Herkunft und Jugend
Franz Mehring wurde am 27. Februar 1846 in Schlawe in Pommern (heute Sławno, Polen) geboren. Sein Vater Carl Wilhelm Mehring war ein ehemaliger preußischer Offizier und später hoher Steuerbeamter, seine Mutter Henriette Mehring (geb. Schulze) sorgte für eine gute Bildung des Sohnes. Die Familie war bürgerlich, aber bildungsnah. Mehring wuchs in einem konservativen Elternhaus auf, in dem preußische Pflichterfüllung, Gehorsam und Ordnung als höchste Tugenden galten. Dennoch zeigte sich bei ihm schon früh ein wacher Geist, eine große Sprachbegabung und ein ausgeprägtes Interesse an Geschichte, Philosophie und Politik. Er las als Jugendlicher die Werke von Lessing, Schiller und Hegel und entwickelte früh ein kritisches Denken gegenüber Autoritäten.
Er besuchte das Gymnasium in Greifenberg, wo er sich besonders für Sprachen, Geschichte und klassische Literatur interessierte. 1866 begann er ein Studium der Klassischen Philologie in Leipzig, das er ab 1868 in Berlin fortsetzte. In Leipzig kam er erstmals in Kontakt mit demokratischen und freiheitlichen Ideen. Er schloss sich zeitweise einer liberal-nationalen Studentenverbindung an, in der man die Einheit Deutschlands mit einem freiheitlichen Grundgesetz forderte. Bereits 1867 begegnete er in Berlin den führenden Persönlichkeiten der frühen deutschen Sozialdemokratie, August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Diese Begegnung hinterließ einen bleibenden Eindruck, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt noch nicht bereit war, sich der Arbeiterbewegung anzuschließen. Politisch war der junge Mehring ein bürgerlicher Demokrat, der die Einheit Deutschlands begrüßte, aber zugleich auf einen liberal-demokratischen Staat hoffte. Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 wirkte stark auf ihn: Zunächst glaubte er an die Möglichkeit eines fortschrittlichen Nationalstaats, wechselte sogar zeitweise ins nationalliberale Lager. Doch diese Hoffnung wurde bald enttäuscht. Die autoritäre Politik Otto von Bismarcks, die Repression gegen demokratische Kräfte und die aggressive Außenpolitik des neuen Reichs öffneten ihm die Augen für die reaktionären Tendenzen des preußisch-deutschen Staatswesens. Diese Erfahrungen legten den Grundstein für seine spätere radikale Politisierung.
Journalistischer Werdegang
Ab 1870 arbeitete Franz Mehring als Journalist für verschiedene Tages- und Wochenzeitungen. Zunächst schrieb er in Berlin für das demokratische Blatt Die Zukunft, später berichtete er von 1871 bis 1874 als Parlamentskorrespondent über die Sitzungen des Reichstags und der Landtage. In dieser Zeit machte er sich einen Namen als genauer Beobachter des politischen Geschehens. Seine Texte zeichneten sich durch Scharfsinn, analytische Tiefe und einen klaren, oft polemischen Stil aus. Ab 1875 war Mehring politischer Korrespondent der Wochenzeitung Die Waage. 1876 veröffentlichte er eine Artikelserie gegen den reaktionären Historiker Heinrich von Treitschke, die als Broschüre Herr von Treitschke, der Sozialistentödter und die Endziele des Liberalismus erschien. Darin wandte sich Mehring scharf gegen Treitschkes antisozialistische Thesen und verteidigte die Interessen der unterdrückten Klassen.
Mehring schrieb in den 1870er Jahren auch für die angesehene Frankfurter Zeitung, die der Sozialdemokratie nahe stand. 1876 kam es zu einem öffentlichen Konflikt mit dem Verleger dieses Blattes, Leopold Sonnemann, in dem Mehring antisemitische Vorwürfe äußerte. Die sozialdemokratische Führung distanzierte sich von Mehring, und er wurde für mehr als ein Jahrzehnt zum Gegner der Partei. In dieser Phase verfasste er sogar antisozialistische Schriften, unter anderem Die deutsche Socialdemokratie. Ihre Geschichte und ihre Lehre (1877), in der er Karl Marx, August Bebel und andere scharf kritisierte. Diese Zeit war geprägt von ideologischer Suche, aber auch von zunehmender Unzufriedenheit mit der bürgerlichen Gesellschaft.
Erst Anfang der 1880er Jahre vollzog sich bei Mehring ein politischer Sinneswandel. Er las intensiv die Schriften von Karl Marx und erkannte die Grenzen der bürgerlichen Politik. Seine Einsicht, dass die soziale Frage nur durch einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel zu lösen sei, führte ihn Schritt für Schritt in die Reihen der Sozialdemokratie. Von 1884 bis 1890 schrieb er für die Berliner Volks-Zeitung und unterstützte zunehmend die Ziele der Arbeiterbewegung. Seine Artikel wurden in der Arbeiterklasse breit gelesen und trugen zur politischen Bewusstseinsbildung bei.
Hinwendung zur Sozialdemokratie
1891 trat Franz Mehring offiziell der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bei. In den folgenden Jahren wurde er zu einem der bedeutendsten publizistischen Wegbereiter der sozialdemokratischen Bewegung. Mit Leidenschaft und analytischem Scharfsinn widmete er sich der theoretischen Fundierung und ideologischen Festigung des Marxismus innerhalb der Partei. Er schrieb Leitartikel für Die Neue Zeit, die theoretische Zeitschrift der Partei, in der er ökonomische und geschichtliche Fragen ebenso wie aktuelle politische Ereignisse marxistisch analysierte. Zudem war er von 1902 bis 1907 Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, einem einflussreichen Sprachrohr der linken Parteiströmung, das insbesondere den revolutionären Flügel um Rosa Luxemburg unterstützte. Darüber hinaus publizierte er regelmäßig im Vorwärts, dem Zentralorgan der SPD, wo er mit klarer Sprache und kämpferischem Ton für den Klassenkampf und gegen jegliche Form von Opportunismus eintrat. Mehrings journalistische Tätigkeit war untrennbar mit theoretischer Klarheit, politischem Mut und der Überzeugung verbunden, dass Bildung und Aufklärung unerlässlich für die Emanzipation der Arbeiterklasse seien.
Von 1906 bis 1911 lehrte er Geschichte an der zentralen Parteischule der SPD in Berlin. Dort bildete er angehende Funktionäre und Kader im Geiste des wissenschaftlichen Sozialismus aus und vermittelte ihnen ein tieferes Verständnis für die historischen und ökonomischen Grundlagen der Klassengesellschaft. Dabei verstand er es, komplexe Zusammenhänge anschaulich und kämpferisch zu erklären. Er war außerdem führend in der Freien Volksbühne aktiv, einer Bildungsinitiative, die Arbeitern Zugang zu Theater und Kultur ermöglichte, fernab vom elitären Kunstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft. Sein Ziel war es, eine kulturell bewusste und selbstbewusste Arbeiterklasse zu schaffen, die nicht nur ökonomisch, sondern auch geistig den Weg zur Befreiung geht. In der parteiinternen Debatte um Reformismus oder Revolution stellte er sich entschlossen auf die Seite der marxistischen Linken um Rosa Luxemburg. Mit scharfen Analysen und leidenschaftlichen Reden bekämpfte er den Revisionismus von Eduard Bernstein, der die revolutionäre Zielsetzung des Marxismus in Frage stellte. Mehring warnte eindringlich davor, den Klassenkampf durch parlamentarischen Opportunismus zu ersetzen, und trat für eine kompromisslose Haltung gegenüber den bürgerlichen Machtverhältnissen ein. Er war überzeugt, dass echte soziale Veränderung nur durch den entschlossenen Kampf der Arbeiterklasse gegen Kapital und Staat möglich sei.
Marxistischer Historiker und Publizist
Franz Mehring gilt als einer der bedeutendsten marxistischen Historiker seiner Zeit. Er verband umfassende Bildung mit revolutionärem Elan und verstand es, historische Analyse mit politischer Klarheit zu verbinden. Zu seinen wichtigsten Werken zählt die mehrbändige Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, in der er detailliert die Entwicklung der Arbeiterbewegung von ihren Anfängen im Vormärz bis in seine Gegenwart nachzeichnete. Dieses Werk war nicht nur eine wissenschaftliche Darstellung, sondern zugleich eine kämpferische Auseinandersetzung mit den politischen Widersprüchen und Verirrungen innerhalb der Arbeiterbewegung. Ebenfalls bedeutend ist seine Deutsche Geschichte vom Ausgang des Mittelalters (1910/11), in der er mit dem Instrumentarium des historischen Materialismus die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Widersprüche beleuchtet. Höhepunkt seines historischen Schaffens ist jedoch die Karl Marx: Geschichte seines Lebens (1918), die erste umfassende Biografie von Karl Marx. Dieses Werk wurde in viele Sprachen übersetzt und fand weltweite Verbreitung. Es ist bis heute ein Standardwerk der internationalen Marxismusforschung und stellt Marx nicht nur als Theoretiker, sondern auch als politischen Kämpfer und Menschen dar.
Neben der Geschichtsschreibung verfasste Mehring auch zahlreiche literaturkritische Schriften, darunter Die Lessing-Legende (1893), in der er den Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing gegen reaktionäre Geschichtsdeutungen verteidigte und die politische Dimension der deutschen Klassik hervorhob. Für Mehring war Literatur kein ästhetischer Selbstzweck, sondern Ausdruck gesellschaftlicher Kämpfe und Widersprüche. Seine Studien zu Heinrich Heine, Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe zeugen von seiner tiefen Kenntnis der deutschen Geistesgeschichte und seiner Fähigkeit, diese aus einer klassenbewussten Perspektive neu zu interpretieren. Er war überzeugt, dass eine kulturell gebildete Arbeiterklasse unverzichtbar für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft sei und dass Kunst und Literatur Werkzeuge der Befreiung sein können, wenn sie kritisch, aufklärerisch und parteilich im besten Sinne sind.
Mehring war zudem Herausgeber und Kommentator zahlreicher historischer Dokumente der Arbeiterbewegung. Er veröffentlichte Briefe und Schriften von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle, bereitete sie kritisch auf, versah sie mit Kommentaren und machte sie für eine breite Öffentlichkeit zugänglich. Dabei legte er besonderen Wert auf wissenschaftliche Sorgfalt und politische Klarheit. Durch seine editorische Arbeit trug er entscheidend dazu bei, das ideologische Erbe der Arbeiterbewegung zu bewahren, es für neue Generationen nutzbar zu machen und ein historisches Bewusstsein zu schaffen, das den Klassenkampf als roten Faden der Geschichte sichtbar macht. Mehrings Wirken als Historiker und Publizist war nicht rückblickend, sondern immer zukunftsgerichtet: Er schrieb für die Gegenwart und die kommenden Kämpfe.
Der Erste Weltkrieg und der Aufstieg
der revolutionären Linken
der revolutionären Linken
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 markierte einen tiefen Wendepunkt in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung – und ebenso im politischen Leben Franz Mehrings. Als die SPD-Führung am 4. August 1914 den Kriegskrediten im Reichstag zustimmte und sich faktisch mit dem deutschen Kaiserreich verbündete, war dies für Mehring ein unverzeihlicher Verrat an den Prinzipien des proletarischen Internationalismus. Er war entsetzt über die Haltung der Partei, der er so viele Jahre mit Hingabe gedient hatte. In scharfen Artikeln kritisierte er die sogenannte Burgfriedenspolitik – also die vorübergehende Zusammenarbeit der SPD mit der kaiserlichen Regierung – und warnte eindringlich vor der nationalistischen Verblendung, die viele deutsche Arbeiter erfassen sollte.
Mehring sah im Weltkrieg einen klassischen imperialistischen Krieg, in dem sich die Großmächte um Kolonien, Märkte und Einflusssphären stritten – auf Kosten von Millionen einfachen Menschen, die als Soldaten geopfert wurden. Die Propaganda der Regierungen, die von der "Verteidigung des Vaterlandes" sprach, zeigte sich in patriotischen Massenkundgebungen, in martialischen Schlagzeilen der Tagespresse sowie in Aufrufen prominenter Intellektueller und Geistlicher zur Opferbereitschaft. Zeitungen veröffentlichten täglich Berichte über angebliche Gräueltaten des Feindes und lobten die "Helden an der Front", während kritische Stimmen systematisch unterdrückt wurden, hielt er für eine bewusste Täuschung. Für ihn war klar: Nur durch internationale Solidarität und den gemeinsamen Kampf der Arbeiter aller Länder konnte diesem Völkermorden ein Ende gesetzt werden.
Gemeinsam mit Gesinnungsgenossen wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin gründete er 1915 die Zeitschrift Die Internationale. In einem der programmatischen Leitartikel hieß es: "Dieser Krieg ist nicht unser Krieg – er ist der Krieg der Ausbeuter." Mit klarer Sprache wandte sich das Blatt gegen die Kriegspropaganda und rief die Arbeiter aller Länder zur Einheit im Kampf gegen das imperialistische System auf. Dieses Untergrundblatt sprach sich offen gegen den Krieg aus, analysierte die Lage vom Standpunkt des wissenschaftlichen Sozialismus und rief zu Widerstand und revolutionärem Bewusstsein auf. Obwohl Mehring bereits fast siebzig Jahre alt war, scheute er weder Repression noch Anstrengung. 1916 war er Mitbegründer der Spartakusgruppe, deren Ziel es war, den imperialistischen Krieg durch eine sozialistische Revolution zu beenden. Die Gruppe forderte einen sofortigen Frieden ohne Annexionen, die Enteignung des Großkapitals, die Rätedemokratie als Organisationsform der Arbeiterklasse und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, einer revolutionären Strömung innerhalb der USPD, die sich konsequent gegen Krieg und Kapitalismus stellte und später zum Kern der kommunistischen Bewegung wurde.
Im Sommer 1916 wurde Mehring verhaftet und unter dem Vorwand der sogenannten "Schutzhaft" für vier Monate festgesetzt – eine Maßnahme, die auf Grundlage der kaiserlichen Notverordnungen eingeführt worden war, um politische Gegner ohne Gerichtsverfahren festzuhalten. Die Behörden begründeten dies offiziell mit dem Vorwurf, er gefährde die öffentliche Ordnung durch seine scharfe Kritik am Krieg und an der Regierung. In Wahrheit diente die Schutzhaft der Einschüchterung und Ausschaltung unbequemer Stimmen aus der linken Opposition. Die Reaktionen auf seine Inhaftierung waren unterschiedlich: Während bürgerliche Kreise sie guthießen oder ignorierten, äußerten sich sozialistische Kreise empört über diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit. In der Spartakusbriefe-Ausgabe vom September 1916 wurde seine Festnahme scharf verurteilt und als Beleg für die „wachsende Angst der Herrschenden vor der Stimme der Vernunft“ bezeichnet. Clara Zetkin schrieb später, Mehring habe „selbst hinter Gittern mehr zur Aufklärung beigetragen als ganze Zeitungsredaktionen im bürgerlichen Lager“.: Während bürgerliche Kreise sie guthießen oder ignorierten, äußerten sich sozialistische Kreise empört über diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit. Trotz seines hohen Alters ließ sich Mehring nicht einschüchtern und setzte seinen politischen Kampf nach der Entlassung unbeirrt fort. und für vier Monate in sogenannte Schutzhaft genommen – eine Maßnahme, mit der die Behörden versuchten, unliebsame Kritiker mundtot zu machen. Trotz seines hohen Alters ließ sich Mehring nicht einschüchtern. Die Haft war für ihn eine politische Bewährungsprobe, die er mit Würde und Entschlossenheit bestand. Nach seiner Freilassung schloss er sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an, die im April 1917 aus Protest gegen den Krieg und die Komplizenschaft der SPD gegründet worden war.
Auch als Abgeordneter im Preußischen Landtag vertrat Mehring in den letzten Lebensjahren unermüdlich die Position des proletarischen Internationalismus. Seine Reden waren von moralischer Klarheit, historischer Tiefe und revolutionärer Leidenschaft geprägt. Im Herbst 1918, als in Deutschland die Novemberrevolution ausbrach und das Kaiserreich zusammenbrach, unterstützte er aktiv die Gründung einer kommunistischen Partei. Obwohl er krankheitsbedingt nicht persönlich am Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) teilnehmen konnte, wurde sein Beitrag durch vorbereitende Texte und politische Stellungnahmen deutlich spürbar. Seine Schriften wurden zitiert, seine politische Haltung floss in zentrale Positionen der Partei ein, und viele Delegierte verwiesen auf ihn als einen der geistigen Wegbereiter der neuen Bewegung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Jahreswechsel 1918/1919 teilnehmen konnte, war er geistig und politisch präsent. Seine Analysen, seine Texte und seine Biografie von Karl Marx waren nicht nur eine Quelle der Orientierung, sondern wurden auch in Redebeiträgen zitiert und dienten als argumentative Grundlage für zentrale programmatische Beschlüsse der Partei. Besonders seine scharfe Kritik am Opportunismus und sein historisch fundierter Klassenstandpunkt beeinflussten die Diskussionen über Strategie und Taktik der neuen Partei maßgeblich waren für viele Delegierte eine wichtige Quelle der Orientierung.
Mehring gehörte zu den bedeutendsten Vordenkern der revolutionären Linken in Deutschland, die den Aufbau einer neuen, klassenlosen Gesellschaft anstrebte. Sein unerschütterliches Eintreten gegen Krieg, Unterdrückung und bürgerliche Heuchelei kennzeichnet ihn als standhaften Internationalisten, Humanisten und Revolutionär. In all seinem Wirken blieb er der Idee einer befreiten Menschheit treu – kompromisslos, mutig und der Wahrheit verpflichtet. in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung – und ebenso im politischen Leben Franz Mehrings. Als die SPD-Führung den Kriegskrediten im Reichstag zustimmte und sich faktisch mit dem deutschen Kaiserreich verbündete, war dies für Mehring ein unverzeihlicher Verrat an den Prinzipien des proletarischen Internationalismus. Er war entsetzt über die Haltung der Partei, der er so viele Jahre mit Hingabe gedient hatte. In scharfen Artikeln kritisierte er die sogenannte Burgfriedenspolitik, also die vorübergehende Zusammenarbeit der SPD mit der kaiserlichen Regierung, und warnte vor der nationalistischen Verblendung, die viele deutsche Arbeiter erfassen sollte.
Mehring sah im Weltkrieg einen klassischen imperialistischen Krieg, in dem sich die Großmächte um Kolonien, Märkte und Einflusssphären stritten, auf Kosten von Millionen einfachen Menschen, die als Soldaten geopfert wurden. Die Propaganda der Regierungen, die von "Verteidigung des Vaterlandes" sprach, hielt er für eine Lüge. Für ihn war klar: Nur durch internationale Solidarität und den gemeinsamen Kampf der Arbeiter aller Länder konnte diesem Völkermorden ein Ende gesetzt werden.
Gemeinsam mit Gesinnungsgenossen wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin gründete er 1915 die Zeitschrift Die Internationale. Dieses Untergrundblatt sprach sich offen gegen den Krieg aus, analysierte die Lage vom Standpunkt des wissenschaftlichen Sozialismus und rief zu Widerstand und revolutionärem Bewusstsein auf. Obwohl Mehring bereits fast siebzig Jahre alt war, scheute er weder Repression noch Anstrengung. 1916 war er Mitbegründer der Spartakusgruppe, einer revolutionären Strömung innerhalb der USPD, die sich konsequent gegen Krieg und Kapitalismus stellte.
Im Sommer 1916 wurde Mehring verhaftet und für vier Monate in sogenannte Schutzhaft genommen – eine Maßnahme, mit der die Behörden versuchten, unliebsame Kritiker mundtot zu machen. Trotz seines hohen Alters ließ sich Mehring nicht einschüchtern. Die Haft war für ihn eine politische Bewährungsprobe, die er mit Würde und Entschlossenheit bestand. Nach seiner Freilassung schloss er sich der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) an, die im April 1917 aus Protest gegen den Krieg und die Komplizenschaft der SPD gegründet worden war.
Auch als Abgeordneter im Preußischen Landtag vertrat Mehring in den letzten Lebensjahren unermüdlich die Position des proletarischen Internationalismus. Seine Reden waren von moralischer Klarheit, historischer Tiefe und revolutionärer Leidenschaft geprägt. Im Herbst 1918, als in Deutschland die Revolution ausbrach und das Kaiserreich zusammenbrach, unterstützte er die Gründung einer kommunistischen Partei. Obwohl er krankheitsbedingt nicht persönlich am Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Jahreswechsel 1918/1919 teilnehmen konnte, war er geistig und politisch präsent. Seine Analysen, seine Texte und seine Biografie von Karl Marx waren für viele Delegierte eine wichtige Quelle der Orientierung. Mehring gehörte damit zu den Vordenkern der revolutionären Linken in Deutschland, die den Aufbau einer neuen, klassenlosen Gesellschaft anstrebte.
Tod und Vermächtnis
Franz Mehring starb am 28. Januar 1919, nur wenige Tage nach der brutalen Ermordung seiner engsten Mitstreiter Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch konterrevolutionäre Freikorps-Soldaten. Die Nachricht von deren Tod erschütterte ihn zutiefst und traf ihn in einem Moment gesundheitlicher Schwäche. Viele Zeitgenossen berichteten, dass ihn dieser Verlust seelisch tief erschüttert habe – nicht nur persönlich, sondern auch politisch. Er sah in diesem Akt des Terrors eine ernste Bedrohung für die junge revolutionäre Bewegung und ein Symbol für die Gewaltbereitschaft der herrschenden Klassen. Sein Tod wenige Tage später wurde von vielen als letzter Akt eines politischen Lebens betrachtet, das ganz dem Kampf für Wahrheit, Gerechtigkeit und Sozialismus gewidmet war. Beigesetzt wurde Franz Mehring auf dem traditionsreichen Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Berlin, an der Seite vieler anderer Kämpferinnen und Kämpfer für den Sozialismus. Sein Grab wurde zu einem Ort des stillen Gedenkens und politischen Nachdenkens.
In der Deutschen Demokratischen Republik wurde seines Andenkens besonders gewürdigt. Zahlreiche Schulen, Bildungseinrichtungen, Straßen und Plätze trugen seinen Namen. Besonders hervorzuheben ist der Franz-Mehring-Platz in Berlin, unweit des Verlagsgebäudes des Neuen Deutschland, das ihn in besonderer Weise ehrte. Eine Gedenkbriefmarke wurde ihm gewidmet, ebenso wie eine Ehrennadel für verdienstvolle Journalisten. Seine Werke wurden systematisch neu herausgegeben, kommentiert und als Grundlage für die politische Bildung genutzt – etwa an der Karl-Marx-Universität Leipzig oder an den zentralen Parteischulen der SED. Mehring galt im marxistischen Bildungskanon der DDR als Vorbild eines klassenbewussten Intellektuellen, der Wissenschaft und Parteilichkeit in sich vereinte.
Mehrings Schriften gehören bis heute zum festen Kanon marxistischer Literatur. Sie wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und beeinflussten Generationen von Sozialisten, Kommunisten und kritischen Intellektuellen weltweit. Als Historiker, Theoretiker und Publizist hat er ein bleibendes Vermächtnis hinterlassen, das für die internationale Arbeiterbewegung von großer Bedeutung bleibt. Sein Leben steht exemplarisch für den konsequenten Übergang eines bürgerlich geprägten Intellektuellen hin zum revolutionären Sozialisten. Er war weder Karrierist noch Opportunist, sondern ein unbeirrbarer Verfechter des wissenschaftlichen Sozialismus. Sein Werk bleibt Mahnung und Auftrag für kommende Generationen im Kampf für eine gerechte Gesellschaft, befreit von Ausbeutung, Krieg und Unterdrückung.