August Baumgarte –
ein unbeugsamer Widerstandskämpfers aus Hannover
Herkunft und Jugendjahre
August Baumgarte wurde am 11. November 1904 in Hannover geboren. Er entstammte einem sozialdemokratisch geprägten Elternhaus und war der älteste von vier Kindern. Seine Kindheit fiel in die Zeit des Ersten Weltkriegs, seine Jugend in die bewegten Jahre der Weimarer Republik. Bereits als Kind bekam er die Entbehrungen des Krieges und der Nachkriegszeit zu spüren: Hunger, Not und politische Unruhen bestimmten den Alltag vieler Arbeiterfamilien. Diese Erfahrungen prägten Baumgartes ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, das schon früh zu einer politischen Haltung heranreifte. Besonders prägte ihn dabei auch der Einfluss seines Vaters, eines überzeugten Sozialdemokraten, der regelmäßig mit Gleichgesinnten über politische Fragen diskutierte und seinem Sohn ein tiefes Verständnis für soziale Ungleichheit vermittelte.
Mit 15 Jahren begann er eine Lehre als Schlosser in einem hannoverschen Metallbetrieb. Dort erlebte er die harte Realität der Arbeitswelt, die Ausbeutung durch Kapitalbesitzer und die geringe Wertschätzung der körperlichen Arbeit. Früh trat er der Gewerkschaft bei, um gemeinsam mit anderen Arbeitern für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Auch die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ), in der viele Jugendliche ihre ersten politischen Schritte gingen, wurde für ihn zu einer wichtigen Schule des Denkens. In Diskussionen, Lesekreisen und politischen Aktionen entwickelte sich Baumgarte zu einem klar denkenden jungen Proletarier mit tiefem Klassenbewusstsein. Besonders prägend war in dieser Zeit seine Bekanntschaft mit einem älteren Genossen aus dem Ersten Weltkrieg, der ihm von der Brutalität der Front, aber auch vom Verrat der Oberen an der arbeitenden Bevölkerung erzählte – eine Erzählung, die Baumgartes Hass auf Krieg und Imperialismus bestärkte.
Im Jahr 1923 – geprägt von den Wirren des Kapp-Putsches, den Ruhrkämpfen und dem Aufstieg rechter Freikorps – beteiligte sich Baumgarte am Aufbau des Republikanischen Schutzbundes Hannover. Diese Organisation hatte sich dem Schutz der Republik und der Arbeiterorganisationen gegen faschistische Gewalt verschrieben und wurde später Teil des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. In ihr kämpften ehemalige Frontsoldaten, Sozialdemokraten und Linke gemeinsam gegen den aufkeimenden Faschismus. Baumgarte nahm aktiv an Schutzaktionen und Kundgebungen teil und erlebte erstmals direkte Konfrontationen mit faschistischen Kräften.
Die zunehmende wirtschaftliche Not der 1920er-Jahre, die Massenarbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise, das politische Chaos und das offensichtliche Versagen der sozialdemokratischen Führungen führten Baumgarte 1926 zur Entscheidung, sich dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) anzuschließen. Dort fand er Anschluss an eine revolutionäre Bewegung, die nicht auf Reformen setzte, sondern den Bruch mit dem kapitalistischen System anstrebte. Entscheidenden Einfluss auf diesen Schritt hatte auch ein Vortrag des bekannten marxistischen Redners Ernst Thälmann in Hannover, den Baumgarte als Wendepunkt seines politischen Bewusstseins betrachtete.
Bald wurde Baumgarte Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), in deren Reihen er seinen politischen Kampf mit voller Überzeugung fortsetzte. Er engagierte sich im Kampfbund gegen den Faschismus, organisierte politische Schulungen für Jugendliche und junge Arbeiter, verteilte Aufklärungsbroschüren und Flugblätter in Betrieben und Stadtteilen und trat in Betrieben als kämpferischer Vertreter der Arbeiterinteressen auf. Er wurde in den Betriebsrat gewählt und kämpfte konsequent für bessere Löhne, Arbeitsbedingungen und den Schutz der Arbeiterrechte. Seine mutigen Aktionen führten häufig zu Konflikten mit der Polizei und mit Arbeitgebern, die versuchten, ihn mundtot zu machen – durch Abmahnungen, Drohungen oder sogar Entlassung. Doch Baumgarte ließ sich nicht einschüchtern. Er glaubte an die Macht der organisierten Arbeiterklasse und war bereit, für seine Überzeugung jede Konsequenz zu tragen.
Kampf gegen den Faschismus
August Baumgarte war ein entschiedener Gegner der faschistischen Bewegung, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik immer offener und brutaler auftrat. Die ständigen Provokationen, die Gewalt auf der Straße, die systematische Einschüchterung durch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und ihre Schlägertrupps machten den Alltag für politisch Aktive lebensgefährlich. Bereits in dieser Zeit kam es regelmäßig zu heftigen Zusammenstößen mit den sogenannten Sturmabteilungen (SA), insbesondere bei politischen Versammlungen oder Demonstrationen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Baumgarte war an zahlreichen Saal- und Straßenschlachten beteiligt, organisierte Schutztrupps, die antifaschistische Veranstaltungen sicherten, und zeigte dabei eine beeindruckende Standfestigkeit, die ihm große Anerkennung unter seinen Genossen einbrachte. Er war nicht nur mutig, sondern auch strategisch klug – er wusste, wie man Gegnern entgegentrat, ohne unnötige Risiken für Unbeteiligte einzugehen. Im Herbst 1932 wurde er erstmals verhaftet, jedoch mangels stichhaltiger Beweise wieder freigelassen. Die Behörden hatten ihn jedoch längst im Visier.
Mit der Machtübertragung an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 änderte sich alles. Die Kommunisten gehörten zu den ersten, die von der neuen faschistischen Diktatur verfolgt wurden. Bereits am 28. Februar 1933, unmittelbar nach dem von den Faschisten instrumentalisierten Reichstagsbrand, wurde Baumgarte im Rahmen einer landesweiten Verhaftungswelle gegen kommunistische Funktionäre festgenommen. Er wurde in das Konzentrationslager Moringen verschleppt – eines der frühen Lager, in dem politische Gegner systematisch misshandelt wurden. Es folgten weitere Stationen: das KZ Esterwegen im Emsland, das berüchtigt war für seine unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen und in dem viele Häftlinge an Entkräftung oder Misshandlungen starben. Dort gehörte Baumgarte zu den wenigen, die durch Disziplin und Solidarität überleben konnten.
Später wurde er zu Zuchthausstrafen wegen angeblicher „Vorbereitung zum Hochverrat“ verurteilt – ein gängiger Vorwurf gegen Antifaschisten. Er verbrachte Jahre in Gefängnissen, in denen die Zustände kaum besser waren als in den Konzentrationslagern. Schließlich folgte die Überstellung in die Konzentrationslager Sachsenhausen und 1944 in das besonders grausame Lager Mauthausen. Dorthin wurde er unter dem Vermerk „Rückkehr unerwünscht“ deportiert – ein geheimer Mordbefehl, der bedeutete, dass die betreffende Person durch harte Arbeit oder systematische Vernachlässigung getötet werden sollte. Das Lager Mauthausen galt als eines der mörderischsten im faschistischen System, insbesondere durch seine Steinbrüche, die als "Todesstiege" bekannt wurden. Wer dort arbeiten musste, hatte kaum Überlebenschancen.
Doch Baumgarte überlebte. Er widerstand nicht nur den körperlichen Qualen, sondern auch dem Versuch, ihn psychisch zu brechen. Seine politische Klarheit, sein solidarisches Handeln und seine moralische Haltung machten ihn für viele Mithäftlinge zum Vorbild. Insgesamt war er fast zwölf Jahre ununterbrochen in Haft – eine Zeitspanne, die für viele den Tod bedeutete. Für Baumgarte wurde sie zum Prüfstein seiner Entschlossenheit, seinem Ideal treu zu bleiben und auch unter unmenschlichen Bedingungen nicht zu kapitulieren. Diese Leidenszeit brach nicht seinen Willen – sie schärfte ihn und ließ ihn aus dem Grauen des Faschismus als gefestigter Kämpfer hervorgehen.
Überleben im Lager – und Widerstand im Innern
Während seiner langen Haftjahre engagierte sich Baumgarte unermüdlich im illegalen Lagerwiderstand. In Sachsenhausen wie auch später im besonders berüchtigten Konzentrationslager Mauthausen war er aktives Mitglied kommunistischer Untergrundgruppen. Diese organisierten heimlich Unterstützung für geschwächte Mithäftlinge, beschafften Medikamente, gaben Informationen weiter und bemühten sich, besonders gefährdete Häftlinge vor Selektionen zu bewahren. In kleinen, konspirativen Gruppen diskutierten sie politische Fragen, hielten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft wach und schufen Strukturen gegenseitiger Solidarität. Auch versuchten sie, Lageraufseher und Funktionäre auszuspähen, um Übergriffe zu verhindern oder aufzuklären. Darüber hinaus war es Baumgarte wichtig, auch kulturelle und geistige Elemente des Widerstands zu pflegen – Gedichte, Erinnerungen, kleine Vorträge zirkulierten unter Lebensgefahr zwischen den Zellen.
Besonders in Mauthausen, wo die Todesrate extrem hoch war und systematische Vernichtung durch Arbeit betrieben wurde, war Baumgartes Engagement lebensgefährlich. Er versuchte, Transporte zu registrieren, Essensrationen unter den Schwächsten gerecht zu verteilen und gegen die völlige Entmenschlichung anzukämpfen. Immer wieder setzte er sich auch dafür ein, kranke Mithäftlinge bei Arbeitskommandos zu entlasten oder zu schützen, selbst wenn das bedeutete, sich selbst in Gefahr zu bringen. Seine Fähigkeit, selbst in ausweglosen Situationen einen klaren Kopf zu behalten, trug dazu bei, dass viele Mithäftlinge in ihm eine moralische Stütze sahen. Baumgarte glaubte: Auch in der Hölle der Konzentrationslager müsse der Mensch Mensch bleiben. Diese Überzeugung trieb ihn an. Es war diese innere Stärke, die ihn nicht nur selbst am Leben hielt, sondern auch anderen Mut machte.
Trotz brutalster Bedingungen, systematischer Folter, ständiger Demütigungen, Hunger und schwerster Zwangsarbeit blieb Baumgarte unbeugsam. Er war tief davon überzeugt: Auch im Lager dürfe man sich nicht in die Rolle des bloßen Opfers drängen lassen, sondern müsse aktiv, mit allen verfügbaren Mitteln, gegen die faschistische Barbarei ankämpfen. Seine Haltung, sein Mut und seine Beharrlichkeit machten ihn für viele Mithäftlinge zu einem Vorbild, einer moralischen Autorität, der sie vertrauten und zu der sie aufblickten. Er war kein Anführer im formellen Sinn, aber ein Mensch, der durch Haltung und Taten führte. In einer Welt, in der die Regeln der Menschlichkeit außer Kraft gesetzt schienen, blieb er ein Orientierungspunkt. Viele Überlebende berichteten später, dass sie ohne seinen Trost, seine Standhaftigkeit oder seine helfende Hand womöglich aufgegeben hätten.
Die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch US-amerikanische Truppen am 5. Mai 1945 erlebte Baumgarte schwer gezeichnet, aber lebend. Er war körperlich ausgezehrt bis aufs Skelett, seine Gesundheit dauerhaft geschädigt, doch sein Wille war ungebrochen. Geistig klar, fest entschlossen und erfüllt von einem tiefen Sinn für historische Verantwortung, nahm er sich vor, den antifaschistischen Kampf unter neuen Bedingungen fortzusetzen. Die Erinnerung an die Toten – an seine Freunde, Kameraden, Mitstreiter – wurde für ihn zur Verpflichtung für ein Leben im Dienste des Friedens, der Gerechtigkeit und der sozialen Befreiung. Seine ersten Worte gegenüber den Befreiern sollen sinngemäß gelautet haben: „Wir haben überlebt, nicht um zu schweigen, sondern um zu handeln.“ Dieses Vermächtnis trug er zeitlebens in seinem Herzen.
Neubeginn in der Nachkriegszeit
Noch im Sommer 1945 kehrte Baumgarte in seine Heimatstadt Hannover zurück, wo er sofort aktiv wurde. Ohne zu zögern nahm er Verbindung zu anderen überlebenden Genossinnen und Genossen auf, um die politischen und organisatorischen Grundlagen für ein neues, antifaschistisches Deutschland zu schaffen. Sein Ziel war klar: Nie wieder dürfe die Macht des Kapitals mit dem Faschismus gemeinsame Sache machen. Die Lehren aus der Vergangenheit mussten in eine gerechte Zukunft münden. Gemeinsam mit anderen Überlebenden des faschistischen Terrors gründete er die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die sich zum Ziel setzte, die Verbrechen des Faschismus aufzuarbeiten, die Rechte der Opfer zu vertreten und jede Form von Neofaschismus entschieden zu bekämpfen.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit veröffentlichte die VVN erste Flugblätter und Broschüren, in denen sie das Unrecht dokumentierte, das den politischen Häftlingen, Zwangsarbeitern und KZ-Überlebenden angetan worden war. Sie forderte umfassende Entnazifizierung, die Bestrafung von NS-Verbrechern und soziale Unterstützung für die Opfer des Faschismus. Bereits 1946 kam es zu ersten Spannungen mit westdeutschen Behörden, die der VVN politische Einseitigkeit vorwarfen. Baumgarte und seine Mitstreiter hielten dagegen – ihre Position war klar: Wer gegen den Faschismus gekämpft hat, hat das Recht und die Pflicht, auch in der jungen Republik gehört zu werden.
Die VVN entwickelte sich bald zu einer der bedeutendsten Stimmen der Erinnerung und Mahnung in der Bundesrepublik. Baumgarte war von Anfang an eine zentrale Figur in dieser Organisation – nicht nur organisatorisch, sondern auch moralisch.
Zugleich übernahm er erneut Verantwortung in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und wurde Landessekretär der KPD und der VVN in Niedersachsen. In dieser Funktion war er unermüdlich unterwegs: Er hielt Vorträge in Schulen, Betrieben, Kulturhäusern und auf Gedenkveranstaltungen, organisierte antifaschistische Gedenktage, half beim Wiederaufbau der Partei und setzte sich für eine gerechtere Gesellschaft ein. Für Baumgarte war klar: Die Bundesrepublik durfte keine Restauration alter Machtverhältnisse zulassen. Besonders kritisch beobachtete er die Wiedereinstellung alter Faschisten in Polizei, Justiz und Verwaltung. Für ihn war der Antifaschismus keine Vergangenheit, sondern tägliche Pflicht und aktives Erinnern.
Doch die politische Entwicklung der 1950er-Jahre stellte Baumgarte erneut vor große Herausforderungen. Der beginnende Kalte Krieg führte zu einer zunehmenden Repression gegen Linke, die unter dem Deckmantel des „Verfassungsschutzes“ verfolgt wurden. 1956 wurde die KPD in der Bundesrepublik verboten – ein Angriff auf die politische Meinungsfreiheit und ein Frontalangriff auf all jene, die sich in der Tradition des antifaschistischen Widerstands sahen. Baumgarte ließ sich davon nicht einschüchtern und blieb politisch aktiv. Er nahm weiter an Gedenkveranstaltungen teil, schrieb Artikel und war in antifaschistischen Bündnissen engagiert. 1957 wurde er verhaftet, weil er angeblich die Tätigkeit für eine verbotene Partei fortgeführt hatte. Das Urteil: zwei Jahre und zwei Monate Gefängnis – ein neuerlicher Versuch, ihn mundtot zu machen. Damit einher ging der Verlust aller Entschädigungsansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz – eine doppelte Strafe für einen Mann, der zwölf Jahre seines Lebens im Kampf gegen den Faschismus verbracht hatte. Für Baumgarte war dies nicht nur eine persönliche Kränkung, sondern Ausdruck der kalten politischen Rechnung einer Bundesrepublik, die die wahren Antifaschisten ausgrenzte, während sie Altnazis schützte.
Mutiger Auftritt gegen NS-Kontinuitäten
1962 kam es zu einem denkwürdigen und öffentlichkeitswirksamen Auftritt August Baumgartes vor dem Bundesverwaltungsgericht in West-Berlin. Dort sollte ein Verbotsverfahren gegen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) verhandelt werden – eine Organisation, die von ehemaligen Widerstandskämpfern und KZ-Überlebenden getragen wurde. Die politische Stimmung war geprägt von Antikommunismus, Kaltem Krieg und dem Versuch, kritische Stimmen zu marginalisieren. Das Verbot der VVN sollte ein weiterer Schritt in der systematischen Ausschaltung des organisierten Antifaschismus werden.
Während der Verhandlung unterbrach Baumgarte die Sitzung mit einem entschlossenen Zwischenruf, der später in der Presse zitiert wurde: „Herr Präsident, Sie waren ein großer Nazi!“ Damit konfrontierte er den Vorsitzenden Richter Fritz Werner offen mit dessen Vergangenheit. Werner war in der faschistischen Diktatur Mitglied der Sturmabteilung (SA) und der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) gewesen – eine Tatsache, die der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt war. Baumgarte legte entsprechende Unterlagen vor und deckte auf, dass Werner als Jurist bereits im faschistischen Staat Karriere gemacht hatte.
Die Enthüllung sorgte für einen handfesten Eklat. Die Verhandlung wurde unterbrochen, die Atmosphäre war aufgeheizt. In den darauffolgenden Tagen berichteten überregionale und lokale Zeitungen ausführlich über den Vorfall. Besonders die antifaschistische Presse und linke Zeitschriften wie "die Tat" oder "Deutsche Volkszeitung" lobten Baumgartes Mut. Auch aus dem Ausland, unter anderem aus der DDR und Frankreich, kamen Solidaritätsbekundungen für die VVN. Auf der anderen Seite verteidigten konservative Stimmen in Westdeutschland den Richter oder warfen der VVN vor, die Justiz zu unterwandern. Dennoch hatte die öffentliche Empörung über die NS-Vergangenheit eines obersten Richters politisches Gewicht.
Baumgartes mutiger Auftritt entlarvte die moralische Doppelzüngigkeit der Bundesrepublik, die antifaschistische Organisationen verfolgte, während sie ehemaligen Nationalsozialisten Schlüsselpositionen im Staatsapparat überließ. Das Verbotsverfahren gegen die VVN wurde daraufhin nie wieder aufgenommen – es war politisch verbrannt.
Baumgartes Intervention war mehr als ein Zwischenruf – sie war ein Weckruf an die Öffentlichkeit. Sie machte deutlich, wie tief die personellen und ideologischen Kontinuitäten zwischen dem faschistischen Staat und der jungen Bundesrepublik reichten. Und sie zeigte: Der antifaschistische Widerstand war nicht verstummt – er erhob weiter seine Stimme, klug, entschlossen und unbeirrbar.
Engagement für Gedenken und Bildung
In den 1970er-Jahren zog sich Baumgarte zwar aus der Parteipolitik zurück, blieb jedoch politisch aktiv. Er widmete sich zunehmend der Erinnerungskultur und Aufklärungsarbeit. Als Vorsitzender des Moorsoldatenkomitees, das die Erinnerung an die Häftlinge der Emslandlager wachhielt, setzte er sich für ein würdiges Gedenken ein.
Zudem war er maßgeblich am Aufbau des Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager in Papenburg beteiligt. In Zusammenarbeit mit Jugendzentren, Schulen und antifaschistischen Initiativen organisierte er Bildungsangebote, Zeitzeugengespräche und Stadtrundgänge. Gemeinsam mit dem Freizeitheim Linden und dem Jugendzentrum Weiße Rose initiierte er die ersten antifaschistischen Stadtrundfahrten durch Hannover, bei denen Orte des NS-Terrors besucht und erläutert wurden.
Sein Ziel war klar und unverrückbar: Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg. Baumgarte war überzeugt, dass die Spaltung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik dem Faschismus in die Hände spielte. In seinen letzten Lebensjahren warb er eindringlich für die Überwindung dieser Spaltung und die Einigkeit im Kampf für eine gerechte, friedliche und sozialistische Gesellschaft.
Späte Anerkennung und Vermächtnis
August Baumgarte starb im April 1980 in Hannover. Trotz seines herausragenden Einsatzes für die Demokratie, für Gerechtigkeit und für das Gedenken an die Opfer des Faschismus blieb eine breite gesellschaftliche Anerkennung zunächst aus. Erst Jahrzehnte später begann sich das öffentliche Bild zu wandeln.
Am 27. Februar 2013 beschloss der Bezirksrat Linden-Limmer, einen Fuß- und Radweg in Hannover nach ihm zu benennen. Die Verlängerung der Justus-Garten-Brücke in Hannover-Linden trägt seither den Namen „August-Baumgarte-Gang“ – versehen mit erklärenden Hinweistafeln über sein Leben und Wirken.
Sein Name steht heute für den unbeugsamen Mut eines Mannes, der über zwei Diktaturen hinweg seiner Überzeugung treu blieb: Dass der Mensch dem Menschen kein Wolf, sondern ein Bruder sein soll. Er gehört zu den stillen Helden der deutschen Geschichte – ein Symbol für Widerstand, Aufrichtigkeit und Hoffnung. Seine Geschichte ist Mahnung und Vermächtnis zugleich – für die Gegenwart wie für die Zukunft.

Quellen
• Zorn, Gerda: Widerstand in Hannover 1933–1945. Frankfurt am Main: Röderberg-Verlag, 1982. – Eine der wichtigsten regionalgeschichtlichen Arbeiten zum antifaschistischen Widerstand in Hannover. Enthält ausführliche Informationen über August Baumgarte, die kommunistische Bewegung in der Stadt sowie die Verfolgung durch die Gestapo.
• VVN-BdA Niedersachsen (Hg.): August Baumgarte – Kämpfer gegen Faschismus und Krieg. Broschüre zum 30. Todestag. Hannover, 2010. – Enthält Zeitzeugenberichte, Dokumente aus dem Umfeld der VVN und biografische Beiträge zur Würdigung Baumgartes Lebenswerk.
Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Heft 4/1982. Berlin: Dietz Verlag. – Artikel über Baumgartes Rolle im antifaschistischen Widerstand, seine Haftzeit in verschiedenen Konzentrationslagern und sein Wirken in der VVN nach 1945.
• Gedenkstätte Esterwegen (Hg.): „... und wenn sie mich zehnmal verhaften.“ Politischer Widerstand im Emslandlager Esterwegen. Papenburg, 2012. – Ausstellungskatalog mit biografischen Skizzen und historischen Fotografien, der auch Baumgartes Inhaftierung im Lager Esterwegen dokumentiert.
Stadtarchiv Hannover / Bezirksrat Linden-Limmer: Beschluss zur Benennung des August-Baumgarte-Gangs, Dokumentation, 2013. – Enthält Protokolle, Beschlussvorlagen und öffentlich zugängliche Begründungen für die Benennung des Fuß- und Radwegs in Hannover-Linden nach August Baumgarte.
• Gedenkstätte Mauthausen / Sachsenhausen Memorial: Digitale Häftlingsdatenbank, biografische Fallakten. – Online-Quellen zur Dokumentation von Baumgartes Inhaftierung, Transportwegen und seinem Überleben in den Konzentrationslagern, insbesondere über die Häftlingsdatenbanken der Gedenkstätten Mauthausen (https://www.mauthausen-memorial.org) und Sachsenhausen (https://www.stiftung-bg.de/sachsenhausen/), die biografische Fallakten, Lagertransporte und Haftstationen historisch aufbereitet zugänglich machen.
• Presseberichte 1962: u. a. Die Deutsche Volkszeitung, die tat, Frankfurter Rundschau (März–Mai 1962). – Zeitgenössische Presseberichterstattung über den Eklat im Bundesverwaltungsgericht, die Enthüllung über Fritz Werner und die politische Wirkung von Baumgartes Zwischenruf.
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