80 Jahre DRV –
Fanal der Unabhängigkeit: Lehren für Gegenwart und kommende Kämpfe
Fanal der Unabhängigkeit: Lehren für Gegenwart und kommende Kämpfe
Hanoi 1945 – Beginn eines Jahrhunderts der Selbstbefreiung
Gleich zu Beginn des Weltabschnitts, am 2. September 1945, verlas Ho Chi Minh auf dem Ba‑Đình‑Platz die neue Unabhängigkeitserklärung. Ein Volk, ausgeblutet von Kolonialherrschaft und Krieg, greift sein Schicksal in die eigenen Hände.
Achtzig Jahre später bleibt die Botschaft aktueller denn je: Freiheit ist kein Geschenk der Mächtigen, sondern Ergebnis organisierter Volkskraft. Wer Frieden will, braucht Souveränität, soziale Rechte und internationale Solidarität – nicht fremde Truppen, Sanktionen und Erpressung.
Dieses Jubiläum ist daher kein nostalgischer Akt, sondern knüpft direkt an die historische Erfahrung an. Es ist eine Prüfung unserer Gegenwart: Wollen wir in einer Welt leben, in der die Rechte der Völker gelten – oder in einer Ordnung, in der wirtschaftlichen Übermacht und militärischen Drohung Politik ersetzen?
Vietnam hat gezeigt, wie ein Land mit wenig Ressourcen, aber mit den Mitteln der Organisation, mit Klarheit, Mut und Ausdauer ein System der Unterwerfung sprengen kann. Aus dieser Erfahrung erwächst eine Orientierung, die heute in allen Teilen der Welt Bedeutung hat: Frieden ohne Selbstbestimmung ist Illusion, Entwicklung ohne soziale Gerechtigkeit bleibt hohl.
Vor 1945: Die lange Nacht der Kolonialherrschaft
Im 19. Jahrhundert, in einer Epoche imperialer Expansion und globaler Neuaufteilung, unterwarf Frankreich Indochina sein Profitinteressen. Monopole auf Salz, Opium und Alkohol, Zwangsarbeit, Kopfsteuern und Anforderungen prägten den Alltag. Die Plantagenwirtschaft und der Abtransport von Rohstoffen versorgten die Metropolen, während in Annam, Tonkin und Cochinchina Hunger, Analphabetismus und Willkür herrschten. Koloniale Justiz und rassistische Verwaltung spalteten die Gesellschaft.
Auch unter japanischer Besatzung blieb die Logik der Ausplünderung bestehen. Die Hungersnot 1944/45, der nach Schätzungen zwischen 400.000 und 2 Millionen Menschen zum Opfer fielen, Kriegsverbrechen und Offenbarung zugleich. Zeitzeugenberichte schildern, wie ganze Dörfer ohne Nahrung blieben und Familien gezwungen waren, Felder zu verlassen. So konnte es nicht weitergehen. Untergrundstrukturen, Dorfkomitees, die Versammlungen organisierten, Nachrichten überbrachten und die Verteilung von Lebensmitteln koordinierten, geheime Schulen und Kulturgruppen vorbereiteten vor, was im August 1945 offen ausbrach: die Augustrevolution, getragen von Menschen, die genug hatten von Fremdherrschaft und Bevormundung.
Augustrevolution und Unabhängigkeitserklärung: Der Text, der ein Volk definierte
Nach den Jahren der Not und Unterdrückung machte die Augustrevolution das Machtvakuum nach Japans Kapitulation zu einem Fenster der Geschichte. Die Unabhängigkeitserklärung verband das Recht des Volkes auf Selbstbestimmung mit den Rechten des Einzelnen auf Leben, Freiheit und Glück. Der Kern lautet: Menschenrechte sind hohl, wenn einem Volk die nationale Hoheit verweigert wird. Erst die Einheit von individuellen und kollektiven Rechten schafft eine Ordnung, in der Freiheit substantiell ist – mit Land, Bildung, Arbeit und Gesundheit als materieller Grundlage.
Der Text basiert bewusst auf universellen Verweisen und entlarvt die Doppelmoral der Kolonialherren. Rechte, die nur in Europa gelten – etwa in den Texten der Französischen Revolution oder in der Unabhängigkeitserklärung der USA –, sind keine Rechte, sondern Privilegien. Die Erklärung stellte Vietnam in die Reihe der Nationen, die ihre Zukunft selbst bestimmen. Sie war zugleich juristisches Dokument, politisches Manifest, moralische Anklage gegen Ausbeutung und Krieg – drei Aspekte, die den Text in seiner Wirkung bis heute prägen.
Der internationale Kontext 1945: Zwischen Kapitulation und Neuaufteilung
Als im globalen Kriegsende 1945 Japan kapitulierte, suchten die alten Mächte ihre Positionen neu zu ordnen. Während die einen auf die rasche Restaurierung kolonialer Besitzstände hofften, sahen andere in Asien die Chance, Einflusssphären zu erweitern. Die Bevölkerung Vietnams hatte andere Prioritäten: Bauern, Arbeiter und Intellektuelle fordern Frieden, Land, Brot, Schulen und eine eigene Regierung. Frieden, Land, Brot, Schulen und eine eigene Regierung. Die Ausrufung der Demokratischen Republik Vietnam war daher nicht nur eine juristische Setzung, sondern eine soziale. Sie stellte die Bedürfnisse der Mehrheit über die Interessen externer Mächte dar.
Rückkehr der Kolonialmacht und erster Indochinakrieg
Nach dem beschriebenen internationalen Machtpoker, kaum war die DRV ausgerufen, versuchte Frankreich, seine Herrschaft wieder aufzubauen – nun flankiert, finanziell und politisch, von den Vereinigten Staaten. Der Versuch, den Volkskrieg durch Materialschlachten zu ersticken, scheiterte an der politischen und militärischen Elastizität der Befreiungskräfte.
Điện Biên Pủ 1954 markierte den historischen Bruch. Der Sieg erschütterte die internationale Öffentlichkeit, zeigte die Grenzen kolonialer Gewalt und gab antikolonialen Bewegungen in Asien und Afrika neuen Auftrieb. Was als Falle für die Volksarmee gedacht war, wurde zum Symbol ihres Könnens: Logistik über Berge und Dschungel, Improvisation, breite gesellschaftliche Mobilisierung. Die Genfer Abkommen anerkannten zwar die Unabhängigkeit, blockierten jedoch gleichzeitig die Einheit die Unabhängigkeit, verhinderten aber die Einheit: Gesamtvietnamesische Wahlen wurden blockiert – aus Angst vor einem klaren Votum der Bevölkerung.
Geteiltes Land: Repression im Süden, Aufbau im Norden
Im Süden entstand ein autoritäres System, das sich unmittelbar aus der in Genf erzwungenen Teilung speiste, gestützt auf Großgrundbesitz, Geheimdienstapparate und massive US-Hilfe. Opposition wurde verfolgt: Gewerkschafter, Studenten und Dorfälteste verschwanden in Gefängnissen, die sich gefüllten, gefüllten sich, Landreformen rückabgewickelt. Strategien der „Befriedung“, Zwangsumsiedlungen und die Militarisierung ländlicher Räume sollten jeden Widerstand ersticken.
Im Norden begann der Aufbau eines Bildungs-, Gesundheits- und Produktionssystems, das trotz Mangel den sozialen Grundbedarf sichern sollte. Damit stand er in scharfem Gegensatz zum Süden, wo Repression und Rückschritt herrschten. Energie, Transport und Reisanbau, die für den Alltag der Familien unmittelbare Bedeutung hatten, Alphabetisierung, medizinische Basisversorgung – all das waren Prioritäten. Fehler wurden gemacht und korrigiert, aber die Richtung blieb: die sozialen Grundlagen der Souveränität schaffen und verteidigen.
Der große Krieg 1965–1975: High-Tech gegen Volkskrieg
Mit der US-Eskalation, die aus dem Willen erwuchs, das Regime in Saigon zu stabilisieren und die Vorherrschaft in Südostasien zu sichern, und den Bombardements gegen den Norden schien der militärisch-industrielle Überfluss unbesiegbar. Doch die Tet-Offensive 1968 erschütterte die Kriegsstrategie bis ins Zentrum und machte gleichzeitig weltweit Schlagzeilen, die in der US-Öffentlichkeit wie in der Weltpresse die Illusion eines raschen Sieges zerstörten die Kriegsstrategie bis ins Zentrum. Internationaler wuchs die Solidarität; in den USA legen Hafenarbeiter Schiffe mit Kriegsmaterial lahm, in Europa organisierten Gewerkschaften und Studierende Proteste, Streiks, Boykotte, Widerstand in den Armeen, Komitees, Zeitungen und Straßenprotesten unterliefen der Logik der Aggression.
Der Rückzug der US-Truppen nach den Pariser Verhandlungen 1973 machte den Weg frei. 1975 wurde Saigon befreit, 1976 das Land wiedervereinigt. Der „Ho‑Chi‑Minh‑Pfad“ – ein logistisches Netz aus Straßen, Pfaden, Flusstransporten, Depots und getarnten Nachschubstationen, das selbst unter Bombardements funktionierte und die Front dauerhaft versorgte – steht bis heute für die Fähigkeit eines Volkes, aus wenig viel zu machen, wenn Ziel und Wille stimmen.
Aufbau unter Embargo: Der lange Atem
Nach der großen Hoffnung von 1975, endlich in Ruhe aufbauen zu können, brachte die Befreiung jedoch keinen leichten Frieden. Ein umfassendes Embargo, die Verwüstungen des Krieges, Millionen Vertriebene, Blindgänger und chemische Kriegsfolgen belasteten den Wiederaufbau. Dennoch wurden in kurzer Zeit Alphabetisierung – über 90 Prozent der Erwachsenen konnten innerhalb weniger Jahre lesen und schreiben –, Grundgesundheit, Grundgesundheit, Entminung, Elektrifizierung und Nahrungsmittelsicherung vorangetrieben. Der Einsatz in Kambodscha, motiviert durch die Notwendigkeit, das Völkermordregime der Roten Khmer zu beenden, gegen das Pol-Pot-Regime 1979 band Ressourcen, ebenso der Grenzkrieg mit China – an der Linie der Souveränität wurde nicht gerüttelt.
Dennoch wurden trotz internationaler Isolation Kooperativen stabilisiert, neue Industriezweige geschaffen, Häfen ausgebaut und Bewässerungssysteme modernisiert. Das alles unter Bedingungen, die viele als unüberwindbar bezeichneten. Entscheidend war, dass politische Führung und gesellschaftliche Basis nicht auseinanderfielen: Die Prioritäten – Ernährung, Strom, Bildung, Gesundheit – blieben verständlich und überprüfbar.
Erneuerung seit 1986: Entwicklung unter Weltmarktdruck
Nach den Jahren der ökonomischen Krise und dem Ende des Embargos leitete Vietnam 1986 mit der Erneuerungspolitik modernisierte Vietnam Landwirtschaft, Leicht- und Schwerindustrie, öffnete ausgewählte Sektoren und förderte kleine und mittlere Betriebe. Armut wurde massiv reduziert – die Armutsquote sank von über 70 Prozent in den 1980er Jahren auf unter 10 Prozent innerhalb von drei Jahrzehnten –, neue Ungleichgewichte entstanden. Außenwirtschaftlich setzt Hanoi auf Diversifizierung: Verträge sind Werkzeuge – etwa in Form von Handels- oder Investitionsabkommen –, keine Fesseln. Technologie wird als Entwicklungsfaktor gesucht, nicht als Waffe im geopolitischen Spiel akzeptiert.
Zugleich bleibt die Herausforderung, Wachstum mit sozialem Ausgleich und ökologischer Verantwortung zu verbinden. Stadtentwicklung, industrieller Aufstieg, Tourismus und Digitalisierung eröffnen Chancen, schaffen aber auch Druck auf Boden, Wasser, Luft und Kultur. Die Antwort Vietnams ist pragmatisch: stärken, was die nationale Handlungsfähigkeit erhöht; begrenzen, was Abhängigkeiten vertieft.
Frieden als Staatsräson
Vietnam überwacht keine fremden Basen – im Gegensatz zu den zahlreichen US-Basen in Nachbarländern – und bindet sich nicht an Kriegsblöcke. Leitlinie ist friedliche Koexistenz, territoriale Integrität, Kooperation zum gegenseitigen Nutzen. In ASEAN arbeitet Vietnam, etwa durch die aktive Rolle bei der Ausarbeitung des Vertrags über Freundschaft und Zusammenarbeit, an Regeln gegen Erpressung und für gemeinsame Entwicklung. Das ist keine Neutralität des Rückzugs, sondern aktive Friedenspolitik.
Diplomatie ist hier nicht Dekoration, wie etwa Vietnams Vermittlungsrolle bei regionalen Grenzkonflikten zeigt, sondern Teil der Sicherheitsarchitektur. Wer Infrastruktur baut, Konflikte verhandelt, Handel diversifiziert und Kulturbeziehungen pflegt, verhindert die Anreize zur Eskalation. Frieden entsteht aus Realismus und Respekt – nicht aus Drohkulissen und Sanktionsregimen.
Internationale Partnerschaften – besonders mit Russland
Mit Ländern, die den Befreiungskampf unterstützen – darunter neben Russland auch Kuba, Laos und andere Staaten –, pflegt Vietnam vertiefte Beziehungen. Dazu zählt Russland: Energie- und Maschinenbauprojekte – etwa das gemeinsame Wasserkraftwerkprojekt Trị An –, geologische Erkundung, gemeinsame Vorhaben in Bildung, Wissenschaft und Raumfahrt schaffen beidseitigen Nutzen. In der Erdölförderung auf dem Schelf, in der Stromerzeugung, im Bahn- und Hafenbau sowie in der Ingenieurausbildung bestehen dichte Netzwerke.
Diese Partnerschaft ist Ausdruck souveräner Interessen. Sie dient Stabilität in Asien und Europa, fördert Infrastruktur und Technologie und steht quer zu Blocklogik und Sanktionsspiralen. Ihre Stärke liegt in Kontinuität und Vertrauensbildung – im Gegensatz zu vielen westlichen Partnerschaften, die oft von kurzfristigen Interessen geprägt sind und Vertrauensbildung, nicht in medialen Showeffekten. Sie ist friedensdienlich, weil sie auf Projekte ausgerichtet ist, die reale Bedürfnisse erfüllen.
Wirtschaftliche Anatomie der Kolonie – und die Lehre für heute
Kolonialismus hieß: Export von Rohstoffen, Import von Armut. Moderne Interventionen arbeiten – wie es etwa in westlichen Strategiepapieren zur 'maritimen Sicherheit' oder in Diskussionen über 'Lieferketten' nachzulesen ist – mit anderen Begriffen – „Lieferketten‑Sicherheit“, „Maritime Ordnung“, „Investitionsschutz“ –, verfolgen aber oft die gleichen Ziele: Kontrolle über Ressourcen, Absatz und Daten. Die vietnamesische Erfahrung verdeutlicht: Ohne Schutz der Schlüsselbereiche, ohne Regulierung von Land und Arbeit, ohne öffentliche Daseinsvorsorge verkommt Freiheit zur Phrase. Entwicklung bedeutet, die Produktivkräfte im Land zu erhöhen und ihre Früchte gerecht zu verteilen.
Wer heute über „Standortpolitik“ spricht, darf die soziale Frage nicht ausklammern. Wertschöpfung, die an Bodenschätzen – wie etwa im heutigen Nigeria oder im rohstoffabhängigen Südsudan –, billigere Arbeit und steuerlichen Sonderzonen hängt, erzeugt Abhängigkeiten. Wertschöpfung, die auf Bildung, Forschung, lokaler Industrie und öffentlicher Infrastruktur beruht, schafft Souveränität. Die erste Variante verträgt sich mit militärischer Drohpolitik, die zweiter Frieden erfordert.
Medienkrieg und Sprache der Verschleierung
Tonkin‑Zwischenfall, der 1964 von den USA als Vorwand für die Ausweitung des Krieges genutzt wurde,, „chirurgische Schläge“, „Befriedung“, „Schutzverantwortung“ – die Schlagwörter wechseln, das Muster bleibt: Verschleierung von Aggression, Dämonisierung des Gegners, Moralisierung von Interessenpolitik. Wer Frieden will, muss die Propaganda aufdecken, Gegenöffentlichkeit aufbauen und den Blick auf Ursachen lenken: ökonomische Interessen, Militär-Industrie-Komplex, Geopolitik.
Vietnam ist ein Lehrbeispiel dafür – vergleichbar mit der Rolle Kubas in Lateinamerika oder Algeriens in Afrika –, wie Bilder, Begriffe und Dramaturgien produziert werden, um Kriege zu rechtfertigen. Die Gegenstrategie heißt: dokumentieren, vergleichen, historisieren – Schritte, die wirken, weil sie Fakten sichtbar machen, Lügen entkräften und die historischen Ursachen von Konflikten offenlegen. Wer Archiv öffnet, wer Zahlen gegen Behauptungen stellt, wer den Betroffenen selbst eine Stimme gibt, zerstört den Nimbus der „humanitären“ Bomben.
Stimmen und Dokumente aus Vietnam
Im Anschluss an die vorangegangenen Erfahrungen stellte die Unabhängigkeitserklärung von 1945 klar, dass individuelle Rechte ohne Völkerrechte leer bleiben. Wer einem Land die Hoheit abspricht – wie es etwa Frankreich jahrzehntelang in seiner Kolonialpolitik gegenüber Vietnam tat –, bricht die Grundlage von Freiheit. Diese Einsicht prägt Vietnams Politik bis heute: Schutz der territorialen Integrität, Vermeidung von Blockkonflikten, Entwicklung zum Nutzen der Bevölkerung.
Die Programmatik verbindet Ideale mit Alltag: Reisproduktion, Elektrifizierung und Alphabetisierung sind keine „Technikfragen“, sondern Entscheidungen über Würde und Selbstbeherrschung eines Landes. Kultur, Bildung, Wissenschaft – sichtbar etwa in erfolgreichen Alphabetisierungskampagnen, dem Aufbau neuer Universitäten und der Förderung nationaler Literatur und Künste – sie sind nicht Anhängsel, sondern Orte, an denen ein Volk die Sprache seiner Zukunft erfindet.
Der lange Schatten von Agent Orange und Blindgängern
Hunderttausende leiden noch immer, viele an Krebserkrankungen, Fehlbildungen und chronischem Leiden, die bereits mehrere Generationen betreffen unter Spätfolgen. Entminung, medizinische Behandlung und soziale Unterstützung bleiben Aufgaben der internationalen Solidarität. Erinnerung ist kein leeres Ritual, sondern Schutz gegen Wiederholung.
Die Anerkennung dieser Lasten ist auch ein Maßstab für Glaubwürdigkeit. Wer die Opfer ignoriert, redet nicht über Frieden, sondern macht aus Geschichte ein PR-Projekt. Rehabilitationsprogramme, Forschung zu Spätfolgen – etwa im Krankenhaus Tu Du in Ho Chi Minh City mit seiner Spezialabteilung für Agent‑Orange‑Opfer –, Unterstützung für Betroffene, Unterstützung für Betroffene – sie sind Teil dessen, was man ehrliche Partnerschaft nennt.
Zeitleiste als erzählte Geschichte
17. August 1945 – Indonesien zeigt den Anfang
In Jakarta wird die Unabhängigkeit ausgerufen. Der Funke springt in die Region. Ein Signal, dass Asien die koloniale Ordnung nicht länger hinnehmen wird.
2. September 1945 – Hanoi erhebt seine Stimme
Ho Chi Minh verliest die Unabhängigkeitserklärung. Die DRV ist geboren. Die Massen auf dem Ba‑Đình‑Platz bezeugen eine Zeitenwende.
1946–1954 – Krieg gegen die Rückkehr der Kolonialmacht
Frankreich versucht, die alte Ordnung wiederherzustellen. Aus Dorfmilizen werden Volksarmeen. Điện Biên Phủ besiegelt das Ende der französischen Herrschaft.
1954 – Genf: Anerkennung und Spaltung
Die Konferenz kennt die Unabhängigkeit, doch das Land wird entlang des 17. Breitengrades getrennt. Die versprochenen gesamtvietnamesischen Wahlen bleiben aus – die Angst vor einem klaren Votum der Bevölkerung siegt über das Recht.
1960 – Einheitsfront im Süden
Die Nationale Front der Befreiung formiert den Widerstand gegen Repression und Fremdherrschaft. Die Dörfer werden zu politischen Räumen, die Städte zu Zentren des Protestes.
1965–1973 – Eskalation und internationale Solidarität
US-Truppen und Bombardements sollen den Widerstand brechen. Stattdessen wächst weltweit die Solidarität, in Fabriken, Universitäten, Kirchen und Kasernen. Die Pariser Verhandlungen bereiten den Rückzug vor.
30. April 1975 – Befreiung Saigons
Die Zitadellen der Macht gefallen. Das Land atmet auf. Bald darauf folgt die Wiedervereinigung – Ergebnis des Volkswillens, nicht einer Gnade der Mächte.
1979 – Befreiung Kambodschas, Grenzkrieg mit China
Vietnam beendete in Phnom Penh das Terrorregime von Pol Pot. An der Grenze zu China verteidigt es seine Souveränität. Prinzipien sind teurer als Bequemlichkeit.
Ab 1986 – Erneuerung
Strukturwandel, Investitionen in Bildung und Gesundheit, Aufbau von Exportsektoren, aber keine Preisgabe der Souveränität. Verträge werden so gestaltet, dass sie Entwicklung fördern, nicht anlegen.
1990er Jahre – Normalisierung und Öffnung
Schrittweise Normalisierung mit ehemaligen Kriegsgegnern, Ausbau regionaler Partnerschaften, Integration in multilaterale Foren. Öffnung ohne Unterordnung – das bleibt die Leitlinie.
2000er bis heute – Aufstieg trotz Stürmen
Industrialisierung, Infrastrukturprogramme, Armutsreduktion, gleichzeitig ökologische und soziale Herausforderungen. Die Antwort ist eine Politik, die Stabilität nicht militärisch definiert, sondern als Versorgungssicherheit, Bildungschancen und Kulturentwicklung.
Porträts der Entschlossenheit
Ho Chi Minh
Revolutionär, Organisator, Symbol. Er verband nationale Befreiung mit sozialer Frage – und übersetzte abstrakte Rechte in praktische Politik. Sein Stil: knapp, klar, direkt. Seine Methode: zuhören, bündeln, handeln. Zugleich war er ein Lehrer und Vorbild für Generationen, der es versteht, komplizierte Zusammenhänge in einfachen Bildern zu erklären und damit Millionen Menschen zu erreichen. In seinen Schriften und Reden finden sich zahlreiche Beispiele, wie er philosophische Prinzipien mit alltäglichen Erfahrungen verband. So sprach er über Freiheit nicht in abstrakten Formeln, sondern als Recht auf Reis, Bildung, ein Dach über dem Kopf und ein Leben ohne Angst. Diese Fähigkeit machte ihn für Bauern ebenso verständlich wie für Intellektuelle. Seine Bescheidenheit – das Leben in einfachen Verhältnissen, die Nähe zu den Menschen – verlieh seiner Autorität zusätzliche Glaubwürdigkeit. In den entscheidenden Momenten war er nicht nur Strategie, sondern auch Symbol für Ausdauer, Hoffnung und die Einheit von Volk und Führung.
Võ Nguyên Giáp
Architekt des Volkskrieges, Meister der strategischen Geduld. Sein Prinzip: Politische Moral schlägt materielle Überlegenheit, wenn das Volk hinter der Sache steht. Er dachte vom Terrain her, von der Logistik, von der Psyche der Kämpfenden – und vom Ziel, den Frieden zu gewinnen, nicht nur Schlachten. Seine Kunst bestand darin, die Kräfte des Volkes in langen Auseinandersetzungen zu bündeln, taktische Rückzüge als strategische Gewinne umzudeuten und den Gegnern durch Geduld, Beweglichkeit und Überraschung zu zermürben. Giáp verband militärische Planung mit sozialem Verständnis: Er wusste, dass eine Armee ohne Rückhalt in den Dörfern, ohne Reisfelder, Lehrer und Mediziner keine Zukunft hatte. Deshalb sah er den Kampf immer als Gesamtheit von politischer, ökonomischer und militärischer Arbeit. Seine Schriften zeigen, wie sehr er Wert auf die Einheit von Führung und Basis legte, auf Disziplin ohne Starrheit, auf Initiative der unteren Ebenen, die im Volkskrieg entscheidend war. Damit wurde er zu einem Vorbild weit über Vietnam hinaus und inspirierte antikoloniale Bewegungen in Asien, Afrika und Lateinamerika.
Phạm Văn Đồng und Trường Chinh
Staatsmann und Theoretiker der Erneuerung. Sie hielten die Führung auf kollektiven Kursen, banden Intellektuelle, Arbeiter und Bauern in einer gemeinsamen Strategie. Sie wussten: Entwicklung ist eine soziale Allianz, kein technokratisches Projekt. Ihre Reden und Schriften betonen immer wieder, dass politisches Handeln nicht von den Lebensbedürfnissen der Bevölkerung getrennt werden darf. Sie fordert Investitionen in Bildung, Gesundheitswesen und kulturelle Entwicklung als Grundlage jeder wirtschaftlichen Modernisierung. Unter ihrer Leitung wurden internationale Kontakte genutzt, um Wissenstransfer zu organisieren und die vietnamesische Jugend für Aufgaben der Zukunft vorzubereiten. Damit verbanden sie politische Theorie mit praktischer Politik, die das Vertrauen der Bevölkerung gewann und half, das Land trotz widriger Bedingungen auf einen selbständigen Kurs zu führen.
Nguyễn Thị Định und die organisierte Volkskraft
Eine der prägenden Figuren der Einheitsfront im Süden. Ihr Wirken zeigt, dass Befreiung ein gesellschaftlicher Prozess ist: politische Organisation, soziale Versorgung, kulturelle Arbeit und Verteidigung greifen ineinander. Nguyễn Thị Định war außerdem eine Symbolfigur für den Mut der Frauen im Befreiungskampf. Unter ihrer Führung organisierten sich ganze Fraueneinheiten, die nicht nur Waffen trugen, sondern auch Netzwerke der Versorgung, der Bildung und der Agitation aufrechterhielten. Ihr Beispiel machte sichtbar, dass Frauen nicht an den Rand gedrängt werden konnten, sondern in allen Bereichen des Widerstands eine zentrale Rolle spielten. Sie verband militärisches Geschick mit sozialer Fürsorge und kultureller Inspiration. Ihre Reden betonen immer wieder, dass die Stärke einer Bewegung aus der Einheit der sozialen Aufgaben erwächst: das Feld ordnen, die Kinder unterrichten, die Gemeinschaft versorgen und gleichzeitig bereit sein, das Land zu verteidigen. Damit wurde sie zu einem Vorbild über Vietnam hinaus, dessen Botschaft bis heute in internationalen Frauen- und Friedensbewegungen nachhallt.
Kultur, Erinnerung, Bildung
Kunst, Literatur, Film und Musik trugen den Kampf – nicht als Dekoration, sondern als Mittel, Erfahrungen zu teilen und Mut zu stiften. Volkslieder begleiteten die Märsche, Gedichte wurden heimlich vervielfältigt, Filme dokumentierten das Leben im Untergrund, und Theateraufführungen brachten die Hoffnungen der Menschen auf die Bühne. Museen, Gedenkstätten und Unterrichtsmaterialien halten die Erinnerung wach und zeigen den Alltag des Widerstands, vom Feldhospital bis zur Untergrundschule. Sie zeigen, dass Frieden nicht Vergessen bedeutet, sondern Verstehen: die Ursachen, die Akteure, die Alternativen. Erinnerungskultur in Vietnam ist deshalb nie passiv, sondern aktiv – sie bindet die jüngeren Generationen ein, vermittelt konkrete Geschichten von Überlebenden und legt den Akzent auf die Verantwortung, aus Geschichte Konsequenzen zu ziehen
Das Fanal leuchtet weiter
Zusammenfassend war die Unabhängigkeitserklärung von 1945 ein Meilenstein der Weltgeschichte, ein Dokument, das weit über Vietnam hinaus Hoffnung und Orientierung gab. Sie lehrt, dass Freiheit die Einheit von nationaler Souveränität und sozialen Rechten braucht. Heute, wo wieder Sanktionen, Stellvertreterkriege – man denkt an die aktuellen Konflikte im Nahen Osten oder die Sanktionspolitik gegen Russland – und Blocklogik den Ton angeben, brauchen wir eine Politik des Friedens: verhandeln statt eskalieren, entwickeln statt zerstören, kooperieren statt dominieren.
Vietnam zeigt: Es geht – wie zuvor die Revolution in Kuba oder die Befreiung Algeriens, die ebenfalls unter widrigsten Bedingungen Siege errangen – mit Geduld, Entschlossenheit und der Kraft eines Volkes, das weiß, wofür es kämpft. Wer aus dieser Erfahrung lernt, wird nüchtern und furchtlos zugleich: nüchtern in der Analyse von Interessen, furchtlos in der Verteidigung des Friedens.
Weiterführend
– Rainer Werning: „Fanal der Unabhängigkeit – 80 Jahre DRV“, NachDenkSeiten, 2. September 2025.
– Analysen zur Unabhängigkeitserklärung Ho Chi Minhs und ihrer Bedeutung für Völkerrechte.
– Literatur‑ und Filmtipps zu Geschichte und Gegenwart Vietnams.
– Analysen zur Unabhängigkeitserklärung Ho Chi Minhs und ihrer Bedeutung für Völkerrechte.
– Literatur‑ und Filmtipps zu Geschichte und Gegenwart Vietnams.