Die Alten an die Front!
Weil angeblich die Älteren die „Friedensdividende“ verprasst haben, sollen sie nun im Krieg Dienst tun – wie unter dem Deckmantel der Generationengerechtigkeit die Militarisierung vorangetrieben wird und warum die Linke dagegenhalten muss.
Panik vor „dem Russen“ – damals wie heute
Ein Beispiel aus einem Pflegeheim verdeutlicht dies: Eine 94-jährige Frau rief lautstark über den Flur: „Hilfe! Die Russen kommen!“ Eine Pflegekraft versuchte die aufgebrachte Seniorin zu beruhigen: „Aber nein, so etwas sagt man heute nicht mehr.“ – Wenn es doch so wäre! In Wahrheit erleben wir gegenwärtig eine Renaissance genau jener Angstparolen. Das ideologische Niveau der NATO-Staaten und der Bundesregierung liegt mittlerweile auf dem Stand einer verängstigten, an Demenz erkrankten alten Dame. Alles, was an reaktionär-militaristischem Staatsumbau um uns geschieht, wird mit der Prämisse begründet, „der Russe“ müsse militärisch aufgehalten werden – sonst stehe er am Ende noch in Lissabon. Der alte Kalte-Kriegs-Reflex „Die Russen kommen“ ist zurück und dient erneut als Hauptrechtfertigung für eine massive Aufrüstung und Kriegspolitik.
Diese Angstrhetorik wird, ähnlich wie schon in der Kuba-Krise oder während der Berlin-Blockade, gezielt reproduziert. Sie dient dazu, die Gesellschaft Schritt für Schritt an den Gedanken zu gewöhnen, dass Krieg, Opfer und Militarisierung unausweichlich seien. Wer sich dieser Logik widersetzt, gilt schnell als „naiv“, „unsolidarisch“ oder gar als „fünfte Kolonne Moskaus“. Dabei ist es gerade diese angebliche „Realpolitik“, die Menschenrechte, soziale Sicherheit und Frieden verrät. Schon während des Kalten Krieges lebten Millionen Menschen in Angst vor einem Atomschlag, der angeblich jederzeit drohe. Heute wird dieses Bedrohungsszenario wieder aufgelegt – diesmal unter dem Vorwand der Verteidigung „europäischer Werte“.
Wehrpflicht reaktiviert: Rentner für den Krieg?
Deutlich wird dieser Irrsinn in der aktuellen Debatte um eine Reaktivierung der Wehrpflicht – diesmal jedoch für alle Generationen. Ausgerechnet der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, fordert ein verpflichtendes Dienstjahr auch für Senioren – notfalls sogar im Bereich der Verteidigung. Die Diskussion über eine Wiedereinführung des Wehr- und Pflichtdienstes fokussiere sich zu einseitig nur auf die Jugend, moniert der Ökonom; die ältere Generation solle sich „stärker einbringen […] beispielsweise im Sozialbereich, aber auch bei der Verteidigung“. Mit anderen Worten: Oma und Opa ab an die Front, wenn es sein muss. Anmeldungen zum neuen „Volkssturm“ nimmt das DIW wohl ab sofort entgegen.
Doch damit nicht genug. Fratzscher begründet seinen Vorstoß mit einem angeblichen Generationenegoismus der Älteren. Den heute alten Menschen – jene mit Kriegserfahrung oder dem historischen Wissen um 87 Millionen Kriegstote – wirft er „zu viel Ignoranz, Selbstbezogenheit und Naivität“ vor. Worin soll diese Naivität bestehen? Fratzscher liefert die Antwort gleich mit: „So haben wir nach dem Ende des Kalten Krieges gedacht, wir müssten uns nie mehr verteidigen – und haben die Friedensdividende verfrühstückt.“ Die Rechnung komme nun, daher „müssen wir jetzt über fünf Prozent Verteidigungsausgaben reden“. Mit auffallender Deutlichkeit unterstellt der Ökonom der Nachkriegsgeneration also, sie habe in friedlichen Zeiten zu gut gelebt – auf Kosten der heutigen Jugend – und deswegen stehe nun ein teures Wettrüsten an. Kurz: Die Alten hätten den Gürtel nicht enger geschnallt, also sollen sie gefälligst noch einmal die Stiefel schnüren.
Diese Argumentation erinnert fatal an den Volkssturm von 1944 und ist nicht nur eine zynische Verdrehung der Geschichte, sondern auch eine politische Nebelkerze. Statt über die Ursachen der sozialen Schieflage zu reden – etwa über Steuerpolitik zugunsten der Reichen, Deregulierung und Privatisierungen – wird die Schuld den älteren Generationen zugeschoben. Der Diskurs der „Generationengerechtigkeit“ soll die Klassenfrage verdrängen. Während Banken und Konzerne in den vergangenen Jahrzehnten Milliardengewinne einstrichen, wird nun die Erzählung verbreitet, die Rentner hätten zu viel konsumiert. Die Folge: Junge gegen Alte – doch tatsächlich geht es um Arm gegen Reich. Dieser Widerspruch verweist unmittelbar auf die Klassenfrage und leitet zum nächsten Abschnitt über.
Feindbilder und Vorwände: Alte Lügen für neue Kriege
Zur Legitimation dieser umfassenden Militarisierung bedarf es eines permanenten Bedrohungsszenarios. Die Geschichtsbücher lehren uns, dass Kriege selten ohne vorgeschobene Gründe vom Zaun gebrochen werden. Schon 1939 inszenierten die Faschisten mit dem Überfall auf den Sender Gleiwitz einen polnischen Angriff, um den Überfall auf Polen propagandistisch zu rechtfertigen. „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen!“, verkündete Goebbels damals. Man fragt sich unweigerlich, ab welcher Uhrzeit diesmal „zurückgeschossen“ werden soll, um die neue Kriegsoffensive zu bemänteln.
Als weiteres Beispiel sei der Erste Weltkrieg genannt: Er brauchte einen offiziellen Anlass – das Attentat auf den Thronfolger 1914 –, wenngleich die eigentlichen Triebkräfte woanders lagen. Und die Beispiele setzen sich fort: 1999 behauptete der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping allen Ernstes, die jugoslawische Armee habe im Stadion von Pristina ein KZ für Kosovaren errichtet. Diese schauerliche Lüge diente als moralische Rechtfertigung für den ersten deutschen Kampfeinsatz seit 1945 – doch ein ARD-Fernsehbericht entlarvte später, dass es für das angebliche Konzentrationslager keinerlei Belege gab. Scharping und Co. hatten die Öffentlichkeit mit erfundenen „serbischen KZs“ und der Parole „Nie wieder Auschwitz!“ manipuliert, um den völkerrechtswidrigen NATO-Angriff auf Jugoslawien zu verkaufen. Auf vergleichbare Weise wurden 2003 nicht existierende „Massenvernichtungswaffen“ im Irak erfunden, um die Invasion durch US-Truppen zu legitimieren – ein Krieg, dessen langfristige Folgen Instabilität, Terrorismus und Millionen Flüchtlinge hervorbrachten, was die Parallelen zu heutigen Konflikten verdeutlicht.
Heute erleben wir dieselben Mechanismen erneut – verstärkt durch eine gleichgeschaltete Medienlandschaft, die Feindbilder unablässig reproduziert und kritische Stimmen marginalisiert. Mit allen Mitteln wird Russland als bedrohlicher Aggressor dargestellt, der angeblich ganz Europa unterwerfen wolle. Tatsächlich aber nutzt die NATO diese Rhetorik, um ihre eigene Expansion zu rechtfertigen, neue Märkte für Waffen zu erschließen und die Gesellschaft zu militarisieren. Die Kriegspropaganda bedient sich alter Muster, weil sie funktioniert. Wer einmal akzeptiert, dass ein „Feind“ vor den Toren steht, ist leichter bereit, Freiheitsrechte aufzugeben, Sozialkürzungen hinzunehmen und selbst die eigenen Kinder in den Krieg zu schicken.
Die verlogene Sicherheitspolitik des Westens
Während das Schreckgespenst vom russischen Eroberungszug bemüht wird, lohnt ein Blick hinter die Kulissen der westlichen Sicherheitspolitik. Dort zeigt sich eine Heuchelei sondergleichen. Dieselben NATO-Staaten, die angeblich für „Frieden, Freiheit und Sicherheit“ Waffen in Krisenregionen liefern, tun dies vor allem im eigenen Interesse. Frieden hatte in Washington, London oder Berlin nämlich offenkundig keine Priorität, als sich 2022 in Istanbul tatsächlich Chancen für ein Ende des Ukraine-Krieges abzeichneten. Doch dieser Hoffnungsschimmer wurde jäh sabotiert, weil die westlichen Staaten eine Schwächung Russlands durch einen langen Krieg strategisch bevorzugten und daher kein Interesse an einer schnellen Friedenslösung hatten. Ein hochrangiger NATO-Diplomat brachte die zynische Haltung damals auf den Punkt: Es sei besser, die Ukrainer weiterkämpfen und sterben zu lassen, als einen „zu frühen“ Frieden zuzulassen.
Die NATO präsentiert sich als angebliches „Verteidigungsbündnis“, hat jedoch in Afghanistan, Libyen und anderen Schauplätzen längst bewiesen, dass sie weltweit offensiv agiert. Die Osterweiterung, die Einmischung in den Nahen Osten, die Konfrontation mit China – all dies zeigt, dass es nicht um Verteidigung, sondern um Vormacht und Märkte geht. Dass Deutschland in den nächsten Jahren Hunderte Milliarden Euro für Rüstung verplant, ist kein Ausdruck von Sicherheitspolitik, sondern ein gigantisches Konjunkturprogramm für die Rüstungsindustrie.
Kriegskasse klingelt: Profiteure der Aufrüstung
Wer profitiert von dieser Entwicklung, und welche Kapitalinteressen stehen im Hintergrund? Folgen wir der Spur des Geldes, landen wir unweigerlich bei der Rüstungsindustrie und den Großkapitalisten. Während Normalbürger mit Preissteigerungen und Sozialkürzungen zurechtkommen müssen, boomt das Geschäft mit dem Tod. Die 100 größten Waffenhersteller der Welt steigerten ihren Umsatz 2023 auf den Rekordwert von 632 Milliarden US-Dollar. Deutsche Konzerne mischen kräftig mit: Rheinmetall etwa verzeichnete – ebenso wie internationale Rüstungsgiganten wie Lockheed Martin oder BAE Systems – ein Umsatzplus von 10 % und strebt neue Produktionsstätten in der Ukraine an, um die Kriegsmaschinerie vor Ort direkt zu beliefern. Aktienkurse von Rüstungsfirmen kennen seit Kriegsbeginn nur eine Richtung: nach oben. Und mit ihnen wuchs das Vermögen der Anteilseigner – eine neue Generation von Kriegs-Milliardären ist entstanden, während an der Front und in zerbombten Städten Menschen ihr Leben verlieren. Damit wird klar, wer profitiert: eine kleine Schicht von Konzernen und Aktionären, während die Mehrheit verliert.
Diese Umverteilung von unten nach oben ist kein Zufall, sondern Teil des Systems. Hunderte Milliarden Euro an Steuergeldern – also von der breiten Bevölkerung erwirtschaftetes Geld – werden in Rüstungsetats umgeleitet. Profite daraus streichen Rüstungskonzerne und ihre Besitzer ein. Jeder Euro, der ins Militär fließt, fehlt im zivilen Bereich: in Schulen, Krankenhäusern, Rentenkassen. Die Ampel-Regierung in Berlin hat ohne Zögern ein Sondervermögen von 100 Milliarden € für die Bundeswehr aufgelegt, während sie gleichzeitig den Bürgern predigt, man müsse sparen. Mit der Inflation und den Folgekosten der Krise werden Sozialleistungen zusammengestrichen – ein schleichender Sozialabbau, der uns als „notwendige Sparpolitik“ verkauft wird.
Die schwache Rolle der Linkspartei
Angesichts der politischen Konsequenzen dieser Militarisierung wäre eigentlich eine entschlossene linke Opposition gefragt. Doch die Partei Die Linke zeigt ein schwaches Bild. Die Basis mag noch kämpferisch sein, doch die Spitze wirkt müde und defensiv. Besonders problematisch war das Interview mit Jan van Aken, einst als Abrüstungsaktivist bekannt: Statt Diplomatie zu fordern, fabulierte er über russische Angriffsszenarien und sprach gar von der Kaperung russischer Öltanker. Solche Aussagen bestätigen die Kriegspropaganda, statt ihr zu widersprechen.
Ein kurzer Blick auf die Klassenanalyse verdeutlicht, wie wichtig klare Begriffe wären: Auch seine Bemerkungen zur Ausbeutung – reduziert auf „stressige Arbeit an der Aldi-Kasse“ – verharmlosen die Realität des Kapitalismus. Ausbeutung ist kein Gefühl, sondern das systematische Abpressen von Mehrwert aus Arbeit. Wenn linke Politiker das nicht klar benennen, verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit.
Widerstand von links – nötiger denn je
Jetzt ist die Zeit gekommen, in der linke Kräfte ihre Stimme erheben müssen. Die Militarisierung frisst sich durch alle Lebensbereiche – Bildung, Medien, Kultur. Der Krieg wird nicht nur an der Front geführt, sondern auch in den Köpfen. Wer ihn verhindern will, muss die Propaganda entlarven, die Profiteure benennen und den sozialen Widerstand organisieren.
Nein zur Wehrpflicht – ob für Jugendliche oder Rentner! Nein zur Militarisierung! Ja zu Diplomatie und Frieden!
Nur durch vereinten Widerstand kann verhindert werden, dass wir erneut in die Katastrophe taumeln. Die Alten sollen zu den Waffen – so der groteske Plan der Herrschenden. Doch wir sagen: Alt und Jung gemeinsam gegen den Krieg! Für eine Zukunft in Frieden, mit Gerechtigkeit und ohne Ausbeutung.