Sozialer Kahlschlag als System: Der Klassenkrieg von oben
Wie Union und SPD die Armut per Gesetz verschärfen
Ein Kommentar zur geplanten Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme
Die Herrschenden machen ernst. Was sich über Jahre hinweg angebahnt hat, nimmt nun konkrete Formen an: ein systematischer und kalkulierter Angriff auf die Rechte und das Leben der Lohnabhängigen, der Arbeitslosen, der Alten, Kranken und Alleinerziehenden. Ein Frontalangriff auf all jene, die sich nicht wehren können oder sollen – insbesondere Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, chronisch Kranke, Menschen mit Behinderung und ältere Erwerbslose. Unter dem Deckmantel von Haushaltsdisziplin, Effizienz und dem zynischen Motto „Fördern und Fordern“ wird ein brutales System sozialer Disziplinierung aufgebaut. Die Pläne für das sogenannte „Bürgergeld“ entpuppen sich in Wahrheit als Instrument zur Verelendung und Kontrolle – ein kaltes, juristisch durchgeplantes Erpressungsregime.
Hinzu kommt: Die öffentliche Diskussion über Armut und Arbeitslosigkeit ist geprägt von Schuldzuweisungen und moralisierenden Erzählungen. Wer nicht arbeitet, gilt als faul, wer Unterstützung braucht, als Last. Diese gesellschaftliche Erzählung ist kein Zufall, sondern Teil einer gezielten Strategie, die soziale Realität unsichtbar zu machen und Solidarität zu verhindern.
Die Sprache der Macht ist perfide: Wo einst von Sozialstaat und Gerechtigkeit gesprochen wurde, heißt es heute „Eigenverantwortung“ und „Leistungsgerechtigkeit“. Doch in Wahrheit geht es nicht um Teilhabe oder Befähigung, sondern um Ausschluss und Kontrolle. Der neoliberale Staat zieht sich nicht zurück – er rüstet auf, aber nur nach innen, gegen die eigenen Bürger.
Gleichzeitig wird die Verantwortung für die Krise auf Einzelne abgewälzt. Die strukturellen Ursachen von Erwerbslosigkeit, etwa die Vernichtung von Arbeitsplätzen durch Automatisierung, Standortverlagerung und Profitmaximierung, werden verschwiegen. So wird aus einem gesellschaftlichen Problem ein individuelles Versagen gemacht – und aus einem Anspruch auf Hilfe ein Gnadenakt, den man sich verdienen muss.
Bürgergeld als Unterwerfungsinstrument
Dieses System knüpft bewusst an die schlimmsten Elemente früherer Sozialreformen an. Hartz IV war bereits ein Instrument der Angst, ein Mittel zur Zwangsarbeit unter dem Schleier angeblicher Motivation. Doch die aktuelle Offensive geht weiter: Sie streicht nicht nur Rechte, sie nimmt den Betroffenen die Würde. Wer in den Augen des Amtes „nicht kooperiert“, wird gnadenlos aussortiert. So kann es etwa genügen, eine E-Mail mit Bewerbungsnachweisen zu spät zu schicken oder ein ärztliches Attest nicht fristgerecht nachzureichen, um als unwillig zu gelten – mit schwerwiegenden Folgen bis hin zum vollständigen Leistungsentzug.
Immer mehr Berichte von Betroffenen zeigen, wie sich die Ämter in der Praxis verhalten: Menschen werden unter Druck gesetzt, Verträge zu unterzeichnen, die sie nicht verstehen. Termine werden kurzfristig vergeben und bei Nichterscheinen trotz nachgewiesener Gründe sanktioniert. Die Angst vor Fehlern lähmt viele – und sie ist politisch gewollt. Die bürokratische Überforderung, die fehlende Transparenz, die ständige Androhung von Sanktionen – all das dient der Disziplinierung, nicht der Hilfe.
Union (Christlich Demokratische Union) und SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands), einst als Volksparteien gegründet, fungieren heute als Vollstrecker der Interessen von Banken, Konzernen und Finanzeliten. Anstatt für das Wohl des Volkes zu sorgen, treten sie als Architekten eines neuen Strafsystems auf, das jene vernichten soll, die nicht reibungslos in den Arbeitsmarkt passen. Wer sich dem Zwang zur Ausbeutung entzieht, wird vom Staat verstoßen. Kein Geld, kein Strom, keine Wohnung – so sieht der neue Sozialstaat von oben aus. Es ist ein Klassenkampf, geführt mit Paragraphen und Sanktionen.
Besonders perfide ist dabei, dass sich diese Politik der sozialen Kälte hinter einer Fassade von Modernisierung und Digitalisierung verbirgt. Unter dem Schlagwort der „Effizienz“ werden Onlineportale geschaffen, die den persönlichen Kontakt ersetzen und gleichzeitig die Kontrolle erhöhen. Künstliche Intelligenz und automatisierte Algorithmen entscheiden mit über Sanktionen und Anspruchsberechtigungen. Menschliche Bedürfnisse spielen in diesem Prozess kaum eine Rolle. Was zählt, ist die Reibungslosigkeit der Verwaltung und der finanzielle Nutzen für den Staat – auf Kosten der Menschenwürde.
Angst als Herrschaftsprinzip
Besonders perfide ist der psychologische Effekt dieses Angriffs: Er zielt darauf, das Selbstwertgefühl der Menschen zu zerstören. Wer als arbeitslos gilt, wird sozial entwertet. Die Ursachen für Arbeitslosigkeit – wie Standortverlagerungen, Betriebsstilllegungen oder schlicht Überkapazitäten – werden ausgeblendet. Die Schuld wird dem Einzelnen aufgebürdet. Und wer als „selbst schuld“ gilt, dem kann man auch das Letzte nehmen – das Existenzminimum.
Im Mittelpunkt dieser Strategie steht das Bürgergeld, die scheinbar soziale Alternative zu Hartz IV. Doch was als Verbesserung verkauft wurde, entpuppt sich als Verschärfung. Dauerhafte Totalsanktionen sollen möglich werden. Wer als „Totalverweigerer“ abgestempelt wird – etwa weil er oder sie einen unterbezahlten Job verweigert oder aus nachvollziehbaren Gründen keine Bewerbungen schreibt – soll dauerhaft auf Null gesetzt werden. Damit wird das Existenzrecht zur Belohnung für Unterwerfung. Es geht nicht mehr um Hilfe, sondern um Kontrolle. Wer nicht gehorcht, soll leiden – und zwar offen sichtbar für alle anderen.
Diese Strategie verfolgt ein klares Ziel: Einschüchterung. Die Angst vor Sanktionen wird zur Waffe, um sozialen Gehorsam zu erzwingen und jegliche Widerstandskraft im Keim zu ersticken. Nicht nur der Erwerbslosen, sondern vor allem der arbeitenden Bevölkerung. Wer seine Stelle verliert, soll wissen, was ihm blüht. Die Angst vor dem sozialen Absturz soll so groß werden, dass jede Zumutung, jede Lohnkürzung, jede Überstunde akzeptiert wird – aus nacktem Überlebenswillen. Der Druck auf dem Arbeitsmarkt wird bewusst erhöht, die Schutzrechte werden systematisch abgebaut. Es geht darum, eine Armee von disziplinierten und ausbeutbaren Arbeitskräften zu schaffen.
Die lange Linie der sozialen Kontrolle
Diese Strategie hat Tradition. Schon im Kaiserreich wurden Arbeitslose als „arbeitsscheu“ diffamiert, im Nationalsozialismus wurden sie verfolgt, in der Bundesrepublik stigmatisiert. Ein Beispiel: In den 1980er Jahren verschärfte die Bundesregierung unter Helmut Kohl die Sozialgesetzgebung, Arbeitslose wurden unter Generalverdacht gestellt, Leistungskürzungen und Zwangsmaßnahmen verschärft. In den 1990er Jahren setzte sich diese Entwicklung unter dem Schlagwort „aktivierende Sozialpolitik“ fort – mit Maßnahmen, die Erwerbslose zu Niedriglohnjobs zwangen und sie gleichzeitig mit immer komplexeren bürokratischen Anforderungen überforderten.
Diese Entwicklung kulminierte schließlich in den Hartz-Gesetzen der 2000er Jahre unter der rot-grünen Regierung. Die Einführung von Hartz IV bedeutete für Millionen Menschen nicht nur einen sozialen, sondern auch einen psychologischen Abstieg: entwürdigt, entrechtet, entreichert. Die Angst vor Sanktionen wurde zum ständigen Begleiter – und sie wirkte. Die Menschen wurden disziplinierter, stiller, angepasster. Genau das war gewollt.
Die Methoden ändern sich, das Ziel bleibt: Kontrolle durch Angst. Auch heute wird wieder eine Trennlinie gezogen zwischen „Fleißigen“ und „Faulen“, zwischen „Leistungsträgern“ und „Sozialschmarotzern“. Diese Spaltung dient nur einem Zweck: die Solidarität zu zerstören. Wer sich bedroht fühlt, kämpft nicht für andere – er kämpft ums eigene Überleben. Und genau das ist der Boden, auf dem autoritäre Systeme gedeihen.
Scheinargumente und neoliberale Täuschung
Gleichzeitig entlarvt sich die Argumentation der politischen Eliten als scheinheilig. Sie reden vom Fachkräftemangel, schaffen aber keine Bildungsangebote. Sie sprechen von Teilhabe, aber schließen Millionen aus. Anstatt zu fördern, soll gedrillt werden. Qualifikation und persönliche Entwicklung spielen keine Rolle mehr. Gefordert ist totale Verfügbarkeit. Die Menschen sollen nicht mehr leben, sie sollen funktionieren. Wer sich verweigert, wird aussortiert.
Die Arbeitswelt selbst passt sich dieser Logik an: befristete Verträge, Leiharbeit, ausufernde Praktika und Niedriglohnjobs sind längst Alltag geworden. Selbst qualifizierte Fachkräfte werden durch systematische Prekarisierung entwertet. Die Schulung zur Anpassung beginnt bereits in den Schulen, wo ökonomischer Nutzen zunehmend über soziale Bildung gestellt wird. Die Botschaft ist klar: Wer nicht funktioniert, wird ersetzt.
In der öffentlichen Debatte wird diese Politik flankiert von sogenannten „Experten“, wirtschaftsnahen Instituten und Medienkommentatoren, die das Dogma der Eigenverantwortung unablässig predigen. Der Druck auf Einzelne wird dadurch nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch legitimiert. Armut wird zum persönlichen Makel erklärt, während Reichtum als Zeichen von Tüchtigkeit gilt – eine gefährliche Umkehrung sozialer Wirklichkeit.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 mit seinem Urteil über Sanktionen bei Hartz IV noch versucht, einen Rest an Menschenwürde zu bewahren. Sanktionen über 30 Prozent seien unzulässig, hieß es damals. Doch es ließ eine Lücke – die nun zur Waffe wird. Wer eine zumutbare Arbeit verweigert, so die Argumentation, ist nicht mehr hilfsbedürftig. Was zumutbar ist, entscheiden Behörden. Und diese entscheiden nach wirtschaftlichen Interessen, nicht nach menschlichen Maßstäben. Die sogenannte Große Koalition (Union und SPD) nutzt diese Lücke nun aus, um mit dem Bürgergeld eine neue Ära der sozialen Verelendung einzuleiten.
Was dabei besonders schwer wiegt: Es sind nicht nur einzelne Entscheidungen oder technische Regelungen, die hier wirken. Es ist eine tief verwurzelte Ideologie der Verwertbarkeit, die den Menschen nur noch nach seinem ökonomischen Nutzen bewertet. Dieser Kulturbruch vollzieht sich leise, aber unaufhaltsam – und er trifft zuerst jene, die sich am wenigsten dagegen wehren können.
Kapitalistische Krise – und ihre „Lösungen“
Es geht um Macht. Es geht um Kontrolle. Und es geht darum, die Kosten der kapitalistischen Krise auf jene abzuwälzen, die am wenigsten dafür können.
Denn während die Unternehmensgewinne steigen und die Reichen reicher werden, sinkt der Lebensstandard der Mehrheit. Die Obdachlosigkeit nimmt zu, die psychische Belastung wächst, die soziale Spaltung vertieft sich. Doch das ist kein bedauerlicher Nebeneffekt – es ist Teil des Plans. Der Kapitalismus in der Krise braucht Gehorsam, keine Mitbestimmung. Er braucht billige Arbeitskräfte, keine gebildeten Bürger. Er braucht Angst – keine Solidarität.
Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern Folge der Krise des Systems. Der Kapitalismus stößt global an seine Grenzen. Die Ausbeutung im globalen Süden stößt auf Widerstand, die geopolitische Vorherrschaft des Westens bröckelt, die Profite schrumpfen. Um das System am Laufen zu halten, werden im globalen Norden die sozialen Errungenschaften geschleift. Die Armen sollen noch ärmer werden, damit die Reichen bleiben, was sie sind. Die Zerschlagung der sozialen Sicherung ist dabei kein Nebenschauplatz – sie ist Teil der Strategie.
Repression im Innern – und das Schweigen im Außen
Diese Strategie umfasst mehr als nur Sozialpolitik. Sie ist tief verwoben mit den Interessen der Großkonzerne und internationalen Finanzmärkte, die durch niedrige Löhne, soziale Disziplinierung und politische Stabilität ihre Profite sichern wollen. Diese Kräfte beeinflussen maßgeblich politische Entscheidungen, sie finanzieren Wahlkämpfe, platzieren Lobbyisten in Ministerien und diktieren die Agenda wirtschaftsfreundlicher „Reformen“. Was als Demokratie erscheint, ist oft nur ein Deckmantel für die Durchsetzung ökonomischer Macht.
Sie reicht hinein in die Medien, die diese Maßnahmen rechtfertigen und die Betroffenen verächtlich machen. Erwerbslose werden als „faul“ oder „ungebildet“ dargestellt, kritische Stimmen marginalisiert, strukturelle Zusammenhänge verschwiegen. Talkshows und Leitartikel bedienen ein Weltbild, das den Sozialabbau als „alternativlos“ verkauft und das Mitgefühl durch Verachtung ersetzt.
Auch die Justiz spielt eine nicht zu unterschätzende Rolle in diesem Machtgefüge. Obwohl sie formal unabhängig ist, trifft sie oft Entscheidungen, die sich gegen die Schwächsten richten – durch jahrelange Verzögerungen, restriktive Auslegung von Anspruchsrechten oder formalistische Urteile, die an der sozialen Realität vorbeigehen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam – und nicht selten in eine Richtung.
Diese umfassende Strategie wird flankiert von einer Politik der inneren Aufrüstung: Videoüberwachung, Polizeibefugnisse, Kontrolle im digitalen Raum. Der Sicherheitsapparat wird ausgebaut, nicht zuletzt mit dem Ziel, die Kontrolle über die eigene Bevölkerung zu erhöhen. Wer arm ist, gilt als verdächtig, wer sich wehrt, als extremistisch. In vielen Städten werden Obdachlose aus den Innenstädten verdrängt, nicht um ihnen zu helfen, sondern um sie unsichtbar zu machen. Die Armen sollen nicht nur schweigen – sie sollen gar nicht erst gesehen werden.
So entsteht eine Gesellschaft, in der Repression und Kontrolle zur Normalität werden, in der sich soziale Ungleichheit nicht nur verstetigt, sondern als Ordnungsideal etabliert. Die politischen und ökonomischen Eliten organisieren diesen Prozess bewusst – als Absicherung ihrer Macht in einer Welt, deren soziale Spannungen sich zuspitzen.
Was tun?
Was bleibt? Der Widerstand. Wir dürfen nicht schweigen. Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Wir müssen solidarisch sein, organisiert, kämpferisch. Der Klassenkampf ist in vollem Gange – und er wird von oben geführt. Höchste Zeit, dass wir von unten antworten. Nicht morgen. Heute.
Dieser Widerstand muss auf allen Ebenen geführt werden: in den Betrieben, auf der Straße, in den Stadtteilen, in den Medien. Wir brauchen starke Netzwerke, mutige Stimmen, gemeinsame Aktionen. Wir brauchen Aufklärung statt Panik, Hoffnung statt Resignation, Zusammenhalt statt Konkurrenz. Nur so können wir die herrschende Logik durchbrechen, die uns gegeneinander ausspielt und in Vereinzelung treibt.
Der Aufbau von Gegenmacht beginnt im Kleinen – in der solidarischen Nachbarschaft, in der gewerkschaftlichen Basisarbeit, in politischen Initiativen und alternativen Medien. Wir müssen Räume schaffen, in denen andere Werte zählen als Verwertbarkeit und Konkurrenz. Räume für Menschlichkeit, für Würde, für ein gutes Leben für alle.
Widerstand heißt auch, der Lüge der Alternativlosigkeit zu widersprechen. Es gibt Alternativen: eine soziale Gesellschaft, die niemanden zurücklässt; ein Wirtschaftsmodell, das auf Solidarität und Nachhaltigkeit basiert; ein Gemeinwesen, das auf Mitbestimmung und sozialer Gerechtigkeit aufbaut. Diese Alternativen müssen nicht erfunden werden – sie müssen organisiert, erkämpft und verteidigt werden.
Der Wandel wird nicht von oben kommen. Er wird nur geschehen, wenn wir ihn von unten in Bewegung setzen. Nicht morgen. Heute.
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