Ein Notfall-Kit gegen den Frieden?
EU-Vorsorge oder politische Angstmache?
Die EU-Kommission fordert ein Notfall-Kit für 72 Stunden. Was auf den ersten Blick wie ein pragmatischer Vorschlag zur Krisenvorsorge erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als fragwürdige Initiative mit potenziell beunruhigenden Hintergründen. Die Maßnahme wird offiziell als Schutz für die Bevölkerung verkauft, doch sie wirft zahlreiche Fragen auf und lenkt die Aufmerksamkeit auf tiefere politische Absichten, die hinter der harmlos klingenden Maßnahme stehen könnten.
Der Vorschlag passt in eine Reihe von Entscheidungen der EU, die zunehmend den Charakter von Sicherheitsstaatlichkeit annehmen. Ein Beispiel dafür ist die Einführung des „EU-Krisenreaktionsmechanismus“, der bei angeblichen Bedrohungslagen weitreichende Eingriffe in die Grundrechte ermöglicht, ohne demokratische Kontrolle. Auch die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds zeigt, wohin die Reise geht: nicht in Richtung Entspannung, sondern in Richtung Militarisierung und Überwachung. Was als Vorsorge kommuniziert wird, kann auch als gezielte Erziehung zu Gehorsam und Passivität in Krisenzeiten interpretiert werden. Durch die Normalisierung von Notfallszenarien entsteht ein gesellschaftliches Klima, das sich an Ausnahmesituationen gewöhnt und politische Machtverschiebungen nicht mehr hinterfragt.
Die Begründung: Europa soll auf Szenarien wie Naturkatastrophen, große Industrieunfälle, Cyberangriffe oder gar einen plötzlichen militärischen Angriff vorbereitet werden. Besonders die Betonung auf eine russische Bedrohung fällt ins Auge. Statt nüchterner Risikoeinschätzung erleben wir eine Dramatisierung, die Ängste schürt und Feindbilder verfestigt. Kritiker vermuten, dass nicht die Sicherheit der Bürger im Vordergrund steht, sondern die gezielte Erzeugung eines Bedrohungsszenarios, das politische Zwecke erfüllt und zugleich militärische sowie wirtschaftliche Interessen bedient.
Drei-Tage-Paket gegen Raketen?
Doch selbst wenn man das Szenario einer russischen Invasion ernst nähme – welchen Schutz bietet dann ein Überlebenspaket für drei Tage? Wird dadurch der Krieg gestoppt? Werden Raketen damit abgewehrt? Die Maßnahme wirkt hilflos, symbolisch und vor allem ideologisch aufgeladen, da sie ein Bedrohungsszenario suggeriert, das bestimmte politische Deutungsmuster (sogenannte Narrative) stärkt und eine gesellschaftliche Akzeptanz für Aufrüstung und autoritäre Maßnahmen vorbereitet. Sie vermittelt das Bild einer Welt, in der Konflikte unvermeidlich sind – und Kriegsvorbereitung zur Bürgerpflicht wird.
Ein solches Paket mag für kurze Stromausfälle oder bei extremem Wetter sinnvoll erscheinen, doch im Kontext eines militärischen Großkonflikts ist es schlicht realitätsfern. Die Vorstellung, dass Wasserflaschen, Konserven und Batterien im Ernstfall eine tragende Rolle spielen könnten, verdeutlicht die Absurdität dieser Politik. In Wahrheit wird hier eine Scheinsicherheit erzeugt – eine psychologische Beruhigungspille, die die Bevölkerung an den Gedanken gewöhnen soll, dass Krieg nicht nur möglich, sondern auch überlebbar sei.
Gleichzeitig verlagert die Maßnahme die Verantwortung für den Schutz vom Staat auf das Individuum. Der Bürger soll selbst vorsorgen, sich selbst schützen – und wird damit in eine Rolle gedrängt, die ihn isoliert, anstatt Solidarität zu fördern. In einem echten Krisenfall braucht es funktionierende öffentliche Strukturen, kollektive Organisation und soziale Unterstützung – keine individualisierte Selbsthilfe mit Trockenbrot und Taschenlampe.
Das Notfall-Kit steht damit exemplarisch für eine Politik, die nicht mehr auf Frieden, sondern auf Anpassung an den Ausnahmezustand setzt. Anstatt Konflikte zu entschärfen, bereitet man die Menschen auf deren Normalisierung vor. Das ist nicht nur gefährlich, sondern ein Bruch mit dem Versprechen eines sozialen, friedlichen Europas.
Medien und Feindbilder
Hinzu kommt: Die mediale Begleitung dieser Initiative ist alles andere als neutral. Große Medienhäuser inszenieren die Maßnahme als verantwortungsvolle Vorbereitung – ohne die politische Botschaft zu hinterfragen. Dabei liegt sie auf der Hand: Russland soll als permanentes Feindbild etabliert werden. Die EU präsentiert sich als Schutzmacht, doch sie agiert wie ein Bündnis im Kalten Krieg.
Statt kritischer Distanz herrscht Einheitsmeinung. Talkshows, Nachrichtensendungen und Leitartikel greifen das Narrativ von der russischen Gefahr auf, ohne alternative Sichtweisen zuzulassen. Der mediale Konsens verstärkt damit das Sicherheitsdenken, statt es zu hinterfragen. Friedenspolitische Stimmen, die zur Mäßigung mahnen oder diplomatische Ansätze fordern, werden an den Rand gedrängt oder pauschal als naiv diskreditiert.
Zudem verengt sich die öffentliche Debatte auf militärische Lösungen. Die Frage, wie Konflikte friedlich gelöst werden können, wird kaum noch gestellt. Wer auf Verständigung setzt, wird oft als unpatriotisch abgestempelt. Diese Entwicklung ist brandgefährlich: Eine Demokratie braucht Meinungsvielfalt – gerade in Zeiten der Krise.
Die Medien, die einst als vierte Gewalt zur Kontrolle der politischen Macht galten, scheinen nun selbst Teil eines Systems zu sein, das auf Eskalation statt Deeskalation setzt. Große Sender wie ARD oder ZDF greifen regelmäßig sicherheitspolitische Positionen der Regierung auf, ohne sie grundsätzlich zu hinterfragen – besonders wenn es um die Russlandpolitik geht. Auch große Tageszeitungen wie die FAZ oder der SPIEGEL vermitteln in ihren Leitartikeln häufig ein bedrohungsorientiertes Weltbild, das kaum Raum für diplomatische Zwischentöne lässt. Anstatt Brücken zu bauen, werden Gräben vertieft. Das schwächt nicht nur die Pressefreiheit, sondern untergräbt das Vertrauen der Bevölkerung in unabhängige Berichterstattung.
Wer profitiert wirklich?
Die wahren Profiteure dieser Angstkampagnen sitzen nicht in den Schutzbunkern, sondern in den Führungsetagen der Waffenindustrie, der Sicherheitsfirmen, der politischen Denkfabriken. Während die Bevölkerung mit Symbolpolitik beruhigt und in einen Zustand passiver Akzeptanz versetzt wird, klingeln bei den großen Konzernen die Kassen. Milliarden fließen in neue Waffensysteme, Überwachungstechnologien und militärische Infrastruktur – alles im Namen der Sicherheit.
Gleichzeitig entstehen immer engere Verbindungen zwischen Politik, Rüstungslobby und Beratungsfirmen, die als vermeintlich neutrale Experten Einfluss auf die öffentliche Debatte nehmen. Diese Verflechtung gefährdet nicht nur demokratische Entscheidungsprozesse, sondern sorgt auch dafür, dass friedliche Alternativen kaum Gehör finden. Wer nicht ins militaristische Konzept passt, wird marginalisiert oder diffamiert. So erging es etwa kritischen Stimmen wie der früheren UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte, die sich gegen Sanktionen und für Diplomatie aussprach – und dafür medial kaum Gehör fand oder als russlandfreundlich abgestempelt wurde.
Auch technologische Großunternehmen profitieren: Von der digitalen Überwachung bis hin zu neuen Verteidigungsplattformen im Cyberbereich werden Geschäftsmodelle aufgebaut, die auf Angst basieren. Die permanente Unsicherheit schafft einen Markt, der nie versiegt. Die Rhetorik vom „Schutz“ dient dabei als Tarnung für handfeste Profitinteressen.
Einmal mehr zeigt sich: Es geht nicht um den Menschen, sondern um Macht, Kontrolle und wirtschaftliche Interessen. Der Preis dafür ist hoch – bezahlt wird er von einer Bevölkerung, die mit Notfall-Kits abgespeist wird, während im Hintergrund die Aufrüstung voranschreitet.
Die Logik der Angst
Die Geschichte lehrt uns, dass Kriegspropaganda selten als solche daherkommt. Sie tarnt sich als Vorsorge, als Verantwortung, als Sicherheitspolitik. In der Vergangenheit wurden Kriege immer wieder mit der Behauptung vorbereitet, man müsse sich lediglich verteidigen. Die Öffentlichkeit wird mit Begriffen wie "Verantwortung" oder "Schutz" in eine moralische Zwangslage gebracht: Wer nicht mitmacht, gefährdet angeblich das Gemeinwohl.
Doch wer genau hinschaut, erkennt die Muster: Die gezielte Erzeugung von Angst, um Zustimmung zu erpressen. Diese Strategie ist alt und bewährt – und doch immer wieder wirksam. Sie spielt mit Urinstinkten der Menschen, mit dem Wunsch nach Sicherheit und Kontrolle. Wenn Angst zum ständigen Begleiter wird, schwinden Rationalität und Kritikfähigkeit. Gesellschaften lassen sich leichter lenken, wenn sie in permanenter Alarmbereitschaft leben.
Gleichzeitig wird der Handlungsspielraum der Bürgerinnen und Bürger eingeschränkt. Was als Schutzmaßnahme beginnt, endet nicht selten in repressiven Gesetzen, Zensur und Militarisierung. Die Angstpolitik wirkt wie ein unsichtbarer Käfig: Wer Angst hat, stellt keine Fragen – und wer keine Fragen stellt, akzeptiert alles.
Dabei wäre die Alternative so einfach wie wirksam: Aufklärung, Deeskalation, soziale Sicherheit. Eine Gesellschaft, die auf Vertrauen statt auf Misstrauen baut, braucht keine Propaganda. Sie braucht Frieden – in den Köpfen und in der Politik.
Für eine Politik des Friedens
Eine linke, friedensorientierte Politik darf dieser Strategie nicht auf den Leim gehen, sondern muss ihr eine klare, solidarische Praxis entgegensetzen: Aufklärungskampagnen, die Ängste entkräften, breite gesellschaftliche Bündnisse für Abrüstung und friedliche Konfliktlösung sowie eine konsequente Stärkung sozialer Rechte. Nur so lässt sich der Logik der Angst eine Politik der Hoffnung und des Vertrauens entgegensetzen. Stattdessen braucht es klare Worte gegen Aufrüstung und Kriegshetze. Es braucht eine offensive Gegenstrategie, die nicht nur reaktiv ist, sondern aktiv eine neue Vision für Europa entwickelt – eine Vision jenseits von Militarisierung, Abschottung und Angstrhetorik. Statt Panik-Kits zu verteilen, muss die EU den Weg der Diplomatie einschlagen, muss wirtschaftliche Kooperation statt militärischer Konfrontation fördern. Eine echte Sicherheitspolitik setzt auf gerechte Verteilung von Ressourcen, auf Bildung, auf Gesundheitsversorgung und soziale Absicherung – nicht auf Kasernenbau und Bedrohungsszenarien.
Ein Europa der Völkerfreundschaft braucht keine Vorratsdosen, sondern eine soziale und friedliche Vision. Es braucht kulturellen Austausch, solidarische Infrastruktur und echte Teilhabe aller Menschen am politischen Prozess. Eine solche Politik denkt Zukunft, statt sich in Kriegsfantasien zu verlieren.
Die Menschen in Europa wollen keinen Krieg. Sie wollen Sicherheit, aber nicht auf Kosten von Eskalation. Sie wollen Fürsorge, aber keine Angstmache. Sie wollen ein Leben in Würde, nicht im Ausnahmezustand. Und sie verdienen eine Politik, die ihnen diese Wünsche erfüllt – nicht eine, die sie manipuliert. Eine Politik, die sich ihrer Verantwortung für Frieden, Menschlichkeit und soziale Gerechtigkeit bewusst ist – und die bereit ist, diesen Weg auch gegen den Strom zu gehen.
Back to Top