Elfriede Kautz –
Ein Leben im Kampf gegen Faschismus und Kalten Krieg
Frühe Jahre und politisches Erwachen
Elfriede Kautz wurde um 1908 in Hannover geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater war gelernter Schlosser, der nach dem Ersten Weltkrieg längere Zeit arbeitslos war und sich dem Kaiserreich verbunden fühlte. Die Mutter führte den Haushalt und versuchte, mit strengem religiösem Eifer Ordnung in die Familie zu bringen. Die Familie lebte in einer kleinen Mietwohnung in einem Arbeiterviertel Hannovers, geprägt von Entbehrung, beengten Wohnverhältnissen und der ständigen Sorge um das tägliche Auskommen. Ihre Eltern vertraten konservative Ansichten – der Vater hing dem Kaiserreich nach, die Mutter war streng und religiös. Doch Elfriede entwickelte früh einen eigenen Willen und ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Als junge Frau wandte sie sich vom Elternhaus ab, strebte nach Bildung und sozialem Engagement. Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester fand sie in linken Jugendkreisen Gleichgesinnte mit neuen Liedern, Ideen und einem Gefühl von Zusammenhalt. Besonders die politischen Bildungsabende und Arbeiterlieder hinterließen einen bleibenden Eindruck. Bei diesen Abenden wurden etwa die Gedanken von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg diskutiert, begleitet von Liedern wie „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ oder „Die Internationale“, die Elfriede besonders bewegten. 1929 trat Elfriede der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, nachdem sie zuvor bereits in der Roten Hilfe – einer Hilfsorganisation der kommunistischen Bewegung, die sich in der Weimarer Republik um die Unterstützung politischer Gefangener, ihrer Familien sowie um den Schutz verfolgter Genossinnen und Genossen kümmerte – aktiv gewesen war. In Hannover hörte sie noch persönlich den KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann sprechen, was sie tief beeindruckte. Die Begegnung fand im Rahmen einer großen Wahlkampfkundgebung auf dem Klagesmarkt statt, bei der Thälmann leidenschaftlich für soziale Gerechtigkeit, Frieden und den antifaschistischen Kampf warb – Worte, die Elfriede nachhaltig prägten. Die Begegnungen, Diskussionen und das solidarische Miteinander in dieser Zeit heilten sie auch von einer jugendlichen Lebenskrise – Elfriede litt als Halbwüchsige an Magersucht, fand aber im engagierten Kreis der linken Bewegung neuen Lebensmut. Die solidarische Gemeinschaft und das Erleben von Sinn und Ziel in der politischen Arbeit halfen ihr, aus ihrer persönlichen Krise herauszufinden und eine neue Perspektive auf das Leben zu gewinnen. Die krisenhafte Lage der Weimarer Republik mit Arbeitslosigkeit, Hunger und wachsender Ungleichheit prägte ihr Klassenbewusstsein und stärkte ihre Entschlossenheit, gegen soziale Ungerechtigkeit zu kämpfen. Besonders prägend war für sie die Erfahrung, wie Nachbarn und Freunde aus ihrer Straße durch Arbeitslosigkeit verelendet wurden, während wenige Profiteure unbehelligt blieben. Die tägliche Konfrontation mit der Not der Mitmenschen und das Gefühl der Ohnmacht gegenüber staatlicher Ignoranz schärften ihren Blick für die Klassenverhältnisse und ließen in ihr den Wunsch wachsen, aktiv für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen.
Widerstand im Faschismus
Mit der Machtübertragung an die Faschisten 1933 geriet Elfriede Kautz’ junges politisches Leben jäh in Gefahr. In Hannover wurde das örtliche KPD-Büro noch in derselben Woche von der Polizei durchsucht, Versammlungen aufgelöst, und bekannte Mitglieder öffentlich diffamiert oder unter Hausarrest gestellt. Plötzlich war jede politische Betätigung lebensgefährlich, Spitzel und Denunzianten waren allgegenwärtig. Die Stadt, die zuvor ein Zentrum der organisierten Arbeiterbewegung gewesen war, verwandelte sich in kürzester Zeit in einen Ort der Angst und Kontrolle. Die KPD, die SPD und andere antifaschistische Organisationen wurden verboten, ihre Mitglieder verfolgt, inhaftiert oder ermordet. Nur elf Tage nach Hitlers Ernennung zur Reichskanzler wurde Elfriedes Schwester Grete verhaftet, und ihr Schwager – ein aktiver Kommunist – von den Nationalsozialisten zu Tode misshandelt. Diese brutalen Schicksalsschläge trafen auch Elfriede zutiefst. Die Gewissheit, dass selbst engste Angehörige nicht mehr sicher waren, erschütterte sie und zeigte die unerbittliche Härte des neuen Regimes.
Sie selbst entging der Verhaftung nur durch größte Vorsicht, die Unterstützung mutiger Freunde und das Abtauchen in ein angepasstes Leben. Statt offenen Widerstand zu leisten, war sie gezwungen, in eine Art innere Emigration zu gehen. Ihr politisches Leben verlagerte sich in den Untergrund. Mit konspirativen Methoden blieb sie im Kontakt mit anderen Genossinnen und Genossen – über Briefwechsel, heimliche Treffen und solidarische Hilfsaktionen für Verfolgte. Ihre Wohnung diente mehrfach als vorübergehender Unterschlupf für gefährdete Kameraden, die auf der Flucht vor der Gestapo waren. So nahm sie im Winter 1936 heimlich einen Genossen aus Berlin auf, der bereits von der Gestapo gesucht wurde und sich in den Kellerräumen ihrer Mietwohnung mehrere Tage verstecken musste, ehe er weiterreisen konnte. In einer anderen Situation beherbergte sie eine junge Frau aus Leipzig, die Flugblätter verteilt hatte und von Spitzeln verraten worden war. Elfriede kümmerte sich um Verpflegung, bot seelischen Beistand und organisierte über Kontakte eine sichere Weiterfahrt. Trotz aller Vorsicht lebte sie in ständiger Angst, entdeckt zu werden.
Sie heiratete einen gleichgesinnten Genossen, der ebenfalls unter Beobachtung stand, und bekam zwei Kinder. Die Familie musste mehrfach umziehen, um der Überwachung zu entgehen. Während ihr Mann im Zweiten Weltkrieg als Soldat an die Front geschickt wurde – gegen seinen Willen und unter Zwang –, musste Elfriede ihre antifaschistische Haltung im Alltag weitgehend verbergen. Doch trotz aller Vorsicht nutzte sie kleine Handlungsspielräume: Sie bewahrte ihre politischen Schriften im Geheimen auf, hielt Kontakt zu Gleichgesinnten und bewahrte sich in Gesprächen mit Vertrauten eine kritische Haltung gegenüber dem Regime. schlug sich Elfriede mit Gelegenheitsarbeiten durch – zeitweilig als Näherin im Eichsfeld, später als Haushaltshilfe in verschiedenen Städten –, stets bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Besonders in den letzten Kriegsjahren wurde das Leben zunehmend härter: Lebensmittel waren knapp, die Bombenangriffe häuften sich, und die politische Kontrolle durch die Gestapo wurde immer strikter.
Ihr Widerstand in dieser Zeit bestand im Überleben, im stillen Bewahren ihrer Überzeugungen, im heimlichen Kontakt mit alten Genossinnen und Genossen, und im Verweigern der totalen Anpassung. Sie hörte verbotene Sender wie Radio Moskau und BBC, schrieb Tagebuchnotizen, von denen ein Teil nach dem Krieg erhalten blieb und später in einem lokalen Archiv dokumentiert wurde, die sie in Verstecken aufbewahrte, und verteilte gelegentlich heimlich Flugblätter, die ihr aus dem Widerstandskreis zugespielt wurden. Ihr Mut äußerte sich nicht in spektakulären Aktionen, sondern im alltäglichen Beharren auf Würde und Solidarität.
Sie hatte die zwölf dunklen Jahre der faschistische Diktatur "ohne Gefängnis" überstanden, wie sie später mit bitterem Unterton feststellen sollte. Doch diese relative Verschonung sollte ihr in der Bundesrepublik nicht vor politischer Verfolgung schützen. Im Rückblick erkannte sie, dass der offene Widerstand unter Hitler gefährlich, aber eindeutig war: Man wusste, mit wem man es zu tun hatte, und konnte sich in der Illegalität zumindest auf die Solidarität innerhalb der Bewegung verlassen. In der Bundesrepublik hingegen kam die Repression oft in Form scheinbar rechtsstaatlicher Verfahren, in denen Gesinnung kriminalisiert und legale Solidaritätsarbeit zur „staatsgefährdenden Tätigkeit“ umgedeutet wurde. Für Elfriede war dies eine besonders perfide Form des Unrechts, da sie sich plötzlich in einem Staat verfolgt sah, der sich selbst als demokratisch und antifaschistisch ausgab, während er ihre Vergangenheit als Widerstandskämpferin ignorierte oder gar verdammte. – die politische Repression im Westen der Nachkriegszeit dagegen wirkte oft subtiler, aber nicht minder zerstörerisch für Menschen mit aufrechter Gesinnung.
Neubeginn nach 1945 und politisches Engagement
Nach dem Ende des Krieges engagierte sich Elfriede Kautz auch wieder in der neu gegründeten Roten Hilfe, die sich in der Bundesrepublik formierte, um erneut politische Gefangene zu unterstützen. Diese Nachfolgeorganisation knüpfte an die Tradition der Weimarer Zeit an, wurde jedoch in der Öffentlichkeit häufig mit Misstrauen betrachtet und von staatlichen Stellen schon früh als potenziell verfassungsfeindlich eingestuft und bemühte sich, vor allem kommunistische und linke Aktivisten, die nun im Kalten Krieg in Westdeutschland verfolgt wurden, rechtlich und materiell zu unterstützen. Elfriede half bei der Verbreitung von Informationsmaterial, sammelte Spenden und vermittelte Anwältinnen und Anwälte für Betroffene. In Zeiten politischer Repression wurde diese Arbeit schnell selbst zum Risiko – doch Elfriede scheute sich nicht, ihre Solidarität offen zu zeigen.
Die Befreiung vom Faschismus 1945 bedeutete für Elfriede Kautz auch die Befreiung aus dem erzwungenen Schweigen. Sie konnte nun wieder offen politisch arbeiten, ihre Stimme erheben, sich organisieren. In der jungen Bundesrepublik schloss sie sich erneut der inzwischen wieder zugelassenen KPD an, in einer Zeit, in der die Kommunistische Partei in Westdeutschland zunehmend unter politischem Druck stand. Bereits Anfang der 1950er Jahre wurde sie von der Bundesregierung und dem Verfassungsschutz überwacht, ihre Mitglieder wurden schikaniert, entlassen oder verhaftet, und das politische Klima war stark antikommunistisch geprägt, die trotz zunehmender Repression durch die Adenauer-Regierung weiter für Frieden und soziale Gerechtigkeit eintrat. Sie engagierte sich in antifaschistischen Kreisen, half beim Wiederaufbau linker Netzwerke, organisierte politische Abende und beteiligte sich an Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Faschismus. Hannover und Niedersachsen waren in den Nachkriegsjahren Heimat vieler ehemaliger Widerstandskämpferinnen und -kämpfer, und Elfriede war eine von ihnen. Sie gehörte zu den wenigen in Westdeutschland, die keine Berührungsängste gegenüber der Sowjetzone – der späteren DDR – hatten. Sie pflegte regelmäßigen Briefkontakt mit Freundinnen und Freunden aus antifaschistischen Kreisen in Ostdeutschland. Besonders intensiv war der Austausch mit einer ehemaligen Mitstreiterin aus der Roten Hilfe, die in Leipzig lebte und ihr regelmäßig Berichte über antifaschistische Kulturarbeit, Jugendprojekte und den Aufbau von Gedenkstätten zusandte. Dieser Briefwechsel führte 1953 zur Einladung in ein internationales Frauenforum in Weimar, bei dem Elfriede erstmals ihre Erfahrungen mit Repression im Westen öffentlich schilderte, besuchte Konferenzen der Friedensbewegung in der DDR und beteiligte sich an kulturellen Austauschprojekten, bei denen politische Bildung und internationale Solidarität im Mittelpunkt standen. Als überzeugte Kommunistin suchte sie den Austausch mit Gleichgesinnten jenseits der innerdeutschen Grenze. Anfang der 1950er Jahre, als der Ost-West-Konflikt sich verschärfte, blieb Elfriede Kautz ihrer antifaschistischen und internationalistischen Gesinnung treu. Sie glaubte an Völkerverständigung, an den Frieden durch Begegnung, wie sie selbst einmal sagte: „Die Freundschaft der Kinder ist stärker als jede Grenze.“ und daran, dass Kinder – die nächste Generation – unbefangen Freundschaften über Grenzen hinweg schließen sollten. In diesem Geist begann sie 1954, gemeinsam mit ihrer Freundin Gertrud Schröter, Ferienaufenthalte für westdeutsche Arbeiterkinder in der DDR zu organisieren. Unterstützt wurden sie dabei von weiteren engagierten Frauen, unter anderem der Lehrerin Helga Jürgensen aus Osnabrück, der Gewerkschafterin Irmgard Keller aus Hildesheim und der Krankenschwester Ruth Stein aus Braunschweig. Diese Frauen beteiligten sich an der Organisation, begleiteten Kindergruppen auf den Reisen oder halfen bei der Abwicklung der Anmeldung und Betreuung. Die Idee war einfach und menschlich: Kinder sollten Ferien machen können, und insgesamt nahmen über die Jahre rund 7.000 westdeutsche Kinder an diesen organisierten Fahrten teil, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und frei von politischer Hetze.
„Frohe Ferien“ – Brücken bauen in schwierigen Zeiten
Elfriede Kautz war Mitbegründerin der Zentralen Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder“ (Zentrale Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder“) in Niedersachsen. Dieses Projekt ermöglichte Jungen und Mädchen aus sozial schwachen Familien der Bundesrepublik preisgünstige Ferien in Ferienlagern der DDR – beispielsweise im Harz, im Thüringer Wald oder an der Ostsee. Die DDR übernahm die Kosten für Unterkunft, Betreuung, Programm und Verpflegung, und die Deutsche Bundesbahn stellte Sonderzüge bereit – eine Zusammenarbeit, die auf intensiven Absprachen zwischen Vertretern beider deutscher Staaten beruhte und regelmäßig durch zivilgesellschaftliche Kontakte vorbereitet wurde, um die Kinder sicher in den Osten zu bringen. Für viele Arbeiterkinder der 1950er Jahre waren dies unvergessliche, unbeschwerte Ferienwochen, fern vom grauen Alltag. Elfriede Kautz und Gertrud Schröter organisierten über sieben Sommer hinweg diese Ferienreisen mit großer Sorgfalt und Hingabe. Allein aus Niedersachsen nahmen jährlich rund 1.000 Kinder an den dreiwöchigen Lagern teil, was über die gesamte Dauer der Aktion zu einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 7.000 Teilnehmenden führte – ein Umfang, der in dieser Form im West-Ost-Austausch der Nachkriegszeit einzigartig war. Die Kinder erlebten Gemeinschaft, sportliche Spiele, Bastelstunden, Lagerfeuer und Ausflüge. Viele von ihnen berichteten noch Jahre später mit leuchtenden Augen von ihren Erlebnissen.
Doch die politische Großwetterlage schlug bald um. Spätestens nach dem Verbot der KPD im Jahr 1956 wurden staatliche Stellen in Westdeutschland misstrauisch. Man argwöhnte, die Zentrale Arbeitsgemeinschaft „Frohe Ferien für alle Kinder“ könne eine „kommunistische Tarnorganisation“ sein. Die zunehmende Repression gegen linke Gruppen und Einzelpersonen traf auch Elfriede Kautz. 1961, im Jahr des Mauerbaus, zog die westdeutsche Justiz die Reißleine: Die ZAG wurde abrupt verboten. Damit endete diese Form der Völkerbegegnung jäh. Was als humanitäres Projekt für Kinder gedacht war, wurde zur politischen Zielscheibe. Insbesondere das Bundesinnenministerium, der niedersächsische Verfassungsschutz und führende CDU-Politiker auf Landesebene betrachteten die ZAG zunehmend als Instrument kommunistischer Einflussnahme. Medienberichte aus konservativen Tageszeitungen schürten zusätzlich den Verdacht, die Ferienaktionen dienten der "Unterwanderung" westdeutscher Kinder durch DDR-Ideologie.
Verhaftung und Prozess im Kalten Krieg
Im Herbst 1961 kam es zum Eklat: Elfriede Kautz und Gertrud Schröter wurden verhaftet. Die Staatsanwaltschaft erhob eine Anklage wegen „landesverräterischer Beziehungen“ und „staatsgefährdender Nachrichtendiensttätigkeit“. Der Vorwurf: Sie hätten die Daten der Ferienkinder an die DDR weitergegeben. Die Organisation der Ferienfreizeiten wurde als „politische Beeinflussung“ gewertet. Juristisch stützte sich die Anklage auf Paragraf 100 des damaligen Strafgesetzbuches, der „staatsgefährdende Beziehungen“ unter Strafe stellte. Schon die Teilnahme an organisierten Kontakten mit Institutionen der DDR konnte demnach als Anfangsverdacht gewertet werden – insbesondere wenn Kinder betroffen waren, die nach Auffassung der Ermittler besonders leicht zu beeinflussen seien. Die Anklage stützte sich dabei auf die Annahme, dass bereits die Begegnung westdeutscher Kinder mit dem Alltag in der DDR sowie das gemeinsame Erleben von Kultur und Freizeitangeboten einen ideologischen Einfluss darstelle. Medienberichte in konservativen Zeitungen unterstellten den Organisatorinnen eine subtile Indoktrination. So schrieb etwa die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“, es handle sich bei den DDR-Ferienlagern um eine „kommunistische Erziehungsmaßnahme durch die Hintertür“, und das Boulevardblatt „Bild“ warnte vor einer „roten Seuche auf Urlaub“ durch scheinbar harmlose Ferienmaßnahmen, was die Stimmung gegen das Projekt weiter anheizte. Selbst das gemeinsame Singen und Basteln wurde in der Anklageschrift als Indiz für staatsfeindliche Propaganda aufgeführt. Der politische Charakter des Verfahrens war offensichtlich. Besonders auffällig war die Rolle des Oberstaatsanwalts, der bereits im Faschismus als linientreuer Jurist tätig gewesen war und in den 1930er Jahren durch seine harte Linie gegen linke Aktivisten bekannt wurde. Nach 1945 wurde er wie viele andere Juristen in der Bundesrepublik in seinem Amt belassen und setzte seine autoritäre Auslegung des Strafrechts fort. Darüber hinaus wurde bekannt, dass politische Entscheidungsträger aus dem niedersächsischen Innenministerium Einfluss auf den Verlauf der Ermittlungen nahmen, um ein Exempel zu statuieren. Kritiker warfen dem Gericht vor, weniger an objektiver Rechtsfindung als an politischer Abschreckung interessiert gewesen zu sein. So wurde in der Anklageschrift betont, dass selbst das „Verteilen von Liedblättern mit harmlosen Kinderliedern“ als Indiz für eine systematische Einflussnahme im Sinne der DDR-Ideologie gewertet wurde. In der Presse hieß es, die Ferienlager hätten den "Geist des Kommunismus ins Kinderzimmer geschleppt" – eine Aussage, die deutlich zeigt, wie stark ideologisch das Verfahren aufgeladen war. 1963 trat Elfriede Kautz eine einjährige Haftstrafe in der Frauenanstalt Vechta an. Es folgte eine Welle der internationalen Solidarität: über 60.000 Briefe und Protestnoten aus aller Welt erreichten die Justizbehörden. Unter den Unterstützern befanden sich Persönlichkeiten wie der Theologe Martin Niemöller, der französische Schriftsteller Louis Aragon und die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis – sie alle äußerten sich öffentlich gegen die Inhaftierung von Elfriede Kautz und warben für ihre Freilassung. Unterstützung kam aus Ost und West, aus der Friedensbewegung, von Künstlern, Gewerkschaften und Intellektuellen. Letztlich wurde sie im Dezember 1963 vorzeitig entlassen. Der Fall hatte bundesweit und international für Aufsehen gesorgt und führte in linken Kreisen sowie Teilen der Öffentlichkeit zu einer breiten Diskussion über politische Justiz in der Bundesrepublik. Es kam zu parlamentarischen Anfragen im niedersächsischen Landtag und zu kritischen Berichten in überregionalen Medien. Juristisch blieb der Fall zunächst ohne direkte Folgen, trug jedoch langfristig dazu bei, das Bewusstsein für die Problematik antikommunistischer Repressionen in Westdeutschland zu schärfen und das Thema politische Justiz in der Bundesrepublik auf die Tagesordnung zu setzen.
Engagement und Anerkennung in der Nachkriegszeit
Nach ihrer Haft kehrte Elfriede Kautz gesundheitlich angeschlagen, aber unbeugsam nach Hannover zurück. Die Monate in der Frauenhaftanstalt Vechta hatten körperliche Spuren hinterlassen, doch ihr politischer Wille war ungebrochen. Noch im selben Jahr trat sie der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) bei. Die Organisation war in den 1960er Jahren in Westdeutschland politisch umstritten: Während sie sich selbst als überparteiliche Interessenvertretung der Nazi-Verfolgten verstand, wurde sie von konservativen Kreisen und dem Verfassungsschutz häufig als kommunistisch beeinflusst betrachtet und überwacht. Dort fand sie ein neues politisches Zuhause, das ihr nicht nur Anerkennung und Solidarität bot, sondern auch Raum für die Fortsetzung ihres lebenslangen Engagements. Neben der VVN-BdA blieb sie auch weiterhin mit der Roten Hilfe verbunden, deren Nachkriegsstrukturen sie durch Spendenarbeit, Informationsverbreitung und persönliche Unterstützung verfolgter Genossinnen und Genossen stärkte. Gerade im Umfeld der Kriminalisierung der Friedensbewegung und der kommunistischen Organisationen in den 1970er Jahren nahm sie in dieser Hilfsorganisation erneut eine aktive Rolle ein, insbesondere bei juristischen Beratungen und Solidaritätsaktionen für politische Gefangene.
Elfriede Kautz engagierte sich mit großem Nachdruck in lokalen Friedensbündnissen, beteiligte sich an Mahnwachen gegen Atomwaffen, unterstützte Jugendgruppen bei politischer Bildungsarbeit und arbeitete aktiv in der Gedenkstättenarbeit mit. Ihre Vorträge, in denen sie ungeschönt von Verfolgung, Repression und Ausgrenzung sprach, beeindruckten viele Zuhörerinnen und Zuhörer – insbesondere junge Menschen, die sie als Zeitzeugin und unermüdliche Kämpferin für soziale Gerechtigkeit erlebten. Dabei scheute sie sich nicht, auch unbequeme Wahrheiten anzusprechen: über das Schweigen nach 1945, die Kontinuitäten alter Eliten und die Doppelmoral der sogenannten westlichen Demokratie.
Sie wurde für viele jüngere Genossinnen und Genossen zu einer moralischen Instanz. Besonders eindrucksvoll war ihr Auftritt beim Antikriegstag 1983 in Hannover, wo sie mit klarer Stimme gegen die Stationierung neuer Raketen und für Abrüstung sprach. Ein junger Aktivist erinnerte sich später: „Wenn Elfriede redete, wurde es still. Sie hatte die Aura von jemandem, der wirklich gelitten und trotzdem nie aufgegeben hatte.“ Auch auf regionalen Bildungstagen und in Schulen war sie gern gesehene Rednerin – stets bescheiden, aber mit klarer Botschaft.
Mehrfach beantragte sie in den folgenden Jahren eine Rehabilitierung ihrer Verurteilung durch die westdeutsche Justiz. Unterstützt von linken Juristen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, verwies sie auf das politische Klima der 1960er Jahre, die Voreingenommenheit der Richter und den absurden Charakter der Vorwürfe. Nach dem Verbot der KPD 1956 hielt sie dennoch an ihrer kommunistischen Überzeugung fest und engagierte sich später auch in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die 1968 als legale Nachfolgeorganisation der KPD gegründet wurde. Doch die Justiz blieb stur. Eine offizielle Anerkennung des begangenen Unrechts blieb ihr bis zu ihrem Tod versagt.
Lebensende und Vermächtnis
Elfriede Kautz starb 2007 in Hannover im Alter von 99 Jahren. Ihr Leben war geprägt vom Kampf für Gerechtigkeit, gegen Faschismus und gegen politische Willkür in zwei deutschen Staaten. Sie steht für eine Generation mutiger Frauen, die auch nach 1945 nicht verstummten, sondern weiter für eine bessere Welt eintraten. Ihr Name lebt in den Chroniken des antifaschistischen Widerstands weiter – als Symbol für Menschlichkeit, Standhaftigkeit und Hoffnung auf eine friedlichere Zukunft. Initiativen und Gedenkstunden erinnern bis heute an ihren Einsatz. In Hannover wurde 2010 eine Gedenktafel an ihrem früheren Wohnhaus angebracht. Außerdem erschien eine biografische Broschüre über ihr Leben im Rahmen eines lokalen Projekts zur Erinnerung an Widerstandskämpferinnen. Eine Straßenbenennung steht bislang noch aus, wird jedoch von verschiedenen Initiativen gefordert. Elfriede Kautz hat mit ihrem mutigen und bescheidenen Wirken gezeigt, dass Widerstand nicht immer spektakulär, aber immer notwendig ist, wenn Unrecht geschieht. Sie hat Spuren hinterlassen, nicht nur in Akten und Archiven, sondern in den Herzen derer, die sich mit ihr verbunden fühlten.
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