weltweite Ausbreitung
Luxemburg zeigt, dass die kapitalistische Anhäufung von Kapital auf ständiges Wachstum angewiesen ist. Da die inneren Märkte begrenzt sind und die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung künstlich niedrig gehalten wird, sucht das Kapital ständig neue Absatzmärkte in nicht kapitalistischen Gebieten. Diese Expansion dient nicht nur der Verwertung von überschüssigem Kapital, sondern auch der Sicherung politischer und militärischer Einflusszonen, die wiederum den Zugang zu Rohstoffen und Arbeitskräften gewährleisten sollen. Die Ausbreitung in solche Regionen ist daher keine Nebensache, sondern eine Grundbedingung für das Weiterbestehen des kapitalistischen Systems.
Dabei greift das Kapital auf unterschiedliche Mittel zurück – von wirtschaftlichem Druck über Handelsverträge bis hin zu kolonialer Eroberung und militärischer Gewalt. In den Augen Luxemburgs zeigt sich hier ein systemischer Zwang zur Expansion, der alle kapitalistischen Staaten erfasst, unabhängig von deren politischer Ausrichtung. Der Imperialismus, wie er sich seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelt, ist für Luxemburg keine freie Entscheidung von Regierungen, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus dem inneren Widerspruch zwischen der Produktionsweise des Kapitalismus und seiner beschränkten Verwertungsbedingungen. Je weiter das System fortschreitet, desto stärker wird der Druck, sich neue Märkte und Ressourcen zu sichern – oft unter Missachtung von Souveränität, Menschenrechten und Völkerrecht.
Fortschritt und Zerstörung – ein unlösbarer Widerspruch
Diese Notwendigkeit bringt jedoch einen tiefen Widerspruch mit sich: Je erfolgreicher das Kapital neue Gebiete unterwirft und sie in die Warenproduktion einbezieht, desto schneller zerstört es die Grundlage seiner eigenen Ausbreitung. Die Integration vormals selbstständiger Wirtschaftsformen in den kapitalistischen Weltmarkt bedeutet nicht nur die Vernichtung lokaler Produktions- und Lebensweisen, sondern auch das Versiegen jener außerkapitalistischen Märkte, auf die die Akkumulation angewiesen ist. Dieser Prozess ist nicht nur ökonomisch widersprüchlich, sondern auch politisch und sozial zerstörerisch.
Mit der Ausweitung des kapitalistischen Systems wird der Raum für neue Expansion immer kleiner, und die Kämpfe um die verbleibenden Einflusszonen verschärfen sich. Luxemburg beschreibt diesen Prozess als eine Art Selbstzerstörung des Kapitals, die in eine Zeit von Krisen, Kriegen und sozialen Umbrüchen führen muss. Diese Umbrüche betreffen nicht nur die peripheren Regionen der Welt, sondern kehren zunehmend auch in die Zentren des Systems zurück – in Form von Finanzkrisen, sozialer Polarisierung und politischer Radikalisierung.
Der Imperialismus erscheint ihr als letztes Mittel, um das System zu verlängern – und doch gräbt er ihm damit das Wasser ab. Er stabilisiert das System scheinbar nach außen, während er es innerlich weiter destabilisiert. In dieser Dynamik erkennt Luxemburg den Vorboten tiefgreifender gesellschaftlicher Umwälzungen, die letztlich nur durch einen grundsätzlichen Wechsel der Eigentums- und Produktionsverhältnisse überwunden werden können.
Die Lehre vom freien Handel und die Wirklichkeit der Gewalt
Ein zentraler Punkt ihrer Kritik ist die Idee des freien Handels. Dieser wurde im 19. Jahrhundert von Großbritannien und anderen führenden Industrienationen als angeblich fortschrittliche Politik dargestellt. Unter dem Vorwand wirtschaftlicher Freiheit und gegenseitigem Nutzen wurde ein System aufgebaut, das den ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen sichern sollte. Luxemburg zeigt, dass der freie Handel in Wirklichkeit ein Werkzeug war, um die Vormachtstellung der reichen Länder zu festigen.
Dabei stellt sie heraus, dass der freie Handel vor allem in den Phasen propagiert wurde, in denen das führende Land – damals Großbritannien – einen technologischen und ökonomischen Vorsprung gegenüber anderen Ländern hatte. Die „Freiheit“ des Handels bedeutete, dass schwächere Länder ihre Märkte für Waren öffnen mussten, die sie selbst nicht konkurrenzfähig herstellen konnten. Zugleich wurden ihnen aber eigene Schutzmaßnahmen verweigert. Diese Einseitigkeit des Systems führte nicht zu einer Angleichung der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern zu einer weiteren Vertiefung der Unterschiede zwischen Zentrum und Peripherie.
Luxemburg betont außerdem, dass hinter dem Ideal des freien Handels stets militärische Drohkulissen und diplomatischer Druck standen. Der sogenannte „Freihandel“ war in Wahrheit eine Methode der Kontrolle und Unterwerfung. Nicht selten wurden Handelsverträge mit Waffengewalt durchgesetzt, während die betroffenen Länder in Abhängigkeit gerieten. Der freie Handel diente also nicht dem allgemeinen Wohlstand, sondern der Erweiterung des Einflusses und der Profite der führenden kapitalistischen Staaten. Luxemburgs Kritik trifft damit nicht nur die ökonomische Wirkungsweise, sondern auch die politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser scheinbar neutralen Handelsform.
Die Opiumkriege als Beispiel wirtschaftlicher Machtausübung
Besonders deutlich wird das an den sogenannten „Freihandelskriegen“, etwa den Opiumkriegen gegen China, in denen Großbritannien mit Waffengewalt seine Exportinteressen durchsetzte. Diese Kriege zeigten, dass die Öffnung fremder Märkte keineswegs auf freiwilliger Basis geschah, sondern oft durch militärische Übermacht erzwungen wurde. Die betroffenen Länder wurden in Abhängigkeitsverhältnisse gedrängt, ihre politischen Systeme geschwächt und ihre Wirtschaft den Interessen des britischen Kapitals unterworfen.
Die Vorstellung einer friedlichen Weltwirtschaft erweist sich bei genauerem Hinsehen als Täuschung. Hinter der Ideologie des Freihandels verbarg sich ein System der Unterdrückung und Enteignung, das in vielen Regionen der Welt zu verheerenden Folgen führte. Die „Freiheit“ des Handels bedeutete in Wirklichkeit die Freiheit des Stärkeren, seine Bedingungen durchzusetzen – ohne Rücksicht auf die sozialen und kulturellen Strukturen der betroffenen Gesellschaften.
Auch die angebliche Verbilligung von Lebensmitteln durch den freien Handel kam nicht der arbeitenden Bevölkerung zugute, sondern diente dazu, die Löhne zu senken und die Profite der Unternehmer zu erhöhen. Der Konsum wurde auf ein Minimum rationalisiert, während die Produktionssteigerung vor allem der Kapitalverwertung diente. Luxemburg entlarvt den freien Handel somit als ideologische Tarnung wirtschaftlicher Ausbeutung und zeigt auf, dass hinter der Fassade wirtschaftlicher Modernisierung oftmals nackte Gewalt und systematische Entrechtung standen. Diese Analyse macht deutlich, dass der sogenannte Freihandel nicht nur ökonomisch einseitig, sondern auch politisch repressiv war.
Schutzzölle als Zeichen wirtschaftlicher Krise
Mit dem Übergang ins Zeitalter des Imperialismus änderten sich die Kräfteverhältnisse grundlegend. Neue Staaten wie Deutschland, Japan und die USA traten auf den Plan und forderten die Vormachtstellung der alten Kolonialmächte heraus. Diese neuen Akteure verfügten zunehmend über industrielle Kapazitäten, militärische Machtmittel und koloniale Interessen. So betrieb etwa das Deutsche Reich seit den 1880er Jahren eine expansive Kolonialpolitik, die sich nicht nur auf Afrika beschränkte, sondern auch auf wirtschaftlichen Einfluss in Asien abzielte. Gleichzeitig baute es seine Rüstungsindustrie massiv aus und strebte nach einer „Weltmachtstellung“, was sich auch in der aggressiven Flottenpolitik unter Wilhelm II. ausdrückte. Diese Beispiele zeigen, wie eng wirtschaftlicher Aufstieg, militärische Stärke und außenpolitischer Anspruch miteinander verflochten waren. Infolgedessen nahm der globale Konkurrenzdruck rapide zu.
Diese wachsende Konkurrenz führte dazu, dass immer mehr Länder versuchten, sich mit Schutzzöllen abzusichern. Die wirtschaftliche Liberalisierung wich einem neuen Protektionismus, bei dem jedes Land versuchte, seine Industrie durch staatliche Eingriffe vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Zugleich entstanden zunehmend Wirtschaftsblöcke, innerhalb derer sich der Warenaustausch leichter gestaltete, während außenpolitische Spannungen durch Zollpolitik verschärft wurden.
Luxemburg versteht diese Entwicklung nicht als Rückschritt zum Nationalismus im klassischen Sinne, sondern als ein deutliches Anzeichen der Krise des kapitalistischen Systems. Der Kapitalismus, so ihre Analyse, gerät in seiner imperialistischen Phase in einen Zustand permanenter Rivalität zwischen den Staaten. An die Stelle des freien Welthandels tritt ein System wechselseitiger Blockaden, das nicht der ökonomischen Entwicklung dient, sondern dem Kampf um geopolitische Vorherrschaft. Für Luxemburg sind die Schutzzölle ein Symptom dafür, dass das System an seine inneren und äußeren Grenzen stößt – eine Phase, die sie als Ausdruck wachsender Instabilität und sich verschärfender Widersprüche beschreibt.
Technischer Fortschritt – wirtschaftlicher Rückschritt
Schutzzölle, so argumentiert sie, widersprechen der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Sie behindern die freie Entfaltung der Produktionskräfte und erhalten rückständige Industrien künstlich am Leben. In einem System, das sich angeblich durch Leistung und Konkurrenz auszeichnet, führen sie zu künstlicher Marktverzerrung. Diese Eingriffe untergraben nicht nur die internationale Arbeitsteilung, sondern fördern auch ineffiziente Produktionsstrukturen, die auf Dauer nicht wettbewerbsfähig sind. Die Folge ist eine Ressourcenverschwendung, die im Widerspruch zu den Anforderungen einer modernen, global vernetzten Ökonomie steht.
Dennoch greifen die Staaten darauf zurück, weil der Kampf um Märkte und Gewinne in einer überfüllten Weltwirtschaft immer schärfer wird. Der Protektionismus wird dabei zu einem kurzfristigen Mittel. Ein Beispiel dafür sind die von den USA unter Präsident Trump eingeführten Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte im Jahr 2018, die unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit verhängt wurden. Sie hatten erhebliche Gegenreaktionen aus anderen Ländern zur Folge die unter dem Vorwand der nationalen Sicherheit verhängt wurden und erhebliche Gegenreaktionen aus anderen Ländern nach sich zogen, um innenpolitische Spannungen zu beruhigen, etwa durch den vermeintlichen Schutz von Arbeitsplätzen oder Schlüsselindustrien. Doch dieser Schutz ist meist nicht von Dauer – oft folgt auf eine Phase erhöhter Zölle eine Phase der wirtschaftlichen Stagnation oder sogar des Niedergangs.
Der Widerspruch zwischen der weltweiten Verflechtung des Kapitals und der politischen Aufspaltung in Nationalstaaten tritt dabei offen zutage. Während die Produktions- und Absatzstrukturen längst global organisiert sind, verharren die politischen Entscheidungsträger in nationalstaatlichem Denken. Dieser Gegensatz verschärft nicht nur ökonomische Konflikte, sondern auch politische Spannungen, die sich in Handelskriegen, nationalistischen Bewegungen und geopolitischer Unsicherheit niederschlagen. Luxemburgs Analyse zeigt, dass dieser Widerspruch kein vorübergehendes Phänomen ist, sondern ein Grundproblem der heutigen Weltwirtschaft darstellt.
Weltweite Abhängigkeit und symbolische Mauern
Zugleich wird deutlich, wie sehr die kapitalistischen Länder trotz aller Abschottung voneinander abhängen. Kein Staat kann heute seine Wirtschaft vollständig allein betreiben. Die weltweite Arbeitsteilung ist so weit fortgeschritten, dass Schutzzölle oft nur noch symbolische Wirkung haben. Produktionsketten sind über Kontinente hinweg verzahnt, Vorprodukte und Rohstoffe stammen häufig aus dutzenden Ländern. Schon kleinste Störungen, sei es durch Naturkatastrophen, geopolitische Konflikte oder technologische Engpässe, haben weitreichende Folgen für ganze Branchen.
Sie sollen angeblich nationale Interessen schützen, sind aber in Wahrheit Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts einer zunehmend instabilen Weltwirtschaft. Die Globalisierung lässt sich nicht einfach durch Zölle oder Grenzen aufhalten, ohne dass es zu inneren Verwerfungen kommt. Staaten, die sich protektionistisch abschotten, geraten schnell ins Hintertreffen, weil sie den Zugang zu Innovation, Wissen und Märkten einschränken. Der Versuch, durch Zölle politische Kontrolle zurückzugewinnen, endet oft in wirtschaftlicher Schwächung.
Ein Beispiel dafür ist die weltweite Chip-Herstellung: Wenn es in Taiwan oder Südkorea zu Ausfällen kommt, stehen Fabriken rund um den Globus still. Ganze Industrien – von der Auto- bis zur Medizintechnik – sind auf hochspezialisierte Zulieferer angewiesen. Auch der Brexit, mit all seinen negativen Auswirkungen auf Handel, Verkehr und Produktion, und die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China zeigen, wie eng verflochten die globalen Märkte heute sind. Diese Beispiele unterstreichen Luxemburgs These: Der Kapitalismus kann seine internationale Struktur nicht mit nationaler Wirtschaftspolitik retten – der Widerspruch zwischen Globalität und Staatlichkeit verschärft sich und verweist auf die Notwendigkeit einer grundlegend neuen Ordnung.
Wem nützt das heute?
Auch heute erleben wir eine Wiederkehr protektionistischer Maßnahmen. Große Länder wie die USA oder die Europäische Union greifen vermehrt zu Zöllen, Importverboten und anderen Handelshindernissen, um ihre Märkte gegen vermeintlich unfaire Konkurrenz zu schützen. Solche Maßnahmen werden mit dem Schutz von Arbeitsplätzen und nationaler Sicherheit begründet. In Wirklichkeit dienen sie jedoch vor allem den Interessen großer Konzerne, die ihre Marktanteile sichern oder ausbauen wollen.
Diese Entwicklung wird von zahlreichen Wirtschaftsinstituten kritisch gesehen. Sie warnen davor, dass durch die Rückkehr zum Protektionismus internationale Handelsbeziehungen weiter destabilisiert werden könnten. Gerade in Zeiten globaler Herausforderungen wie Klimawandel, Energiekrisen und weltweiter Armut ist internationale Zusammenarbeit unabdingbar. Protektionistische Maßnahmen wirken diesen Bestrebungen entgegen und führen zu einem neuen Wettlauf um wirtschaftliche Einflusssphären.
Darüber hinaus verschärfen solche Maßnahmen das Machtgefälle zwischen Zentrum und Peripherie. Reiche Länder setzen Zölle und Auflagen durch, die ärmere Länder aus den Märkten drängen oder zur Abhängigkeit zwingen. Anstelle von Entwicklung und Ausgleich werden Ungleichheiten vertieft. Rosa Luxemburgs Analyse trifft auch hier zu: Was unter dem Vorwand nationaler Interessen betrieben wird, ist in Wirklichkeit Ausdruck der Herrschaft wirtschaftlicher Macht über demokratische und soziale Belange. Der Protektionismus von heute steht damit in direkter Kontinuität zur imperialistischen Logik von gestern.
Die Rechnung zahlt die Bevölkerung
Der Schutz durch Zölle dient der Verteidigung von Großunternehmen und der Erhaltung von Gewinnen in stagnierenden Märkten. Die arbeitenden Menschen profitieren davon kaum. Im Gegenteil: Sie zahlen den Preis – durch teurere Waren, durch Handelsstreitigkeiten und durch den Abbau internationaler Zusammenarbeit. Wie Luxemburg schon sagte: Diese Politik ist keine Lösung, sondern verschärft die Ungleichheiten und dient letztlich nur den Herrschenden – damals wie heute. Gleichzeitig ersetzt oder überlagert diese Politik oft echte soziale Absicherungsmaßnahmen. Statt gerechter Umverteilung und öffentlichen Investitionen wird auf nationale Abschottung gesetzt.
Zwei Wege – ein Ziel
Für Luxemburg sind freier Handel und Schutzzölle keine Gegensätze. Beide verfolgen das gleiche Ziel: die Durchsetzung kapitalistischer Interessen auf Weltebene. Der Unterschied liegt nur in der Methode und dem jeweiligen geschichtlichen Moment. Der freie Handel ermöglichte einst dem britischen Weltreich seine Expansion. Später wurden Schutzzölle zum Mittel für aufstrebende Mächte, um den Rückstand gegenüber den führenden Industriestaaten aufzuholen.
Dabei sind beide Instrumente Teil derselben imperialistischen Logik: Während der freie Handel dazu dient, neue Märkte zu erschließen und Konkurrenz auszuschalten, zielen Schutzzölle darauf ab, bereits gewonnene Positionen abzusichern und andere aus dem Markt zu drängen. Luxemburg erkennt darin keine grundsätzliche Differenz, sondern eine strategische Anpassung an die jeweilige Lage des Kapitals. Beide Methoden zeigen, dass es nicht um fairen Austausch geht, sondern um Herrschaft, Kontrolle und ungleiche Entwicklung.
Diese Erkenntnis ist auch für die Gegenwart bedeutsam: Viele Staaten wechseln je nach politischer und wirtschaftlicher Lage zwischen diesen beiden Strategien. In wirtschaftlich starken Phasen setzen sie auf offene Märkte und propagieren Wettbewerb. Gerät ihre Position unter Druck, kehren sie zu protektionistischen Maßnahmen zurück. Luxemburgs Analyse offenbart somit die Doppelzüngigkeit einer Ordnung, die sich als liberal und gerecht ausgibt, in Wahrheit aber auf Ausbeutung und Machtungleichgewicht beruht.
Strategie der Macht und wirtschaftliche Wirklichkeit
Der Imperialismus nutzt je nach Lage beide Wege. Wo wirtschaftlicher Einfluss ohne Gewalt durchsetzbar ist, wird freier Handel bevorzugt. Wo das nicht reicht, kommen Zölle, Handelssperren oder sogar militärische Gewalt zum Einsatz. Diese flexible Anpassungsfähigkeit zeigt die taktische Natur des Imperialismus: Er richtet sich nicht nach moralischen Prinzipien oder langfristiger Stabilität, sondern ausschließlich nach dem Nutzen für die herrschenden ökonomischen Interessen.
Luxemburg zeigt: Beide Varianten sind keine Abweichung, sondern Teil des kapitalistischen Normalzustands – in jeweils anderer Form. Während der Freihandel als „sanfte“ Form imperialistischer Expansion gilt, stellt der Einsatz harter Maßnahmen – bis hin zur militärischen Intervention – nur eine andere Seite derselben Medaille dar. Der Unterschied liegt nicht im Ziel, sondern in der Wahl des Mittels. In beiden Fällen geht es darum, wirtschaftliche Kontrolle zu sichern, Rohstoffe zu erschließen, Absatzmärkte zu dominieren und politischen Einfluss auszuweiten.
Luxemburgs Analyse verweist damit auf einen grundlegenden Zusammenhang: Der Imperialismus ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel der kapitalistischen Weltordnung. Er zeigt sich nicht nur in spektakulären Kriegen oder internationalen Krisen, sondern auch in scheinbar normalen Handelsverträgen, Entwicklungshilfeprogrammen und Finanzstrukturen. Der Wechsel zwischen Freihandel und Zwangsmaßnahmen ist dabei kein Zeichen von Widersprüchlichkeit, sondern von strategischer Konsequenz innerhalb eines Systems, das Expansion und Ungleichheit produziert.
Spannungen durch Konkurrenz um die Welt
Das Ergebnis ist eine wachsende Zersplitterung der Welt in Einflusszonen, Wirtschaftsblöcke und Machtgruppen. Diese Entwicklung erzeugt Spannungen, die sich nicht durch Gespräche oder Zusammenarbeit ausgleichen lassen. Die Ursache liegt tiefer: im Drang des Kapitals zur ständigen Ausweitung, der in einer begrenzten Welt auf immer härtere Widerstände stößt. Schutzzölle verschärfen diesen Widerspruch nur und treiben die Eskalation voran. Die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs, Sanktionen und Lieferkettenkrisen zeigen, wie eng die globale Wirtschaft mit geopolitischen Konflikten verflochten ist.
Die Sackgasse der Abschottung
Rosa Luxemburgs Kritik an Schutzzöllen gehört zu ihrer grundsätzlichen Analyse der kapitalistischen Weltwirtschaft. Sie zeigt, dass Abschottung keine Lösung für wirtschaftliche Probleme ist – ebenso wenig wie der freie Handel. Beide Wege führen in die Sackgasse, weil sie Teil eines Systems sind, das unbegrenztes Wachstum in einer begrenzten Welt verlangt.
Luxemburg legt dar, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht in der Lage ist, mit den natürlichen und sozialen Grenzen ihrer Ausdehnung umzugehen. Weder der protektionistische Rückzug auf nationale Märkte noch die unkontrollierte Öffnung im Zeichen des Freihandels können diesen inneren Widerspruch auflösen. Vielmehr verschärfen sie ihn, indem sie kurzfristige Vorteile für bestimmte Kapitalgruppen auf Kosten langfristiger Stabilität und sozialer Gerechtigkeit ermöglichen.
Die Sackgasse, von der Luxemburg spricht, ist also nicht nur eine wirtschaftliche. Sie ist auch ökologischer und gesellschaftlicher Natur – wie sich an der zunehmenden Umweltzerstörung, wachsender Ungleichheit und der Belastung sozialer Infrastrukturen zeigt. Ein System, das fortwährende Expansion benötigt, stößt früher oder später an die Grenzen dessen, was Mensch und Natur tragen können. Schutzzölle und Freihandel sind dabei lediglich unterschiedliche Instrumente, um diese Expansion aufrechtzuerhalten – beide jedoch unfähig, die grundlegenden Probleme zu lösen. Luxemburgs Analyse zeigt: Nur eine Umwälzung der Eigentumsverhältnisse und eine demokratische Planung der Produktion im Interesse der Mehrheit kann einen Ausweg bieten.
Spannung ist keine Ausnahme, sondern Regel
Die Kämpfe um Zölle, Handelsverträge und Märkte sind für Luxemburg keine Meinungsverschiedenheiten, sondern Zeichen einer tiefen Krise. Das kapitalistische Weltsystem produziert zwangsläufig Spannungen, weil es auf ungleicher Verteilung von Reichtum und Macht beruht. Schutzzölle mögen kurzfristig einzelne Industrien stützen, doch langfristig verschärfen sie die Gegensätze und führen zu neuen Konflikten.
Warum Luxemburgs Analyse heute zählt
Rosa Luxemburgs Analyse ist aktueller denn je. Auch heute sehen wir eine Rückkehr zu nationaler Abschottung – während die Herausforderungen weltweit wachsen. Handelskriege, wirtschaftliche Sanktionen, Lieferkettenkrisen und ein wachsender Wettlauf um Rohstoffe zeigen, dass die Konflikte zwischen den Staaten nicht abnehmen, sondern sich zuspitzen. Gleichzeitig offenbart sich die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, globale Probleme wie soziale Ungleichheit, Umweltzerstörung und Gesundheit für alle zu lösen.
Statt Zusammenarbeit über Grenzen hinweg erleben wir eine zunehmende Konkurrenzlogik, etwa in der ungleichen Verteilung von Impfstoffen während der Corona-Pandemie oder dem Streit um nationale Emissionsrechte beim Klimaschutz., die selbst bei existenziellen Fragen wie Pandemien, Klimawandel oder Friedenssicherung dominiert. Luxemburgs Analyse macht deutlich: Solange das kapitalistische System fortbesteht, wird es immer wieder zu solchen Konflikten kommen – unabhängig davon, ob sie sich im Gewand des Freihandels oder des Protektionismus zeigen. Beide sind letztlich nur verschiedene Ausdrucksformen der gleichen Dynamik: der Unterwerfung gesellschaftlicher Bedürfnisse unter die Verwertungsinteressen des Kapitals.
Ihre Schlussfolgerung bleibt eindeutig: Eine gerechtere Welt entsteht nicht durch die Wahl zwischen Freihandel und Zöllen, sondern durch den Bruch mit dem System, das beides hervorbringt. Es geht um eine neue gesellschaftliche Ordnung, in der wirtschaftliches Handeln nicht länger dem Profitstreben dient, sondern den Bedürfnissen der Mehrheit.
Quelle
Rosa Luxemburg: Die Akkumulation des Kapitals. In: Gesammelte Werke, Band 5, Dietz Verlag Berlin 1975, Seiten 392–396.