FASIA JANSEN
Leben im Lied – Kampf für den Frieden
Zum 28. Todestag einer unbeugsamen Frau
Sie war die Tochter eines afrikanischen Königs und wurde zur Stimme der Arbeiterbewegung. Als Schwarzes Kind überlebte sie den deutschen Faschismus – mit seinen Gesetzen, die Menschen nach Hautfarbe und Herkunft bewerteten. Als junge Frau fand sie in der Musik nicht nur ein Ventil, sondern eine Waffe im politischen Kampf. Als Liedermacherin prägte sie den Widerstand gegen Atomtod, Militarismus und Unrecht. Zu ihren bekanntesten Liedern gehört das kraftvolle „Schwarz und Weiß bauen neu die Welt“, das sie 1951 bei den Weltjugendfestspielen in Hauptstadt der DDR vor einem riesigen Publikum sang – ein Lied, das später zur Hymne vieler Friedensdemonstrationen wurde. Ihre Lieder begleiteten Proteste gegen Remilitarisierung und gegen die NATO, gegen die Ausgrenzung von Migrantinnen, gegen Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit.
**Fasia Jansen** – 1929 geboren, 1997 gestorben – bleibt unvergessen. Ihr Leben war kein Zufall. Es war ein Zeichen. Ein Fanal. Ihre Geschichte steht für die Kraft des Widerstands, für das Recht auf Würde und für die Stimme der Unterdrückten. Sie war unbequem für die Herrschenden, aber unentbehrlich für die Bewegungen von unten. Ihre Klarheit, ihre Lebensfreude, ihr Humor – all das machte sie einzigartig. Und genau deshalb bleibt sie heute ein Vorbild: für junge Menschen, die nicht schweigen wollen, für Frauen, die kämpfen, für alle, die an eine gerechtere Welt glauben.
Tochter eines Königs – im Armenviertel
Geboren wird Fasia 1929 in Hamburg. Ihr Vater ist **Momolu Massaquoi**, ehemaliger König der Vai in Liberia, später Konsul in Hamburg. Ein intelligenter, weltgewandter Mann, der Kontakte in höchsten politischen Kreisen hatte und dessen Haus in Hamburg ein Treffpunkt für Künstler, Intellektuelle und politische Emigranten war. Für Elli, das junge Kindermädchen aus einfacher Arbeiterfamilie, schien diese Welt wie aus einer anderen Galaxie zu stammen. Sie war kaum volljährig, als sie sich auf die Beziehung mit dem stattlichen afrikanischen Diplomaten einließ. Als sie schwanger wurde, versprach er, für Mutter und Kind zu sorgen – doch diese Versprechen verflogen, als er nach Liberia zurückkehrte. Auf Druck seines politischen Gegners musste er seine Stellung als Konsul aufgeben. Dort verlor er alles, landete im Gefängnis und starb verarmt. Die junge Mutter Elli stand mit dem Schwarzen Kind plötzlich allein da. Der Stiefvater brüllte: »Die kommt mir mit das Negergör nicht ins Haus!« Es war der Beginn eines Lebens zwischen Ausgrenzung, Stolz und Kampf. Fasia wird von Anfang an zur Außenseiterin gestempelt – in der Schule, auf der Straße, im eigenen Land.
Doch Elli kämpft. Unermüdlich. Sie findet nach vielen Rückschlägen schließlich eine kleine Wohnung im Arbeiterbezirk Rothenburgsort. Dort herrscht keine feine Gesellschaft, sondern harte Lebensbedingungen, Solidarität unter Nachbarn – und politisches Bewusstsein. Sie lernt **Albert** kennen – Schlosser, Kommunist, Witwer. Er bringt einen Sohn mit in die Beziehung und nimmt Fasia an wie sein eigenes Kind. Albert wird zu einem liebevollen Vater, der ihr Selbstvertrauen gibt und ihr ein antifaschistisches Weltbild vermittelt. Wenn andere sie beleidigen, sagt er ruhig aber bestimmt: »Alles geistig Minderbemittelte, Fasia!« Das prägt sie für ihr ganzes Leben – dieser einfache, klare Satz ist ihr Schutzschild gegen den Alltagsrassismus der deutschen Gesellschaft. Einmal, als sie weinend aus der Schule kommt, nimmt er sie in den Arm und sagt: »Du bist stärker als die alle zusammen. Du bist meine Tochter, und auf dich bin ich stolz.« Albert baut ihr sogar einen Übungsboden, als sie mit dem Tanzen beginnt. Er glaubt an sie – bedingungslos.
## Hass der Faschisten, Mut der Familie
Schon als Kind wird Fasia verspottet, angespuckt, ausgegrenzt. Auf den Straßen rufen ihr Kinder Beleidigungen nach, Erwachsene wenden sich ab oder glotzen unverhohlen. In der Schule muss sie Schikanen über sich ergehen lassen – von Mitschülern, aber auch von Lehrkräften. Ihre Hautfarbe macht sie in den Augen der nationalsozialistischen Gesellschaft zu einem »Fremdkörper«. Als sie mit 14 Jahren zu einer ärztlichen Untersuchung bestellt wird, glaubt ihre Mutter an eine harmlose Impfung. Doch danach ist Fasia unfruchtbar. Ärzte vermuten: heimliche Sterilisation im Namen der sogenannten »Rassenhygiene«. Niemand übernimmt Verantwortung. Niemand fragt nach Gerechtigkeit.
Ihr Herz wird krank. Ein Leben lang leidet sie an Herzinnenhautentzündung, muss immer wieder ins Krankenhaus. Jeder Rückfall ist eine Erinnerung an den staatlich organisierten Rassismus, an das Leid, das ihr schon in jungen Jahren zugefügt wurde. Trotzdem verliert sie nie ihren Lebensmut. Sie tanzt, sie singt, sie lacht – wo andere an Verbitterung zerbrechen würden.
Im KZ-Außenlager Neuengamme muss sie in der Küche schuften. Das Lager war ein Ort des Schreckens, an dem Tausende Zwangsarbeiter und Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen litten. Viele überlebten nicht. Nikolai, der sowjetische Zwangsarbeiter, den Fasia dort kennenlernt, verschwindet eines Tages – vermutlich in ein anderes Lager deportiert oder dem Tod übergeben. Sein Schicksal bleibt ungeklärt. Dort trifft sie **Nikolai**, sowjetischer Zwangsarbeiter. Morgens flüstert sie ihm heimlich Nachrichten über den Vormarsch der Roten Armee zu. Er antwortet: »Gitler kaputt.« Dann ist er weg. Verlegt. Verschollen. Diese Freundschaft prägt sie tief – nie wird sie ihn vergessen. Später ruft sie bei ihren Auftritten in der Sowjetunion in den Saal: „Nikolai, lebst du noch?“ Vergeblich.
Der Krieg endet – das Lied beginnt
Nach 1945 findet Fasia zur Musik. Mit dem Akkordeon singt sie auf Ausflugsbooten und verdient sich damit die ersten wenigen Münzen. Es sind Lieder von Matrosen und vom Meer, von Sehnsucht und Hoffnung, die ihr selbst helfen, das Erlebte zu verarbeiten. Einmal spielt sie das alte Seemannslied „La Paloma“ auf einem Ausflugsschiff auf der Elbe – die Passagiere werden still, manche summen mit. Fasia erinnert sich später: „Ich habe gemerkt, dass die Leute in dem Moment nicht meine Haut gesehen haben, sondern meine Musik. Das war mein erster Sieg.“ Doch auch hier spürt sie schnell, wie wenig willkommen sie in vielen Kreisen ist. In der Kirche darf sie nicht bleiben – dort sitzen die alten Nazis, die nun wieder scheinbar unbescholten ihre Macht ausüben. Bei einem Gottesdienst wird sie von einem Gemeindemitglied gemustert und gefragt, ob sie sich nicht in der Tür geirrt habe. Solche Momente zeigen ihr deutlich, dass die alten Strukturen nicht verschwunden sind, sondern sich neu formiert haben – im Mantel des Anstands. Stattdessen findet sie in der **FDJ**, der Freien Deutschen Jugend, ein politisches und kulturelles Zuhause. Dort trifft sie auf junge Menschen, die wie sie nicht vergessen wollen, was geschehen ist, und die eine bessere Zukunft aufbauen wollen.
1951 reist sie konspirativ in die DDR zu den **Weltjugendfestspielen** in der Hauptstadt der DDR. Heimlich, unter Gefahren, überquert sie die Grenze. Dort singt sie vor Zehntausenden: *„Schwarz und Weiß bauen neu die Welt“.* Dieses Lied wird ihr Markenzeichen – eine Hymne der Hoffnung auf internationale Solidarität. Als sie die letzten Töne singt, bricht das Publikum in minutenlangen Applaus aus. Viele singen mit, manche haben Tränen in den Augen. Es ist nicht nur ein Lied, sondern eine Haltung, ein Versprechen: Die Welt gehört nicht den Reichen, den Mächtigen oder den Kriegstreibern. Sie gehört allen, die sie aufbauen. Gemeinsam.
In der DDR arbeitet sie zunächst in einer Bibliothek. Bücher und Lieder werden zu ihren neuen Waffen. Ein Chorleiter entdeckt ihre Stimme, komponiert für sie ein Lied auf Stalin. Sie tritt mit ihm auf, lernt viele neue Lieder, darunter auch antifaschistische Kampflieder aus ganz Europa – zum Beispiel das italienische Partisanenlied „Bella Ciao“ oder das spanische Freiheitslied „¡No pasarán!“, die sie mit Überzeugung und Leidenschaft singt. Die Auftritte geben ihr Kraft, und sie merkt, dass sie mit ihrer Stimme andere stärken kann. Doch eine schwere Erkrankung zwingt sie zur Rückkehr. Wieder einmal ist es das schwache Herz, das ihr Grenzen setzt. Die Freundin **Anna** aus dem Ruhrgebiet holt sie nach Oberhausen. Anna ist selbst engagiert in der Friedensbewegung und teilt viele von Fasias Überzeugungen. Dort findet Fasia nicht nur eine neue Bleibe, sondern ein Umfeld aus aufrechten Menschen, das ihr Wärme, Solidarität – und einen neuen Kampfplatz bietet.
Gegen Krieg, gegen Kapital, für das Leben
In den 1950er Jahren formiert sich die Friedensbewegung. Die BRD will wieder aufrüsten. Die FDJ, die KPD, die VVN, Millionen Werktätige sagen Nein. Sie rufen zu Massenkundgebungen auf, verteilen Millionen Flugblätter, organisieren Streiks und Unterschriftensammlungen – unter anderem gegen die Wiederbewaffnung und für einen Friedensvertrag mit beiden deutschen Staaten. Die Menschen haben den Krieg nicht vergessen – seine Toten, seine Zerstörung, seine seelischen Wunden. Die Erinnerung ist frisch, die Ablehnung gegen neue Waffen tief verwurzelt. **Philipp Müller**, 21 Jahre alt, wird auf einer Friedensdemonstration von der Polizei erschossen. Das Gericht spricht die Mörder frei. Doch der Protest wächst. Er wird lauter, bunter, vielfältiger. In dieser Atmosphäre von wachsender Unterdrückung, Verboten und Verfolgung wird Fasia politisch immer aktiver.
Fasia ist dabei. Singt. Organisiert. Tröstet. Kämpft. Auf den **Ostermärschen** wird sie zur Symbolfigur. Sie steht nicht am Rand, sie geht vorneweg. Ihre Lieder sind mehr als Musik – sie sind Aufruf, Mutmacher, Erinnerung und Zukunft zugleich. Wenn sie sang: „Sag nein, wenn sie wieder marschieren“, dann wussten viele im Publikum sofort, worum es ging – um Haltung, um Widerstand, um Hoffnung auf eine andere Welt. Ihre erste Platte heißt: *„Lieder gegen die Bombe“.* Sie schreibt Lieder, vertont Protest, gibt der Bewegung eine Stimme. Mit ihrer Gitarre reist sie durchs Land, tritt auf Kirchentagen, bei Streiks, auf linken Kulturfesten auf. Sie steht auf Marktplätzen, vor Werkstoren, in Gemeindesälen – etwa auf dem Gelsenkirchener Heinrich-König-Platz oder in den Streikzelten der Zeche Rheinpreußen. Ihre Auftritte sind nie nur Konzerte, sondern immer Teil einer Bewegung. Überall, wo Menschen zusammenkommen, um sich gegen Unrecht zu wehren, ist Fasia da.
Sie tritt mit **Angela Davis** und **Joan Baez** auf – etwa bei internationalen Friedenskonferenzen und auf Solidaritätsveranstaltungen in der DDR und im westdeutschen Ruhrgebiet, reist nach Moskau, Nairobi, Havanna, Paris. Sie singt für Arbeiter, für Kinder, für Frauen. Sie singt gegen Pershing-Raketen und gegen Zechenschließungen. Sie singt bei Aktionen gegen Umweltzerstörung, für Gleichheit und Gerechtigkeit. Und sie redet auch. Ihre Stimme ist nicht nur Gesang, sondern auch Erklärung, Ermutigung, Aufruf. Ihre Stimme wird Waffe und Trost zugleich – eine Stimme, die nicht vereinnahmt, sondern erhebt. In vielen Gesprächen berichten Zuhörer später, wie sie durch Fasias Worte Kraft geschöpft haben. Eine junge Frau erzählte nach einem Auftritt: „Ich war verzweifelt, aber als Fasia gesungen hat, wusste ich wieder, dass ich nicht allein bin.“
## Armut, Auszeichnung, Abschied
Fasia lebt bescheiden. Vom Lied allein wird niemand satt. Sie bekommt kaum Auftrittshonorare, oft reicht es nicht einmal für die Miete. Dennoch lehnt sie große Gagen ab, wenn sie von Rüstungskonzernen oder Konzernveranstaltungen stammen. Sie bleibt sich treu, lebt schlicht, solidarisch, standhaft. Gegen Ende ihres Lebens ist sie auf Sozialhilfe angewiesen. Doch auch diese Schwäche wird zur Stärke, denn sie macht sie nicht klein, sondern fordernd. Als man ihr 1991 das Bundesverdienstkreuz verleihen will, zögert sie. Was bedeutet eine Auszeichnung dieses Staates, wenn er gleichzeitig friedensbewegte Menschen bespitzelt und verfolgt? Doch afrodeutsche Frauen bitten sie: »Nimm es für uns alle an.« Fasia sagt Ja – unter einer Bedingung: **Ein Friedensfest muss her.** Das Sozialamt zahlt. Und das Fest wird ein Triumph des Lebens, der Lieder, der Solidarität. Es wird gesungen, getanzt, gestritten und gelacht. Genau so, wie Fasia es liebte. Viele Weggefährten aus der Friedensbewegung kommen: Gewerkschafter, Musiker, Antifaschistinnen, afrodeutsche Initiativen. Fasia singt selbst noch ein letztes Mal „Schwarz und Weiß bauen neu die Welt“ und „Sag nein!“, begleitet von Freundinnen auf Gitarre und Geige. Der Saal bebt vor Kraft und Zusammenhalt – ein Fest gegen das Vergessen.
Am 29. Dezember 1997 stirbt sie in Oberhausen. Schwer krank, aber voller Würde. Ihre Freundinnen sind bei ihr. Ihr Bett steht inmitten von Blumen, Fotos, Briefen und Musik. Sie geht nicht allein. Und sie geht nicht spurlos. Sie hinterlässt kein Geld, kein Haus, keine Titel – aber sie hinterlässt ein Erbe aus Mut, Musik und Menschlichkeit. Ihr Leben zeigt, dass es möglich ist, Haltung zu bewahren – selbst wenn man arm ist. Dass man wirken kann – ohne Mandat, ohne Amt, nur mit Lied und Liebe.
Unvergessen
**Fasia Jansen** hat nie in den Reihen der Mächtigen gestanden. Sie stand bei denen, die aufstehen. Ihre Stimme bleibt: im Lied, im Gedächtnis, im Kampf. Und ganz besonders in jenem Lied, das sie prägte wie kein anderes: „Schwarz und Weiß bauen neu die Welt“ – ein Aufruf zur Einheit der Unterdrückten und zur Hoffnung auf eine neue Gesellschaft. Sie war Sängerin, Widerständlerin, Menschenfreundin. Eine, die nie vergessen hat, woher sie kam. Die ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe und ihrer politischen Überzeugung mit Stolz begegnete – auch dann, wenn es unbequem wurde. Ihre Solidarität galt nie den Mächtigen, sondern immer denen, die kämpfen mussten: für gleiche Rechte, für ein würdiges Leben, für Frieden.
Sie besuchte Schulklassen, engagierte sich für Geflüchtete, unterstützte streikende Arbeiterinnen genauso wie Umweltinitiativen. Ihre Lieder wurden in Flugblättern abgedruckt, auf Demos gesungen, auf Kassetten weitergereicht. Sie war Teil einer lebendigen Gegenkultur, die den herrschenden Zuständen etwas entgegensetzte – Haltung, Menschlichkeit und Musik.
Und solange gesungen wird gegen Unrecht, lebt auch Fasia weiter.

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